Anwalt des bei einem Verkehrsunfall schwer verletzten Mädchens legt gegen das Urteil Rechtsmittel ein. Vor Gericht wurde er gar nicht erst gehört
Am 23. April 2006 wurde ein geistig und körperlich behindertes Mädchen (15) Opfer eines schweren Verkehrsunfalls, der sich auf der A 2 auf Castrop-Rauxeler Gebiet ereignete. In der vergangenen Woche war die Hauptverhandlung. Wie unsere Zeitung auf Anfrage erfuhr, legte der Anwalt der Nebenklägerin jetzt Rechtsmittel gegen das Urteil ein.
Am Steuer des Unglückswagens saß die heute 67-jährige Helga W, Leiterin einer Behinderteneinrichtung in Bottrop. Sie war mit geistig behinderten Kindern auf dem Rückweg von einem Ausflug und verursachte den Unfall ohne Einwirkung anderer Verkehrsteilnehmer.
Dem Mädchen wurde bei dem Unfall der rechte Arm abgerissen. Rechtsanwalt Hans-Joachim Kirsch aus Berlin war als Nebenkläger-Vertreter des schwer verletzten Mädchens bei der Hauptverhandlung dabei und kann das Urteil nicht nachvollziehen. "Ich finde es mehr als bedenklich, dass unter Berücksichtigung der schweren Verletzung des Mädchens die Angeklagte lediglich ein Strafmaß von 90 Tagessätzen à 30 Euro bekommen soll, also 2700 Euro. Mir ist in vergleichbaren Strafverfahren eine solch' geringe Bestrafung noch nicht vorgekommen", sagt er.
Normalerweise werde das Nettogehalt, so Kirsch, durch 30 Tage dividiert, um auf den Tagessatz zu kommen. Im Fall von Helga W. nannte Richter Schwarz einen Nettoverdienst von 2200 Euro. Das würde nach üblichem Verfahren also einen Tagessatz von 73 Euro ausmachen, also eine Gesamtstrafe von 6570 Euro und nicht von 2700 Euro. Mandanten seien wegen erheblich geringfügigerer Delikte deutlich höher bestraft worden, so der Anwalt. Zum Beispiel werde wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort neben Geldstrafen regelmäßig ein Fahrverbot verhängt, bis hin zum Entzug des Führerscheins. Und noch einen weiteren Vorfall während der Hauptverhandlung in der vergangenen Woche hält Anwalt Kirsch, der seine Sicht der Dinge im Gerichtssaal nicht vortragen durfte, für befremdlich und unverständlich. "Dass ein Richter dem Staatsanwalt vorgibt, welchen Antrag er zu stellen hat, habe ich noch nie erlebt. Normalerweise ist ein Staatsanwalt unabhängig", so Anwalt Kirsch.
Richter Schwarz hatte in der Verhandlung am Freitag, 10. August, gesagt, dass der Staatsanwalt jetzt "den Antrag auf 90 Tagessätze à 30 Euro stellen soll." Worauf der Staatsanwalt tatsächlich diese Forderung als Strafantrag stellte. Das Verfahren scheint also in die nächste Runde zu gehen.