Bochum. In den Wochen der akuten Corona-Krise haben sie sich tapfer geschlagen, die deutschen Kliniken. Doch nun kommt die eigentliche Bewährungsprobe.
Zwei Dutzend einfacher, weißer Klebehaken zeugen noch von den frühen Schrecken der Pandemie. Sie hängen an einer kahlen Wand auf der Intensivstation des Bochumer St. Josef-Hospitals, schräg gegenüber dem Zimmer, in dem zwei Corona-Patienten aus dem italienischen Bergamo wochenlang um ihr Leben kämpften. Eine einsame FFP2-Maske und ein selbstgebasteltes „Face Shield“, zusammengetackert aus Plastik, Schaumstoff, Gummiband und viel Pflaster, erinnern an die Zeiten, als Schutzausrüstung Mangelware war – „und wir Einmal-Produkte immer wieder verwenden mussten“, erklärt Dr. Thomas Breuer, ärztlicher Leiter der Intensivstation.
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Doch nun, da die Menschen draußen sich wieder mit Freunden im Biergarten treffen, in Fitnessstudios und Freibäder strömen, die Kinder in die Schulen zurückkehren und die Bundesliga wieder Fußball spielt – nun ist auch im Katholischen Klinikum Bochum (KKB), zu dem das Josef-Hospital gehört, wieder so etwa wie Normalität eingekehrt. Eine neue, eine andere Normalität aber als die „vor Corona“, sagt Prof. Christoph Hanefeld, der medizinische Geschäftsführer des Hauses.
Derzeit wird nur eine Corona-Patientin auf der Intensivstation behandelt
Zweimal schon wurde die Schleuse, die die normale Intensivstation vom „Covid-19-Bereich“ trennt, nach hinten verschoben. Gerade mal zwei Zimmer mit vier Betten ganz am Ende des langen Ganges liegen nun noch dahinter. Die im Februar für die Schleuse aufgebauten Wände aber bleiben stehen – „für alle Fälle“. Für die zweite Welle womöglich, mit der uns das Virus im Herbst kommen könnte. „Das kann ganz schnell wieder losgehen“, fürchtet Thomas Breuer aber auch angesichts der aktuellen Lockerung der Beschränkungen – bei allem Verständnis, das er als dreifacher Familienvater dafür hat. Denn: „Corona ist eine eine höchst gefährliche Erkrankung, keine Erfindung.“
Anfangs hatte man die komplette Abteilung für Corona-Patienten frei gehalten, auch internistische, nicht operierte Patienten, die hier eigentlich „zuhause“ waren, auf der chirurgischen Intensivstation mit versorgt. Im Nebengebäude stampften sie zudem eine dritte, ganz neue Intensivstation aus dem Boden. 15 Normal-Stationen wurden dafür geschlossen, Personal umgeschichtet, alle nicht zwingenden OPs verschoben. „Bei maximaler Auslastung hätten wir hier so 133 Corona-Patienten behandeln und davon knapp 90 beatmen können“, so Hanefeld.
Erleichtert, dass die „große Katastrophe“ ausgeblieben ist
Am frühen Morgen des 16. März kam der erste. Knapp 50 weitere folgten ihm bis heute. Nur die Hälfte von ihnen landete auf der Intensivstation, in der Spitze waren es acht gleichzeitig, erinnert sich Dr. Breuer. Am Montag ist eine 75 Jahre alte Frau die einzige Covid-19-Patientin auf seiner Intensivstation, in den Betten der beiden „Bergamos“ liegen eine Frau mit einer Blutvergiftung und ein Mann mit einer Varizenblutung in der Speiseröhre.
Dass die Kapazitäten, die unter Mühen und in großer Eile geschaffen wurden, letztendlich nicht wirklich benötigt wurden: niemand im KKB ärgert sich darüber. Im Gegenteil: er sei unglaublich erleichtert, dass es so gekommen sei, gesteht Prof. Hanefeld, „dass die ganz große Katastrophe ausblieb“. Vor allem die Bilder aus Italien gehen ihm nicht mehr aus dem Kopf: „moderne, gut ausgestattete Intensivstationen, die aussehen wie unsere, doch angesichts der Situation und der schieren Masse an Patienten vollkommen überfordert waren“.
