Bochum. Chemo half nicht mehr gegen den Lungenkrebs. Aber nach einer Immuntherapie erlebte der Bochumer Rolf Hagel nun die Geburt seines ersten Enkels.

Er wollte „nicht wehleidig sein“. Aber als er schon 25 Kilo verloren hatte und die Schmerzen kaum noch auszuhalten waren, ging Rolf Hagel doch ins Krankenhaus: Lungenkrebs, eine faustgroße Metastase im Bauch, eine kleine in der Leber. „Weißte was, Mädchen“, sagte er zu seiner Frau, „jetzt wird gekämpft. Und ich versuche zu gewinnen.“ Das war vor vier Jahren. Heute, am Weltkrebstag, kann Hagel (66) sagen: „Ich bin auf der Siegerstraße.“

Dabei hat am Anfang gar nichts geholfen. Die Diagnose traf den dreifachen Vater „wie eine Latte auf die Birne“, der Schlosser stand doch noch im Berufsleben, die Kinder waren gerade groß, er dachte zum ersten Mal an die Rente. Und dann die Chemo, die alles eher schlimmer als besser machte. „Er war damals wirklich schlecht zurecht“, erinnert sich Prof. Anke Reinacher-Schick, Chefärztin der Onkologie am St. Josef-Hospital in Bochum. „Arm dran“, sagt sie auch, und „nur noch Haut und Knochen“. Es klingt besonders dramatisch, wenn eine Professorin das sagt.

Das jahrelange Rauchen sieht man der Lunge noch an

Rolf Hagel weiß noch, wie ein Infekt ihn matt setzte, wie er keine Luft mehr bekam und damit die Quittung für mehr als 40 Jahre Rauchen. Seine Ärztin muss das bestätigen: „Man sieht der Lunge heute noch an, dass er viel geraucht hat.“ So mager war der Kranke: „Mich brauchten sie zum Röntgen nur vor die Lampe zu halten.“ Nur war das damals nicht lustig; die Ärzte dachten schon darüber nach, den Patienten heimzuschicken, berieten sich intensiv: „Bieten wir ihm überhaupt noch etwas an?“

Die Metastase ist, wie die Ärzte sagen, „kaum noch darstellbar“. Rolf Hagel mit Prof. Waldemar Uhl und Prof. Anke Reinacher-Schick beim Ultraschall.
Die Metastase ist, wie die Ärzte sagen, „kaum noch darstellbar“. Rolf Hagel mit Prof. Waldemar Uhl und Prof. Anke Reinacher-Schick beim Ultraschall. © Funke Foto Services | Andreas Buck

Aber sie hatten noch etwas anzubieten, es war noch ziemlich neu und bislang eher gegen Hautkrebs erfolgreich: die Immuntherapie. Eine Methode, von der ihre Lehrer der angehenden Onkologin Reinacher-Schick noch abgeraten hatten. „Das wird nichts“, ahnten sie und lagen falsch. Heute ist die Immun- die „neue Säule in der Tumortherapie“, sagt die Ärztin und erklärt die Sache so: Wenn der Krebs die körpereigene Immunabwehr unterdrückt, lassen die neuen Medikamente die Fresszellen wieder von der Leine – der Körper wehrt sich wieder.

Freude über jedes zugenommene Gramm

Das wirkt nicht bei jedem, und mancher leidet unter schweren Nebenwirkungen, aber bei Rolf Hagel schlug es an: Er, der nur noch liegen konnte, steht wieder.

Er geht auch, zwar lieber mit Rollator, aber zuhause geht es auch ohne. Die Metastase im Bauch, die so schmerzhaft auf den Rücken drückte, ist geschrumpft. „Zwei Zentimeter vielleicht noch“, sagt Reinacher-Schick und zeigt ihre Faust: „Die war riesig.“ Die Kilos sind wieder drauf, das Essen schmeckt , „wenn meine Frau Sauerbraten macht, könnte ich mich da reinsetzen“. In Linsensuppe auch, nur nach Schokolade ist er nicht mehr so wild wie früher. Seine Frau freut sich noch immer über jedes Gramm, das Hagel zunimmt.

