Ruhrgebiet. Corona legt etliche Hilfsprojekte auf der Südhalbkugel lahm. Helfer befürchten Hungersnöte. Aber die Spendenbereitschaft bleibt hoch. Noch.

Erst waren sie verängstigte Flüchtlinge, jetzt sind sie das selbstbewusste „Moria Corona Awareness Team“: die „Truppe, denen Corona bewusst ist“ im griechischen Flüchtlingslager Moria. „Es fing damit an, Masken zu nähen“, sagt Katrin Weidemann, die Vorstandsvorsitzende der Kindernothilfe, die die Leute von Moria Corona unterstützt. Dann begannen dieselben, in dem furchtbaren Lager Hygiene und Abstand zu predigen. Und, mithilfe von Eimern die Versorgung mit sauberem Wasser sicherzustellen. Eine Art Müllabfuhr einzurichten. Internationale Hilfe in Zeiten von Corona. Geht doch? Schwierig, sehr schwierig.

Und das ist praktisch nebenan, in der EU. Auf anderen Kontinenten? Fliegen geht fast gar nicht, nicht für Helfer, nicht für Hilfsgüter. Ausgeh- und Kontaktverbote sind in vielen Ländern des Südens strenger als bei uns, und die Polizei setzt sie oft gewaltsam durch: In Kenia starben schon Menschen daran. Einreise verboten, Schutzkleidung fehlt, die Gesundheitsversorgung ist generell mangelhaft: Auch das beeinträchtigt diejenigen, die helfen wollen. Und, viel schlimmer noch, es bedroht die Menschen, denen geholfen werden muss.

Im größten aller Flüchtlingslager ist der Zustrom der Helfer und Güter abgeebbt

Die Vorstandsvorsitzende Katrin Weidemann vor der Zentrale der Kindernothilfe in Duisburg.
Die Vorstandsvorsitzende Katrin Weidemann vor der Zentrale der Kindernothilfe in Duisburg. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

„In der Entwicklungszusammenarbeit liegen Projekte teilweise brach“, sagt Bernd Bornhorst, der Vorsitzende des „Verbandes Entwicklungspolitik und humanitäre Hilfe (Venro)“. Venro vertritt eine dreistellige Zahl deutscher Organisationen vom großen Hilfswerk bis zur Initiative. Bei der Kindernothilfe, der größten Hilfsorganisation im Ruhrgebiet mit Sitz in Duisburg, klingt das ganz ähnlich: „Einige Projekte sind erschwert, manche ganz zum Erliegen gekommen.“ Das gilt für die ganze Szene.

Praktisch alle Projekte befänden sich im Lockdown, unterliegen Zugangsbeschränkungen, brauchen Sondererlaubnisse. Das Welternährungsprogramm der Uno beschreibt etwa, was sich geändert hat im größten Flüchtlingslager der Welt, in Kutupalong Expansion in Bangladesch; bei jenen Menschen also, für die die WAZ-Leser im Winter so viel Geld spendeten: Statt zehntausender Helfer kommen nur noch einige hundert zu den Vertriebenen, und der tägliche Strom tausender Lkw mit Hilfsgütern und kommerziellen Waren ist stark ausgedünnt. Wer kommt, bringt Lebensmittel, denn es droht: Hunger.

„Bedrohung durch Hunger ist ebenso groß wie durch die Pandemie“

Hungersnöte auf der Südhalbkugel befürchten alle Hilfsorganisationen, die sich mit Corona und den Folgen auseinandersetzen. „Alle weisen darauf hin, dass das eine Bedrohung ist, ebenso groß wie durch die Pandemie“, sagt Katrin Weidemann. Ernten fallen aus, Lieferketten sind unterbrochen, Tagelöhner ohne Arbeit, Mädchen und Jungen ohne Schulspeisung – oft ohne ihre einzige Mahlzeit.

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„Von einem Tag auf den anderen haben sie nichts mehr“, so Weidemann: „Das wird sehr schnell sehr dramatisch.“ Bornhorst sagt es so: Sehr große Herausforderungen seien „Ausgangssperren, die zum Wegfall jeglicher Einkommensmöglichkeiten bei oftmals unzureichender staatlicher Unterstützung führen . . . Wir können uns das hier nicht vorstellen, wenn die Menschen vor der Alternative stehen, ihre Kinder zu ernähren oder sich vor Corona zu schützen.“ Und das „Deutsche Zentralinstitut für soziale Fragen (DZI)“ stellt fest: Hungersnöte in armen Ländern seien „leider schon jetzt zu beobachten . . . aufgrund von Massenentlassungen in der Corona-Situation“.

Gut aufgestellte Helfer stützen sich schon lange auf Partnerorganisationen vor Ort

Im Lager Moria auf der Griechischen Insel Lesbos versucht eine Gruppe von Flüchtlingen, die Versorgung mit sauberem Wasser aufrechtzuerhalten.
Im Lager Moria auf der Griechischen Insel Lesbos versucht eine Gruppe von Flüchtlingen, die Versorgung mit sauberem Wasser aufrechtzuerhalten. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Und wo bleibt das Positive? Hier: Hilfsorganisationen arbeiten eh schon meist mit lokalen Partnern zusammen, nutzen deren Kenntnis von Land und Leuten und deren Vertrauensvorsprung unter Einheimischen. Dadurch hält der Kontakt zu den Hilfsbedürftigen häufig auch heute noch. „Gut aufgestellte Hilfsorganisationen stützen sich schon seit Jahren zunehmend auf Personal und Partner vor Ort“, so DZI-Geschäftsführer Burkhard Wilke. Und: Selbsthilfe-Organisationen erweisen sich gerade als wunderbares Mittel, um Hilfen wie Hygieneartikel oder Lebensmittel zu den Leuten zu schaffen oder gleich selbst zu produzieren. Wie die Masken: wenn Nähen Leben rettet.

Die Basis von alledem sind Spenden, und Spenden fließen. Über die Jahrzehnte haben die Hilfsorganisationen die Erfahrung verinnerlicht, dass „bei Krisen im eigenen Land die Solidarität miteinander nicht generell abnimmt, aber die Spendenzwecke sich verlagern auf Projekte im Inland“. Weiter heißt es in einem Bericht, dass „die Spendenbereitschaft auch stabil bleibt, wenn es den Menschen in Deutschland selbst nicht so gut geht“. Auch das DZI berichtet: Das Spendenaufkommen von privater Seite steige sogar, bei Firmenspenden erwarte man aber deutliche Rückgänge.

Sorge um die Spendenbereitschaft, wenn die Wirtschaftskrise weiter durchschlägt

Venro befragt in diesem Monat seine Mitglieder, wie es 2020 damit aussieht. Die Kindernothilfe spricht aktuell von einem Spendenaufkommen, das „vergleichbar ist mit 2019“. Die Spenden über die Homepage und soziale Medien seien sogar „höher als bei vergangenen Katastrophen“. Wie es weitergeht, weiß freilich niemand: Was bleibt von der Spendenbereitschaft, wenn Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit durchschlagen. Dafür weiß Katrin Weidemann etwas anderes um so genauer: „Unsere Arbeit ist nach wie vor notwendig. Oder gerade.“