Heiligenhaus/Ratingen. Wie geht es weiter, wenn das Kind sterben muss? Melissa Scholten hat ihre Erfahrungen mit Julius verarbeitet – ihr Buch feiert den Mut zu leben.
Es gibt Worte, die die Welt verändern können. Schöne Worte, aber auch sehr schlimme. Eine Welt bricht für Melissa Scholten zusammen, als sie am 29. Mai 2015 von Ärzten erfahren muss, dass ihr vierjähriger Sohn einen großen Tumor am Herzen hat. Es wird geweint, bitterlich — aber aufgeben ist für die Mutter aus Heiligenhaus keine Option, auch wenn sie am Ende weiß, dass Julius wird sterben müssen. Die Geschichte von Julius, dem tapferen kleinen Kämpfer, bewegte viele Menschen. Nun hat Melissa Scholten ein Buch im Klartext-Verlag veröffentlicht. Nicht nur, um Julius Geschichte zu erzählen, sondern vor allem, um anderen Menschen Mut zu machen, das Leben anzunehmen, wie es ist, auch wenn es gerade für einen selbst gefühlt zu Ende geht.
Eine besonders bösartige Knochenkrebsart
Dickköpfig, lebenslustig und voller Entdeckungsgeist: Ein ganz normales Kind scheint der damals vierjährige Julius zu sein. Bis da diese Beule auf der Brust auftaucht, die sich später als Ewing-Sarkom, eine besonders bösartige Knochenkrebsart, herausstellen soll. „Ich habe relativ früh aufgehört, mich zu fragen, warum gerade er, ein unschuldiges vierjähriges Kind an so einer bösen Art Krebs erkrankt“, berichtet Melissa Scholten. Denn schnell habe sie eingesehen, dass diese Frage keinen Sinn macht, „ein Arzt sagte einmal zu mir, er habe einfach Pech gehabt.“
Es folgt ein langer Kampf, den Scholten in dem Buch „JuliusTigerHerz – Aufgeben ist keine Option“ auch ausführlich beschreibt. Es werden Jahre voller Angst, mit großen und kleinen Eingriffen, mit vielen Arztbesuchen, Chemos, Bestrahlungen, Medikamenten. 2018 dann die Schocknachricht: Der Tumor ist wieder da. „Und dann stehst du da und hast nur zwei Möglichkeiten“, beschreibt Scholten die schwerste Entscheidung ihres Lebens. Weiter an deinem kleinen Kind herumzuexperimentieren, weil die Hoffnung sagt, vielleicht geht es doch noch gut aus, obwohl der Weg aussichtslos scheint — oder sich klarzumachen: Dein Kind wird sterben. Und du willst noch das Bestmögliche für sein kurzes Leben herausholen.“
Scholten, selber Krankenschwester, Rettungsassistentin und Feuerwehrfrau in Ratingen, entscheidet sich für die zweite Variante. Später wird sie auch kritische Stimmen dazu hören, aber sie sagt ganz klar: „Wir haben wirklich gekämpft, aber irgendwann ist es an der Zeit, sich für das Leben zu entscheiden.“ Also wird aus den letzten Tagen das Beste gemacht. „Du weißt nie, wie viel Zeit dir am Ende bleibt, also sollte man nichts aufschieben“, so Scholten. Sie beginnt, einen Blog zu schreiben, um den großen Familien- und Freundeskreis an Julius’ Schicksal teilhaben zu lassen. „Es war aber auch für mich psychologisch wichtig. Es waren kleine Päckchen, die ich beim Schreiben quasi wegschicken konnte.“
Anfeindungen übers Internet
Viele Menschen werden auf sie aufmerksam, bewundern, wie offen und ehrlich Scholten Klartext spricht, und ebenso zeigt, wenn sie stark oder einmal sehr verletzlich und kraftlos ist. Über den Blog erhält sie viel Zuspruch, aber auch kritische Stimmen melden sich, „es gibt immer jemanden, der etwas besser weiß beim Thema Krebs“, so Scholten. Irgendwann muss sie sogar die Kommentarfunktion ausstellen, da sie es mit Anfeindungen zu tun kriegt. „Wir waren im Hospiz, und jemand warf uns vor, dass ich mein Kind sterben lasse und es öffentlich zur Schau stellen würde.“ Sie ist noch immer fassungslos.
Doch vor allem an die schönen Dinge will sie sich erinnern. An die vielen Unternehmungen, die sie mit Julius noch erlebt hat, an den Zeppelin-Flug, den Besuch im Legoland, auf Zollverein, bei McDonalds und einige Reisen wie auch eine Seefahrt. Doch keine vier Jahre nach der Diagnose wird sie ihr Kind am 11. Mai 2019 im Bergischen Kinder- und Jugendhospiz ein letztes Mal auf eine Reise begleiten. Julius wird nur sieben Jahre alt.
„JuliusTigerHerz“ nimmt nicht nur mit auf eine sehr bewegende Reise, es ist vielmehr ein Kraftmacherbuch, wie es auch Tobias Korenke, Sprecher der Funke Mediengruppe, bei der Buchvorstellung in Essen beschreibt. Scholten will anderen Menschen Mut machen, sich schlimmen Diagnosen und auch dem Tod zu stellen, darüber zu reden, den Kampf aufzunehmen. Sie beschreibt, dass zwischen all der Trauer und Wut auch Lachen und Lebensfreude Platz finden können — und müssen.
„Wie toll das Leben sein kann, trotz des Krebses“
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„Man kriegt einen seltsamen Humor, den auch nur die Menschen verstehen, die selber eine ähnliche Situation durchmachen. Aber es ist so wichtig, auch gemeinsam lachen zu können“, so Melissa Scholten. Sie erzählt, wie der Krebs ihre Welt auf den Kopf gestellt hat — und am Ende der Tumor nicht nur das Leben ihres Sohnes forderte, sondern auch das Leben aller Betroffenen verändert, wie man selber ein wenig stirbt beim Verlust eines so geliebten Menschen. Aber auch „wie toll das Leben sein kann, trotz des Krebses. Nehmt es an und macht das Beste draus“, sagt Melissa Scholten. „Die schönen Dinge zu erkennen, ist wichtiger, als immer zu jammern.“