Jülich. Im Forschungszentrum Jülich steht ein superschneller Rechner: der Supercomputer Juqueen. Der Besuch ist eine überraschend sinnliche Erfahrung.

  • Forschungszentrum Jülich hat einen der schnellsten Rechner der Welt – unter den Top 20
  • Juqueen seit 2013 am Start; sechs Petaflops Leistung
  • Wettrüsten der Supercomputer – Nachfolger bereits in Planung

Der Weg zur Erkenntnis könnte nicht schnöder sein. Strukturtapete, Feuerlöscher und drei Topfpflanzen: Ein Korridor wie in jeder beliebigen Uni – die Wissenschaft demonstriert ihre Ortlosigkeit. Und doch verbirgt sich hinter der nächsten Feuerschutztür eine der mächtigsten Maschinen der Menschheit. Professor Paul Gibbon öffnet die Tür mit einem Spezialschlüssel, in einem Vorraum nehmen wir Gehörschützer vom Haken, dann betreten wir das Reich des Supercomputers „Juqueen“.

Als das Forschungszentrum Jülich ihn 2013 unter Strom setzte, war er Europas schnellster Rechner und die Nummer fünf der Welt, noch immer hält sich die „Königin von Jülich“ in den Top 20. Die Audienz ist eine überraschend sinnliche Erfahrung.

Der Supercomputer: 28 anthrazitfarbene Schränke

Die blecherne Decke unverkleidet, die Neonröhren nicht mal alle an. Ein altertümlicher Kontrast zu den 28 anthrazitfarbenen Schränken, durch deren Gitterfronten grüne Sterne blitzen. Juqueen, allein größer als ein Tennisplatz, teilt sich die Halle mit dem nicht halb so starken Superrechner Jureca.

Verrückt, hier noch ein Quantum Strom kompensieren zu wollen — aber das dämmrige Licht ist nur ein Zugeständnis an die Menschen, die ab und an diese Maschinenwelt betreten müssen, um eine Platine auszutauschen.

Der Supercomputer „Juqueen“ besteht aus 28 grauen Schränken.
Der Supercomputer „Juqueen“ besteht aus 28 grauen Schränken. © Lars Heidrich

Eine Brise verweht das Haar, als wir den Thronsaal durchmessen, ein Geruch wie Serverraum hoch zehn. Und ein mechanisches Tosen durchdringt uns körperlich, eher Autobahn als Wildbach, nur heller, angestrengter: das gewaltige Rechnen von fast einer halben Million Prozessoren.

Ein angestrengtes Tosen: der Sound der Erkenntnis

Wir hören die Lüfter und, wer weiß, darunter vielleicht auch das Strömen des voll entsalzten Kühlwassers, das jeden einzelnen Rechenkern umfließt und die Halle durch den doppelten Boden neun Grad wärmer wieder verlässt.

Dies ist der Sound der Erkenntnis. Weltprobleme werden hier in ihre kleinsten Teile zermahlen. Wie breitet sich die Asche von Vulkanen aus? Wie macht man Flugzeugturbinen leiser? Woraus besteht das Universum? Grenzfragen. Und dieser mächtige Datenstrom von Nullen und Einsen rauscht um uns herum seiner Lösung entgegen, sedimentiert seine Fracht in den Speicherschränken am Rand, auf Magnetbändern vor allem, denn Festplatten allein könnten diese Datenmenge nicht bewältigen.

Die meiste Energie verbraucht die Datenübertragung

Tatsächlich verbraucht die meiste Energie nicht das Rechnen, sondern die Datenübertragung intern und nach draußen. Darum sind Supercomputer einerseits viel effizienter, als wenn man die Arbeit über das Internet auf viele PCs verteilen würde.

Andererseits ist dies auch ihr limitierender Faktor, erklärt Paul Gibbon, der in Jülich die Abteilung Computerwissenschaften leitet. Theoretisch könnte man beliebig viele Prozessoren parallel rechnen lassen, aber der Energiebedarf für ihre Zusammenarbeit steigt viel stärker als die Rechenleistung. Darum sind die Juqueen-Chips nicht etwa besonders schnell, sondern sogar gedrosselt auf 700 Megahertz — das spart Energie, Abwärme und sie lassen sich dichter packen.

Das Wettrüsten der Supercomputer

Aber auch Supercomputer entwickeln sich rasant. Der fast vier Jahre alte Juqueen bringt 5,9 Petaflops, so viel wie etwa 100.000 PCs, der Weltranglistenerste aus China schon 93 Petaflops - hier spielen die Energiekosten offenbar eine untergeordnete Rolle, glaubt Gibbon.

Alle fünf Jahre tauscht deshalb auch Jülich seinen Superrechner aus, der Nachfolger soll wohl im März 2018 an den Start geben. Der Hersteller IBM wird dann Juqueen abholen und verwerten, was zu verwerten ist.

„Es ist ein Wettrüsten. Das neue Space-Race“, sagt Gibbon. „Prestige hilft mit der Sichtbarkeit und dabei, Partner in größeren Projekten zu werden.“ Für den normalen Betrieb sei es aber wichtiger, die Wissenschaftler gut zu betreuen, die aus aller Welt mit speziellen Codes auf das Linux-System von Juqueen zugreifen. Denn Geschwindigkeit wird durch paralleles Rechnen erzeugt. „Und man kann viel herausholen, wenn man die Verteilung selbst programmiert.“

Das Ziel: die Welt in Formeln zu begreifen

Gibbons Team hilft dabei, die Kapazitäten zu nutzen, die so gewaltig wie knapp sind. Das Ziel ist es schließlich, immer tiefer hineinzuzoomen in den Körper und in Moleküle, in die Atmosphäre, die Ozeane und in das Universum. Immer genauere Simulationen zu schaffen. Die Welt in Formeln zu begreifen. „Ja“, sagt Gibbon, „man wird jede Rechenleistung mit einem Problem ausschöpfen können.“

Hinten in der Halle stehen ein paar Werkbänke: Schraubendreher, Zange, Akkuschrauber, eine Festplatte, ein paar Aluschienen und Handschuhe. Daneben ein russisches Babybreiglas, in dem ein Techniker Wärmeleitpaste angerührt hat (Jureca ist ein russisches Fabrikat). Vergleichsweise simple Werkzeuge.

Und man sieht all diese Rechenschränke, schwarze Monolithen, und ein jeder gleichsam so simpel in seiner Form, dass man sich kein treffenderes Symbol der modernen Wissenschaft vorstellen kann als diese „black box“.

>> AN DIESEN FRAGEN ARBEITET JUQUEEN

An etwa 100 Fragen arbeitet Juqueen pro Jahr – drei Beispiele.

  • Was macht Boden mit dem Wetter?

Wer Klima und Wetter besser verstehen will, darf nicht nur auf Atmosphäre und Meere schauen. Forscher aus Bonn und Jülich – haben für bessere Vorhersagen – eine Simulation des gesamten Ökosystems entwickelt.

  • Wie funktioniert das Gehirn?

Forscher aus 23 Ländern wollen das menschliche Gehirn bis zur molekularen Ebene simulieren. Juqueen leistet Vorarbeit für das „Human Brain Project“. Die gewaltige globale Datenmenge wird erst sein Nachfolger bewältigen können.

  • Woraus besteht das Universum?

Nach bisherigem Verständnis sind nur 15 Prozent der Materie sichtbar, der Rest ist „dunkel“. Was macht „Dunkle Materie“ aus? Ein „Axion“ genanntes Teilchen? Physiker errechneten, welche Eigenschaften es haben müsste. Nun kann man gezielt danach suchen.