Berlin. Der frühere ARD-Journalist Joachim Wagner hat die Folgen der Migration für Deutschland untersucht – mit alarmierenden Ergebnissen.

  • Die „Macht der Moschee“ von Joachim Wagner ist ein kontroverses Buch – mit vielen Kritikern, aber auch viel Zuspruch
  • Offenbar trifft es einen Nerv, denn der Autor beschäftigt sich damit, wie jede Diskussion über Migration schnell in die rechte Ecke gestellt wird
  • Das ist ein Thema, mit der auch die AfD auf Stimmenfang geht – Wagner erklärt im Interview, wie er das Thema für sich erfasst und sich eine Versachlichung vorstellen kann
  • Er selbst wurde schon als Rassist beschimpft

Der langjährige ARD-Journalist Joachim Wagner hat mit seinem Buch „Die Macht der Moschee“ eine Debatte über die Integration ausgelöst. Nun ist eine überarbeitete und aktualisierte Neufassung des Buches erschienen. Im Interview spricht Wagner über die Situation an den Schulen, das Schweigen der Mitte und die Herausforderungen für Großstädte.

Ihr Buch ist vor eineinhalb Jahren erschienen – warum kommt nun schon eine „Neuausgabe“?

Joachim Wagner: Es gibt fast täglich neue Informationen im Themenfeld Islam, Integration und Zuwanderung – und mir war wichtig, dieses Material einzuarbeiten. Ich habe 20 Prozent des Textes neu geschrieben.

Am Ende Ihres alten Buches haben Sie einige Forderungen formuliert – da gehörte die umstrittene Obergrenze genauso dazu wie verstärkte Hilfen für die Schulen. Sehen Sie eine Besserung der Lage? Die Zuwanderung geht ja zurück.

Wagner: Ich erkenne kaum Fortschritte bei der Integration. Schon vor 2015 war die Integration nach Aussagen ehrlicher Lehrer bei einem großen Teil der Schülerschaft nicht gelungen. Durch die Masseneinwanderung nach 2015 haben sich die Probleme in den Kitas und den Schulen verschärft – aber auch auf dem Wohnungsmarkt.

Ist es wie bei den berühmten drei Affen – wollen wir nichts sehen, nichts hören, nichts sagen?

Wagner: Ich habe mich intensiv um die Vermarktung des Buches gekümmert. Es gab tolle und gut besuchte Veranstaltungen. Prägend war jedoch ein anderer Eindruck: das repressive Meinungsklima in unserem Land. Beim Thema Zuwanderung hat unsere Gesellschaft ihre Dialog- und Streitfähigkeit in weiten Teilen verloren. Die Bereitschaft, andere Meinungen überhaupt zu hören, erodiert.

Nach einer Allensbach-Umfrage haben ja 71 Prozent der Menschen den Eindruck, man kann sich nur mit Vorsicht zur Flüchtlingsthematik äußern. Das hat zwei Ursachen: Es gibt eine moralisierende Selbstgerechtigkeit auf der links-grünen Seite, aber auch im kirchlichen Milieu – diese dominiert die Debatte in der medialen Öffentlichkeit. Und es gibt die Hetze auf dem rechten Rand. In der Mitte regiert die Sprachlosigkeit, aus Angst in die rechte Ecke gestellt zu werden.

Wie gefährlich ist das für eine Gesellschaft?

Wagner: Wenn man über eines der zentralen Zukunftsprobleme – und dazu gehört die Migration angesichts von Millionen Menschen auf der Flucht – nicht offen und ehrlich reden kann, ist das brandgefährlich. Die Bundesregierung redet das Problem klein, wenn sie darauf verweist, dass in den letzten Jahren unter 200.000 Menschen jährlich zu uns kommen sind. Das ist die Einwohnerzahl einer mittleren Stadt wie Kassel, die jedes Jahr eingewandert sind. Und diese Menschen müssen die gesellschaftlichen Institutionen zusätzlich auffangen.

Wer so argumentiert, bekommt schnell Beifall von der falschen Seite ...

