Ruhrgebiet. „Pfingsten findet statt“: Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck über die Folgen der Corona-Krise, den Wunsch nach Normalität und den Heiligen Geist.
Nach mehr als elf Wochen wird Pfingsten in den meisten Kirchen wieder live gefeiert. Ruhrbischof und Sozialbischof Franz-Josef Overbeck hält den Pfingstgottesdienst am Sonntag (9.30 Uhr) im ZDF. Wir sprachen mit ihm über die Phasen der Corona-Krise, über das menschliche Miteinander, neue Armut und den Heiligen Geist.
Die Corona-Krise habe eine besondere Dimension, haben Sie im März gesagt, als das öffentliche Leben teilweise stillgelegt wurde. Wie gehen die Menschen nach mehr als zwei Monaten damit um?
Bischof Overbeck: Nach der ersten Phase, die wie eine Schockstarre war, folgte eine nachdenkliche Phase der Solidarität. Es ging vor allem sich und andere zu schützen, damit das Virus nicht weiter Ausbreitung findet. Dann kam eine unruhige Phase, weil uns das Virus vor allem im sozialen Bereich, im Bereich des gewohnten Miteinanders so sehr einschränkt. Viele haben gefragt: Wie lange dauert dieser Ausnahmezustand noch? Und jetzt ist eine Phase eingetreten, in der einige auch aggressiv auf die persönlichen Einschränkungen reagieren. Mich macht sehr nachdenklich, wie manche Populisten und politische Kreise die notwendigen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie und die Verunsicherung vieler Menschen benutzen, um politischen Nutzen daraus zu ziehen. Da sage ich sehr deutlich: Das geht nicht. Wer Ängste schürt und Feindbilder zeichnet, gefährdet unser Gemeinwesen. In meinem privaten Umfeld nehme ich wahr, dass viele sich inzwischen nach Normalität sehnen. Umso mehr kann ich verstehen, wie sehr viele Familien den Wunsch verspürten, ihre kranken oder alten Angehörigen in den Altenheimen oder Krankenhäusern wieder in den Arm nehmen zu können.
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Stichwort Solidarität: Die hatten wir am Anfang der Krise neu entdeckt. Was ist davon geblieben?
Ich glaube, dass Solidarität nicht nur in den ersten Wochen eine große Rolle gespielt hat. Das Virus hat uns eine völlig neue globale Herausforderung vor Augen geführt. Solidarität ist deshalb das Gebot der Stunde – hier vor Ort, in Europa und weltweit. Darauf hinzuweisen, ist sowohl eine wichtige Aufgabe der Politik wie auch der Kirchen.
„Es muss möglich sein, Sterbenden beizustehen“
Wir streben nach Lockerungen, Sie sprachen von Sehnsucht: Halten wir es nicht mehr miteinander aus oder nicht mehr ohne einander?
Es gibt ein normales menschliches Bedürfnis, sich mit anderen ohne Einschränkungen treffen und zusammen sein zu können. Wir alle spüren, was es bedeutet, wenn dies über einen längeren Zeitraum nicht möglich ist. Es verlangt vielen Menschen eine enorme Disziplin ab.
Wie sehen Sie denn die aktuellen Lockerungen? Sind sie Ihnen zu wagemutig oder vielleicht auch noch zu vorsichtig?
Ich habe großes Verständnis für alle, die sich nach den langen Wochen der Einschränkungen nach Normalität sehnen. Andererseits sollte uns allen klar sein, dass die große Akzeptanz der notwendigen Maßnahmen dazu geführt hat, dass wir in Deutschland die Pandemie bislang besser als manch andere Staaten bewältigt haben. Deswegen sage ich: Das Virus ist noch da. Alle Lockerungen sollten mit Augenmaß erfolgen. Mir ist es vor allem wichtig, dass wir uns um Kranke und Alte persönlich kümmern und sie besuchen können. Es muss möglich sein, Sterbenden beizustehen, an ihrem Bett sitzen zu können. Und wir müssen unbedingt etwas tun für die die Familien, für die die Corona-Zeit eine besondere Herausforderung bedeutete und vielfach nicht ohne Folgen bleiben dürfte.
Wir sehen inzwischen auch die wirtschaftlichen Schäden, auch für den Einzelnen. Was macht das mit unserer Gesellschaft, wird es eine neue Armut geben?
Die wirtschaftlichen Folgen sind sicher in ihrer Tragweite noch nicht absehbar. Schon jetzt sind die ökonomischen Schäden sowohl für die meisten Unternehmen als auch für die Beschäftigten sehr groß. Sowohl die Zahl der Arbeitslosen wie der Kurzarbeitenden sind dafür deutliche Anzeichen. Und es trifft auch viele, die sich bereits vor der Corona-Krise in prekären Arbeitsverhältnissen befanden und nunmehr in noch größere Not geraten können. Ich bin froh über unser gutes Sozialsystem, das das relativ gut abfedert. Aber wir wissen auch um all die Schräglagen.