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„Wir hatten Glück“, räumt Prof. Hanefeld heute ein. Weil unser Gesundheitssystem „trotz aller Notwendigkeit zur Veränderung eines der besten ist, die es gibt“; und weil wir Zeit zur Vorbereitung hatten. Aber es war, ergänzt er, auch das „Glück der Tüchtigen“. „Die viel kritisierten deutschen Kliniken haben gezeigt, was sie können.“ In einem kleinen Buch mit dunklem Ledereinband hält er seine persönlichen Erfahrungen in den Tagen der Krise fest, die guten wie die schlechten. „Wir dürfen nicht vergessen“, erklärt er. Nicht, dass in einem Land wie Deutschland plötzlich keine Schutzausrüstung zu bekommen war; nicht, dass irgendwann selbst gängige Medikamente wie Propofol knapp wurden (und es teils noch sind). Aber eben auch nicht, „wie toll unsere Mannschaft agiert hat, wie super alle an einem Strang gezogen haben.“ Am Freitag, dem 13. März, erinnert sich da Breuer, tagte seine „Corona-Gruppe“ zum ersten Mal. Am Montag drauf stand das Konzept für die Intensivstationen!
Doch die eigentliche „Bewährungsprobe“, glaubt Hanefeld, stehe noch bevor. Die Rückkehr zum Alltag an seiner Klinik, das „Abarbeiten“ der verschobenen Operationen (was Monate dauern werde), die Lockerung von Besuchsregelungen – all das gelte es behutsam anzugehen. Es sei „eine sehr schwierige, komplexe Aufgabe“, Nun gelte es etwa auch zu erkennen, dass jemand, „der mit Durchfall kommt oder auf der Orthopädie liegt, mit dem Virus infiziert ist“. Die Infektionsstation sei deshalb gerade voll belegt – mit Verdachtsfällen: „Ein negativer Abstrich sagt nichts...“.
Niemand muss Angst haben, ins Krankenhaus zu kommen
Dennoch, das betont Dr. Breuer, sei es wichtig, dass die Menschen wieder Vertrauen fassten. „Niemand muss Angst haben, ins Krankenhaus zu kommen, wenn es ihm schlecht geht.“ Noch immer höre er aus der Notaufnahme, dass dort täglich wenigstens zwei Patienten auftauchten, „die besser drei Tage vorher gekommen wären.“ Längst wisse man auch mehr über die Behandlung der Covid-19-Patienten selbst. Dass die Bauchlagerung anders als bei anderen Lungenkranken nicht immer helfe. Dass Blutverdünner sich dagegen bei manchem positiv auswirkten – und das neu zugelassene Medikament Remdesivir die Krankheitsdauer – die im Schnitt bislang drei Wochen betrug – verkürzen kann. Die 75-Jährige, die derzeit als einzige auf der Corona-Station betreut wird, kam am vergangenen Mittwoch. Im Laufe der Woche, so hofft Breuer, könne sie wieder verlegt werden.
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Er selbst sagt, die Angst, die er anfangs vor dem unbekannten Virus gehabt habe, sei „Respekt“ gewichen. Eine eigene Studie im Haus mit 200 Teilnehmern ergab nicht einen einen einzigen positiven Abstrich – und keine Unterschiede zwischen Mitarbeitern in Hochrisiko-Abteilungen wie Infektiologie, Intensivstation oder Notaufnahme zu denen in Technik, EDV und Verwaltung. „Wir wissen jetzt, wie wir uns schützen können. „Ich denke, heute würde ich mich eher im Privaten anstecken als hier in der Klinik.“
>>> INFO: 28 Millionen verschobene Operationen
Weltweit wurden wegen der Corona-Pandemie in den vergangenen zwölf Wochen einer aktuellen Studie zufolge 28 Millionen OPs verschoben. Allein in Deutschland waren es demnach eine Million Eingriffe.
Im Katholischen Klinikum Bochum ging die Zahl der OPs im April um 50 und im Mai um 25 Prozent zurück (jeweils im Vergleich zum Vorjahresmonat).
560 Euro zahlt der Staat den Kliniken für jedes Bett, das leer blieb, weil es für Corona-Patienten frei gehalten wurde. Zuwenig für manche hoch spezialisierte Abteilung einer Universitätsklinik, sagt Prof. Hanefeld. Zumal die dortigen Ambulanzen bislang gar keine Unterstützung erhielten. Er hofft auf „Nachbesserung“.