Essen. Ihre Tochter starb vor einem Jahr als Beifahrerin in einem Rennwagen auf der A 52 in Essen. Seitdem wartet die Mutter auf Antworten.

Antworten will sie hören. Möchte von der Justiz wissen, warum ihre Tochter mit 18 Jahren als Beifahrerin in einem Rennwagen sterben musste. Doch die Essener Justiz hält sich zurück. Über ein Jahr nach dem Unfall auf der A52 bei Kettwig weiß das Essener Amtsgericht noch nicht, ob die Anklage gegen den 24 Jahre alten Todesfahrer aus Essen-Bredeney überhaupt zugelassen wird. Er steuerte am 20. März 2019 den McLaren 570 S Coupe und verlor die Kontrolle über den 570 PS starken Zweisitzer. Fahrlässige Tötung ist angeklagt.

Es ist kein leichtes Gespräch mit der Mutter der getöteten Gina Maria Pfeiffer. Tränen fließen, Verzweiflung erschüttert die 51 Jahre alte Beamtin, wenn sie an ihr Kind denkt. Abitur hatte es an einem Bredeneyer Gymnasium gemacht und war „ein absoluter Familienmensch, sehr sozial eingestellt“. Immer wieder bewegt Trauer die Mutter. Es ist nicht richtig, wenn Eltern ihre Kinder begraben müssen. Es ist zum Heulen.

Für die Mutter ist wichtig, dass der 24-Jährige die Strafe fühlen wird

Doch sie führt das Gespräch mit der WAZ, weil sie ratlos ist. Fragen stellt sie, niemand antwortet. Wer ist der Mann, in dessen Auto ihre Tochter stieg? Wie gut kannte die 18-Jährige ihn? Was hat er vor Gericht zu erwarten? Für die Mutter ist wichtig, dass der 24-Jährige eine Strafe auch fühlen wird. „Ich werde ihm nie verzeihen können.“

Gina Pfeiffer starb bei einem Unfall. Ihre Mutter erhofft sich Antworten auf zahlreiche offene Fragen.
Gina Pfeiffer starb bei einem Unfall. Ihre Mutter erhofft sich Antworten auf zahlreiche offene Fragen.

Zwei Tage vor dem Unfall auf der A52 hatte er das Fahrzeug bekommen. Geleast für monatlich 1425,62 Euro. Da stand der McLaren, ein Rennwagen, der in 3,2 Sekunden auf 100 und in 9,5 Sekunden auf 200 km/h beschleunigt. Höchstgeschwindigkeit 328 km/h. „Eine Waffe“, behauptet Rechtsanwalt Jörg Küpperfahrenberg, der die Mutter im Strafprozess in der Nebenklage vertritt.

Bei McDonalds fiel der McLaren auf

Bei McDonalds südlich der Essener Innenstadt fiel der Bolide an jenem Abend einem Familienvater auf, „weil er den Lauten machte“. Kurz danach sah er den McLaren, wie er auf die A 52 einbog. Sehr laut, sehr schnell.

Nach wenigen Kilometern passierte der McLaren laut Gutachten bei einem Tempo zwischen 286 und 314 km/h auf der linken Spur eine Bodenwelle. Der Wagen muss leicht abgehoben haben, wäre aber geradeaus weiter gefahren.

Bei Tempo 300 Lenkrad verrissen

Doch der 24 Jahre alte Autofahrer verriss das Lenkrad, sagt der Gutachter, steuerte zunächst auf die linke Betonabsperrung zu, touchierte sie, schleuderte dann nach rechts, schoss unter der Leitplanke durch, die Böschung hinunter vor einen Baum.

Der 24-Jährige blieb nahezu unverletzt. Er war aus dem Wagen geschleudert worden, weil er sich nicht angeschnallt hatte. Gina Maria Pfeiffer hatte den Gurt angelegt, durch den Aufprall starb sie sofort.

Beschuldigter schweigt im Ermittlungsverfahren

Die Anklage wirft dem 24-Jährigen einen Fahrfehler vor, weil er nicht schnell genug seinen ersten Fahrfehler korrigiert habe. Überhöhte Geschwindigkeit wirft sie ihm nicht vor, weil dort kein Tempolimit gegolten habe. Er selbst hat im Ermittlungsverfahren geschwiegen. Direkt nach dem Unfall hatte er Polizisten gesagt, es müsse sich um einen technischen Defekt bei Tempo 140 bis 150 km/h handeln. Doch das schließt der Gutachter aus. Alkohol oder Drogen spielen keine Rolle.

Säße der 24-Jährige in U-Haft, hätte die Hauptverhandlung sechs Monate nach dem Unfall beginnen müssen. So drängt keine Frist, Nachfragen beim Gutachter kosten Zeit. Aktuell liegt die Anklage bei Amtsrichterin Heike Stumm. Sie ist Einzelrichterin, die Staatsanwaltschaft erwartet also eine Strafe von höchstens zwei Jahren Haft.

Opferanwalt sieht "grob fahrlässige" Fahrweise

Dagegen wehrt sich Nebenklageanwalt Jörg Küpperfahrenberg. Er fordert, die Anklage ans Schöffen- oder direkt ans Landgericht abzugeben, weil sie höher bestrafen dürfen. Denn der Beschuldigte habe den Tod seiner Beifahrerin „grob fahrlässig“ herbeigeführt. Ihm hätte klar sein müssen, dass er den Rennwagen nicht beherrsche.

Völlig unangemessen findet er auch den handschriftlichen Brief, den der 24-Jährige seiner Mandantin, der Mutter der Toten, geschrieben hat. Mit „Liebe Claudia“ beginnt er und stellt ihr Leid, ihre Trauer, auf eine Stufe mit seinem. Kein Wort von eigener Schuld. „Ich habe den Mann noch nie getroffen“, empört sich die 51-Jährige.

Leasingfirma fordert vom Fahrer 116.857,88 Euro

Sein Angebot eines Treffens hat sie nach langer Bedenkzeit annehmen wollen, erhoffte sich Antworten. Doch es kam nichts, als sie bei seinem Verteidiger Roland Rautenberger nachfragte. Anfragen der WAZ ließ er auch unbeantwortet.

Noch ist nicht entschieden, ob die Anklage zugelassen wird. Ungeklärt ist auch ein Zivilverfahren am Landgericht Essen. Die Leasingfirma fordert vom 24-Jährigen 116.857,88 Euro für den zerstörten McLaren, denn eine Vollkaskoversicherung habe er trotz Zusicherung nicht abgeschlossen. Die Firma spricht im Schriftsatz von einer „maßlos überhöhten Geschwindigkeit“.