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Brauchen wir dafür die Hilfsinitiative „Wir im Revier“?
Es braucht Initiativen, die zeigen, was Solidarität ist, und die deutlich machen: Wir nehmen auch die wahr, die zu den großen Verlierern gehören. Wenn ich sehe, was einige, denen durch diese Aktion schon geholfen werden konnte, uns geschrieben haben, dann trifft das das Herz. Manchmal ist unsere Hilfe vielleicht nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, aber es ist mehr als nichts. Ich bin der Überzeugung, dass solche konkrete Zeichen der Solidarität mehr bewirken als sich durch Zahlen ausdrücken lässt. Das kann auch weitere Leute motivieren, etwas zu tun.
Vieles, was Seelsorger leisten, geschieht im Stillen
Was kann Kirche tun, um den Menschen in dieser Situation zu helfen?
Aufgabe der Kirche ist es, den Menschen mit ihren Sorgen und Nöten in dieser schwierigen Zeit beizustehen und ihnen Zuversicht zu vermitteln. Vieles, was unsere Seelsorgerinnen und Seelsorger leisten, geschieht nicht in der Öffentlichkeit, sondern oft diskret oder im Stillen. Auch hat es vielen Menschen geholfen, dass man im Gebet verbunden war und noch immer verbunden ist. Und selbstverständlich können wir auch über unsere Caritasverbände vielerorts Not lindern und Rat und Hilfe leisten.
Wir hörten vor sechs Wochen den tröstlichen Satz: Ostern findet statt. Was ist mit Pfingsten?
Pfingsten findet auch statt, erst recht, weil Pfingsten für uns Christen die Vollendung von Ostern ist: Da geht es um den guten Geist. Ich nehme soviel Geist der Verzagtheit und des Unbesonnenen wahr, dass ich jetzt immer gerne den Apostel Paulus zitiere: Der hat darum gebeten, dass wir den Geist des Mutes, der Kraft und der Besonnenheit erbitten sollen. Ich finde, das brauchen wir heute erst recht, und das übrigens nicht nur als Christen. Das kann jeder Mensch verstehen, mit dem Kopf und mit dem Herzen.
>> INFO: DIE HILFSAKTION „WIR IM REVIER“
Sie sind Rentner, die ein kleines Einkommen mit einem Minijob aufgebessert hatten. Familien, die ihren Kindern keinen Laptop für das Lernen zuhause finanzieren können. Künstler, die keine Auftritte mehr haben. Solo-Selbstständige, die durch das Netz der Soforthilfe fallen, Alleinerziehende, denen der Nebenjob weggebrochen ist, der die Haushaltskasse noch ein kleines bisschen aufgestockt hat: Vielen Menschen konnte die Hilfsinitiative „Wir im Revier“ in den vergangenen Wochen schon helfen. Menschen, die durch die Corona-Krise in Not geraten sind.
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Die Funke Mediengruppe NRW hat zusammen mit großen Stiftungen und Unternehmen im Ruhrgebiet einen Spendentopf gefüllt, Empfänger können vorgeschlagen werden und bis zu 1000 Euro erhalten. Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck sitzt dem Beirat vor, den inzwischen Dankesbriefe erreichten, die, wie er sagt, „das Herz treffen“: „Vielen, vielen Dank für diese erfreuliche Nachricht“, heißt es da, „ich habe Tränen in den Augen.“ Oder: „Es ist mir kaum möglich, meine unfassbare Dankbarkeit auszudrücken.“ Oder: „All denen, die mir die großartige Hilfe ermöglicht haben, bin ich auf ewig dankbar.“
„Sie glauben gar nicht, wie ich mich freue“, schrieb jemand. Eine anderer: „Ich habe die ganze Zeit geweint, dass ich so etwas Positives erleben darf.“ „DANKE! DANKE!! DANKE!!!“, steht schlicht in einem Brief und: „Das hilft mir sehr.“ Sprachlos seien sie vor Dankbarkeit und Glück, ließen Menschen aus dem ganzen Ruhrgebiet wissen. Sie boten ihre ehrenamtliche Hilfe an bei Caritas oder Diakonie, die die Hilfe koordinieren und luden zu Konzerten ein, wenn diese wieder stattfinden dürfen. Und kaum eine Nachricht, die nicht so endete: „Bitte bleiben Sie gesund!“
Schlagen Sie gern weitere Menschen vor, die Hilfe brauchen: www.wir-im-revier.de