Verl/Rheda-Wiedenbrück. Bundeswehr und Ordnungsamt haben in Verl unter Quarantäne gestellte Wohnungen untersucht. Zuvor war eine Quarantänezone eingerichtet worden.
Hier wohnen sie, Arbeiter von Tönnies. Einfache, vier- bis siebenstöckige Wohnhäuser am Rand des Vorortes Verl-Sürenheide, viele Satellitenschüsseln recken sich nach Rumänien und Bulgarien, Menschen sitzen auf Balkonen, wo es möglich ist. Mehr liegen in den Fenstern, schaut man durch sie in die Wohnungen hinein, wirken die auf diffuse Weise voll, ohne das wirklich beurteilen zu können. „Manche Tönnies-Wohnungen sind völlig in Ordnung, bei anderen würde ich sagen: Puuh!“, sagt ein Einheimischer.
Sie sind in Quarantäne, die Vertragsarbeiter und die vielen Vertragsarbeiterinnen, doch manche sehen das mit dem Abstand sozusagen nicht so eng. Einige Grüppchen sind auf den Straßen unterwegs, gehen etwa zu dem kleinen „Elyas-Markt“, kaufen Weißbrot, Tomaten oder Wassermelonen; andere stehen redend beieinander. Zwei Wachleute eines Privatdienstes sprechen sie an, mit wechselndem Erfolg, und sie sind ja auch nur zwei.
Die Lebensmittel kommen jetzt vom Roten Kreuz
Doch am Samstagnachmittag ändert sich das Kräfteverhältnis: Gegen 16 Uhr erscheinen plötzlich Polizei, Feuerwehr, Bauarbeiter. Sie stellen Bauzäune auf, riegeln drei Straßen ab mit etwa 670 Werksvertragsarbeitern. 370 von ihnen arbeiten bei Tönnies, aber die anderen leben mit ihnen Tür an Tür.
Das ganze Gebiet gilt nun als ein Quarantänegebiet: Die Leute können sich innerhalb des Bauzauns frei bewegen, auch auf der Straße; aber Außenstehende treffen können sie nicht mehr. Mitarbeiter des Ordnungsamtes gehen mit Dolmetschern in die Häuser, um den Menschen zu erklären, wie ihnen geschieht. Ihre Lebensmittel bekommen sie jetzt vom Roten Kreuz.
Bürgermeister sichert Versorgung zu
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Am Sonntag kommen die Helfer des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) des Kreises Gütersloh an. Gelbe Mäntel aus Plastik, blaue Handschuhe, Mundschutz und Schutzbrille – die Mitarbeiter sind ausgerüstet. Sie sind an der Unterkunft in Verl für die Versorgung mit Lebensmitteln zuständig. Mit einem großen Lastwagen rollen sie rückwärts zum Bauzaun, der die Grenze zwischen ihnen und den Menschen in Quarantäne bildet.
Hinter dem Zaun stehen rund zehn Männer und Frauen. In einer Schlange gehen sie zu dem kleinen Spalt am Zaun. Jeder bekommt eine Tüte mit Brot in die Hand gedrückt. Dann ist der Nächste dran.
Bürgermeister Michael Esken sichert die Versorgung der 670 Menschen in den Wohnungen in Verl zu. „Wir haben hier rund 60 Kinder, davon 20 unter drei Jahren“, sagt Esken. Da sei die Versorgung durch das DRK besonders wichtig. Der Mensch müsse nun im Mittelpunkt stehen.
Bewohner fühlen sich nicht ausreichend informiert
Vor den Häusern in Verl wird es langsam unruhig. „Wir bekommen keine Informationen. Wann werden wir getestet?“, fragt ein Bewohner. Die Ankunft der für den Vormittag angekündigten mobilen Teams verzögert sich.
Der 50-Jährige arbeitet nicht bei Tönnies, er kennt jedoch Familien im Haus, die dort arbeiten. Sein Nachbar erzählt, er habe Angst, dass die Lage in den unter Quarantäne gestellten Wohnungen bald eskaliere. „Wir sind Freiheit gewöhnt und jetzt sind wir hier eingesperrt“, sagt der 26-Jährige. Er möchte so schnell wie möglich getestet werden und bei einem negativen Ergebnis wieder arbeiten gehen.
Bundeswehr kontrolliert Wohnungen
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Einige Meter weiter wird eine 88 Jahre alte Anwohnerin mit Rollator von ihrer Tochter mit Medikamenten versorgt. „Sie bekommt eigentlich Essen auf Rädern, das war heute Mittag auch schon nicht da“, so der Schwiegersohn. „Es hat sich niemand gemeldet, wie das nun laufen soll.“ Auch ob die Post zugestellt werde, wüssten sie nicht. „Drinnen ziehst du die Handschuhe dann aus und wirfst sie direkt weg“, erklärt die Tochter noch ihrer Mutter.