Die Kollegen von Thyssenkrupp fragten noch am Krankenbett um Rat

Bestimmt hat ihm auch sein Umfeld geholfen, „die Freude, in der Familie zu sein“, nennt es Prof. Waldemar Uhl, Chefarzt der Chirurgie am Katholischen Klinikum, der für den Patienten Hagel seine Instrumente nicht gebraucht hat. Der selbst sagt es so: „Wenn ich die Familie nicht gehabt hätte, weiß ich nicht.“ Die Töchter und den Sohn, die ihn nicht lautstark bedauerten, sondern bei jedem Handgriff um Rat fragten, obwohl sie selbst alle gelernte Handwerker sind. Die Ehefrau, die ihn aus jedem Tief zog. Und dann das erste Enkelkind, das Hageln so gern kennenlernen wollte. „Fantastisch“ war dessen Geburtstag! Der Opa liebt es, den Rollator gegen den Kinderwagen zu tauschen, kurze Strecken zu gehen und mit dem Baby „Dummheiten“ zu machen. Er sagt, er hat „die Hektik aus meinem Leben genommen“.

Besser mit Rollator, aber er läuft wieder: Rolf Hagel im Bochumer Stadtpark.
Besser mit Rollator, aber er läuft wieder: Rolf Hagel im Bochumer Stadtpark. © Funke Foto Services | Andreas Buck

Und dann waren da die Kollegen vom Kaltwalzwerk, die ihn anriefen und besuchten, wenn die Anlage mal muckte. Rolf Hagel war 48 Jahre bei Thyssenkrupp oder vorher bei den Stahlwerken Bochum, „ich kenne da jede Schraube, die duze ich alle“. Er hätte die 50 auch noch vollgemacht, danach wollte er reisen und hatte sich dafür schon ein schickes Auto gekauft. „Das wird tofte“, dachte er, „aber es war nicht tofte.“ Der Krebs grätschte dazwischen – aber seine erträumte Reise nach Norwegen hat Hagel neulich gemacht.

„Ich lebe noch, das ist das Wichtigste“

Er plante sie genau zwischen zwei Infusionstermine, immer noch muss er regelmäßig an die Nadel, aber inzwischen sitzt er „da unten“ im Josefs-Hospital nicht mehr allein. So viele bekommen Immuntherapie, die Wissenschaft hat sich weiterentwickelt. „Man erkennt die Leute daran, dass sie Haare haben“, sagt Hagel, seine sind auch wieder da.

Rolf Hagel will daran auch nichts ändern, zwar haben die Ärzte darüber nachgedacht, „das Zeug“ mal abzusetzen, aber Onkologin Reinacher-Schick sagt es ehrlich: „Wir trauen uns nicht.“ Und Hagel, der vertrauensvoll immer gemacht hat, was die Doktoren ihm rieten und nie im Internet nach Alternativen sah, ist ebenso entschlossen: „Wir bleiben dabei.“ Der 66-Jährige weiß, dass er noch nicht geheilt ist, aber der Tumor, sagt die Chefärztin, „gibt Ruhe und tut ihm nichts“. Man müsse sich also keine Sorgen machen, glaubt Rolf Hagel: „Ich lebe noch, und das ist das Wichtigste.“

>>INFO: DIE BREMSEN DES IMMUNSYSTEMS LÖSEN

Rolf Hagel mit Prof. Anke Reinacher-Schick.
Rolf Hagel mit Prof. Anke Reinacher-Schick. © Funke Foto Services | Andreas Buck

Das menschliche Immunsystem kann Tumorzellen als veränderte Zellen erkennen. Krebszellen wiederum haben aber die Fähigkeit, die Abwehrmechanismen lahmzulegen oder zu schwächen („Bremse“). Immuntherapien sind demnach alle Methoden, die das körpereigene Immunsystem nutzen, um Krebs zu bekämpfen.

Deshalb wurden Antikörper entwickelt, die als Infusion gegeben werden und sich gezielt gegen diese Art „Bremse“ im Immunsystem richten: Dadurch wird diese Bremse gelöst. Es wird verhindert, dass das Immunsystem unterdrückt wird, so dass der Tumor wieder verstärkt angegriffen werden kann. Gegen Hautkrebs wird diese Art der Immuntherapie bereits seit etwa einem Jahrzehnt erfolgreich eingesetzt.

Nicht bei allen Patienten schlägt diese Form der Therapie allerdings gleich gut an. Viele klagen über Nebenwirkungen, etwa Durchfälle, Über- oder Unterfunktion der Schilddrüse, rheumaartige Schmerzen oder auch Entzündungen der inneren Organe.