Dortmund. Fast wäre der Dortmunder Baby-Tod-Prozess wegen der Pensionierung des Vorsitzenden Wolfgang Meyer geplatzt. Jetzt ist es rechtskräftig.

Wolfgang Meyers letztes Urteil hat Bestand. Dass sein Dortmunder Schwurgericht am 11. Juni 2018 eine 36 Jahre alte Mutter aus Lünen schuldig gesprochen hat, den Tod ihres Babys verursacht zu haben, findet jetzt auch der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe in Ordnung. Die Verurteilung von Judith O., die ihren sieben Monate alten Sohn zu Tode geschüttelt hatte, ist damit rechtskräftig. Wegen Körperverletzung mit Todesfolge hatte die Kammer sie zu drei Jahren und vier Monaten Haft verurteilt, die sie in Kürze antreten müsste.

Dabei wäre das Verfahren nach viereinhalb Jahren Dauer im Sommer 2018 fast geplatzt, weil Richter Wolfgang Meyer Ende Juni mit 67 Jahren aus Altersgründen das Gericht verlassen musste. Als der Prozess am 27. Januar 2014 begann, war Meyer 62 Jahre alt, die Pensionierung lag in weiter Ferne. Der Fall galt als übersichtlich. Nur fünf Verhandlungstage hatte Meyer eingeplant.

Verteidigung brachte viele Gutachter ins Spiel

Doch die Arzttochter aus Lünen hatte mit Rüdiger Deckers einen prominenten Verteidiger aus Düsseldorf. Offenbar war nicht nur für ihn Geld aus dem Umfeld der Angeklagten vorhanden, sondern auch für die vielen, zum Teil renommierten Gutachter, die von der Verteidigung ins Spiel gebracht wurden.

Und so zog sich die Hauptverhandlung in die Länge. 2016, Meyer hätte mit 65 Jahren in den Ruhestand gehen können, verlängerte er sogar um zwei Jahre, was damals erst seit kurzer Zeit möglich war. Als im Juni 2018 die endgültige Altersgrenze immer näher rückte, hatte Meyer für diesen Monat sogar 15 Sitzungstage reserviert, auch samstags und sonntags. Letztlich ging es doch problemlos innerhalb der Frist über die Bühne.

Mutter war mit ihrem Kind allein in der Wohnung

Etwas mehr als zehn Jahre ist es her, dass der Säugling durch die Hand der Mutter starb. An jenem 20. Juni 2010 war die junge Frau allein mit ihrem Kind in der Wohnung. Sie dürfte verärgert gewesen sein, weil ihr Mann wieder einmal ohne sie unterwegs war. Ihre Eifersucht schien begründet, denn wie sich später zeigte, war er mit einer Nachbarin zusammen.

In ihrer Verärgerung soll sie das Kind heftig geschüttelt haben. Mit dem Kopf geriet das sieben Monate alte Baby dabei an einen harten Gegenstand. Es starb am Schütteltrauma.

Rechtsmediziner stellt Schüttel-Trauma fest

Von diesem Sachverhalt ging das Dortmunder Schwurgericht aus. Es stützte sich vor allem auf das Gutachten des Rechtsmediziners Bernd Karge aus Münster. Er hatte Einblutungen an den Sehnerven festgestellt, und diese "zeigen eine hohe Gewaltintensität". Sein Fazit: "Die Verletzungen sind praktisch beweisend für eine Kindesmisshandlung."

Die Verteidigung versuchte dagegen aufzuzeigen, dass das Baby, das noch nicht krabbeln konnte, in einem unbewachten Moment vom Elternbett aus 45 Zentimeter Höhe auf den Laminatboden geprallt sei. Dabei habe es sich die tödlichen Verletzungen zugefügt.

Staatsanwaltschaft zweifelte an ihrer Anklage

Erfolg hatte Rechtsanwalt Deckers sogar bei der Staatsanwaltschaft, die zum Ende der Verhandlung Zweifel an der eigenen Anklage hegte und Freispruch beantragte.

Das Gericht verunsicherte Deckers dagegen nicht. Richter Meyer zum Fall des Kindes aus dem Elternbett: "Ein derartiger Sturz als Ursache der tödlichen Verletzungen wäre nach der medizinischen Literatur weltweit einzigartig."

Gericht spricht von "Unverschämtheit" der Gutachter

Hart ging er auch mit der Verteidigung und den Gutachtern ins Gericht: "Was sie dazu veranlasst hat, ihren Ruf aufs Spiel zu setzen, wissen wir nicht." Meyer hatte von "Dreistigkeit" und "Unverschämtheit" der Gutachter gesprochen. Namentlich nannte er die Rechtsmediziner Klaus Püschel aus Hamburg und Bernd Brinkmann aus Münster, außerdem den Göttinger Kinder-Neurochirurgen Hans-Christoph Ludwig. Dieser habe das Gericht sogar bewusst belogen, als er trotz richterlicher Nachfrage Kontakte zu Verteidiger Deckers verschwieg.

Deckers hatte sich nach dem Urteil sicher gezeigt, in der Revision beim BGH Erfolg zu haben. Dem Gericht warf er zudem Einseitigkeit bei der Bewertung der Gutachter vor.

Doch seine Revision hat der 4. Senat in Karlsruhe als "unbegründet" verworfen. In einer Pressemitteilung des BGH heißt es: Das Gericht habe "rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die Angeklagte ihr Kind vorsätzlich geschüttelt habe und das Schütteln ursächlich für den Tod des Kindes gewesen sei."