Gegen 13 Uhr erreichen dann die mobilen Teams die Siedlung in Verl. Mitarbeiter der Bundeswehr steigen aus. In einer Kolonne laufen sie zu den ersten Wohnungen. Am Bauzaun drängeln sich schon die Menschen. Ein Bundeswehrmitarbeiter macht Platz und schickt die Menschen in ihre Wohnungen. Die Männer in weißen Schutzanzügen betreten das Gelände. „Die Kontrolle soll hier flächendeckend stattfinden“, sagt Heribert Schönauer, Erster Beigeordneter der Stadt Verl. Inzwischen geht die Stadt davon aus, alle Wohnadressen der Tönnies-Mitarbeiter zu haben. „Die Informationspolitik von Tönnies war lange unzureichend“, sagt Schönauer.
„Wir müssen alles tun, um die Verbreitung des Virus zu reduzieren“
„Uns ist bewusst, dass wir mit der generellen Quarantäne tief in das Leben der Menschen eingreifen, auch wenn sie ganz woanders arbeiten“, sagt Verls Bürgermeister Michael Esken: „Aber wir müssen alles tun, um die weitere Verbreitung des Virus zu reduzieren.“ Das Kreisgesundheitsamt wird in den nächsten Tagen sie alle testen, 14 Tage sitzen sie nun hier. Gerüchteweise ist der eine oder andere vorsichtshalber abgehauen, Richtung Balkan.
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Verl liegt etwa 15 Kilometer entfernt von Rheda-Wiedenbrück und zeigt damit ganz gut, wie weit die Tönnies-Belegschaft verstreut ist. Im Kreis Soest, im Kreis Warendorf, in Hamm wohnen weitere Beschäftigte. Doch vor allem Verl mit seinem Quarantänegebiet und Rheda-Wiedenbrück, wo der größte Tönnies-Schlachthof liegt, sind am ersten Wochenende nach dessen Schließung weit vom Normalzustand entfernt. Da köchelt noch was.
Einwohner von Rheda rechnen weiter mit einer Schließung
Die Einwohner jedenfalls rechnen am Samstag noch fest damit, dass hier im Kreis Gütersloh bald alles wieder schließen muss. „Wenn nicht am Montag, dann Mitte der Woche“, sagt eine Passantin. Unterhalten sich zwei Frauen auf dem Markt in Rheda: „Ich denke, das ist noch nicht alles.“ – „Das dicke Ende kommt erst noch.“
Nun, man weiß es nicht so recht. Auch Sabrina Waldhaus in ihrem Klamottenladen „Kinderzimmer“ rechnet mit dem Runterfahren. „Eigentlich wollte ich die Direkthilfe des Bundes Ende des Jahres zurückzahlen, das wird dann nichts“, sagt sie. Andererseits schmeißt sie ihr Geschäft komplett alleine, hat keine Beschäftigten, „nur die Miete hier, das geht noch nicht an die Substanz“.
In der Fußgängerzone wirkt das Leben wieder halbwegs normal
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In der Fußgängerzone wirkt das Leben wieder halbwegs normal, nachdem es Donnerstag schockgefroren war. Aber auch hier gilt: Immer wieder sind Tönnies-Beschäftigte in kleinen Gruppen unterwegs, kaufen ein. „Die einen oder anderen werden rausgehen, die fallen aber auch auf“, sagt der Rentner Werner Eckardt: „Das darf auf keinen Fall zu Ausländerhass kommen.“
Mitten in der Fußgängerzone liegt auch das rumänische Geschäft „Magazin Romanesc Hermannstadt“: Blusen gibt es da, Spielzeug, Lebensmittel („Rom Caramele“); es ist interessanterweise das einzige Geschäft in der Stadtmitte, in dem – wieder oder noch – ein Tisch im Eingang den Zutritt versperrt. Man muss die Verkäuferin bitten, besser auf Rumänisch, denn Fragen beantwortet sie freundlich mit etwas, das klingt wie: „Control?“ Gibt aber nichts zu kontrollieren.
Und wieder eine Demonstration vor dem Gelände des Schlachthofs
Und wieder, wie schon öfter in den letzten Tagen, ploppt auch am Samstag eine kleine Demonstration auf. Um die 60 Leute diesmal. „Das System Tönnies sprengen“, steht auf einem Transparent, „Fleischproduktion sichergestellt, Bildung nicht“ auf einem anderen – eine Anspielung darauf, dass Schulen und Kitas hier schon wieder geschlossen sind.
Als einziges, da sollen Eltern nicht verzweifeln. Sondern glauben: Im Schaukasten der Versöhnungskirche steht „Alles wird gut.“ Allerdings steht es da schon länger. (mit dpa)