Wagner: Ja, ich bin sogar als Rassist beschimpft worden. Es sind Veranstaltungen von mir wegen angeblicher AfD-Nähe abgesagt worden, eine sogar von der Patriotischen Gesellschaft in Hamburg, die andere von einer Zweigstelle der Landeszentrale für politische Bildung in Rheinland-Pfalz. Da hat dann der Chef eingegriffen – denn die Bundeszentrale für politische Bildung hat mein Buch ja selbst in Lizenz nachgedruckt. Genau diese Veranstaltung war dann später besonders gelungen, weil die Teilnehmer alle Praktiker der Integrationsarbeit waren: Lehrer, Erzieher, Lokalpolitiker.

Vor einigen Veranstaltungen bin ich einem Gesinnungstest unterzogen worden – da wurde im Vorgespräch erst einmal abgeklopft, was für eine Person ich bin. Ein anderes Phänomen: Parteien haben Vorträgen in der Regel nur unter der Bedingung zugestimmt, dass auch ein Experte ihrer Wahl mit einer Gegenposition zu Wort kommt.

Das hätten Sie sich als ehemaliger Chef des linksliberalen Politmagazins „Panorama“ nicht träumen lassen ...

Wagner: Nein. Aber ich bin mir auch sicher, dass ich die Dinge so darstelle, dass sie eben nicht in die AfD-Nähe gerückt werden können. Ich versuche ja, eine nüchterne Analyse zu bringen – auf der Basis von empirischen Untersuchungen. Empirie ist nicht rassistisch.

Außerdem habe ich 21 Schulen in fünf Bundesländern besucht und 65 Lehrer gesprochen. Deshalb bin ich auch enttäuscht, dass ich so wenig mit Schulen und Lehrergewerkschaften ins Gespräch kommen konnte. Viele haben Angst, der Wahrheit ins Auge zu schauen. Vielleicht auch, weil sie Pädagogen demotivieren und verunsichern könnte. Viele Lehrer und Schulen sind politisch extrem vorsichtig und ängstlich, um den Schulfrieden nicht zu gefährden.

Wie groß war denn das Interesse von Politikern?

Wagner: Aus meiner Zeit als stellvertretender Chefredakteur des ARD-Hauptstadtbüros kenne ich etliche Bundestagsabgeordnete persönlich. Ihnen habe ich Angebote gemacht, in ihren Wahlkreisen Vorträge zu halten – ohne Honorar. Durchweg ohne Echo.

Am Ende bin ich nur bei drei Parteiveranstaltungen gewesen. Unerfreulich war eine von Vorurteilen geprägte Veranstaltung der SPD in Essen. Positiv überrascht war ich hingegen von einem offenen Gesprächsklima bei den Hamburger Grünen.

Welche Konsequenzen ziehen Sie denn aus Ihren Recherchen?

Wagner: Das Wichtigste ist, dass wir die Schulen mit hohen Anteilen von Schüler nichtdeutscher Herkunftssprache noch stärker als bisher unterstützen müssen. Gerade ist die neue Pisa-Studie herausgekommen: Sie berichtet über signifikante Rückschritte bei der Lesekompetenz, bei Kenntnissen der Mathematik und Naturwissenschaften. Eine der Hauptursache ist nach der Studie der „deutlich gestiegene Anteil von Schülerinnen und Schülern mit Migrationserfahrung“, von denen „knapp 50 Prozent sozioökonomisch benachteiligt“ sind.

Die Lernrückstände zwischen Kindern mit und ohne Migrationshintergrund betragen ein bis zwei Jahre. Es ist ein Riesenproblem für die Schulen, diese Lernrückstände aufzuholen. Viele Migranten beherrschen die Alltagssprache, aber tun sich schwer mit der Bildungssprache. Bei den Pisa-Sprachtests erreichten 15-Jährige aus Zuwanderungsfamilien 63 Punkte weniger als einheimische Jugendliche.

Und es gibt noch ein Problem: Deutschland ist besonders attraktiv für Zuwanderer mit niedrigem Bildungsniveau, das erschwert den Schulerfolg zusätzlich. Es ist das Verdienst der neuen Pisa-Studie, diese Zusammenhänge erstmals vorsichtig angesprochen zu haben.

Im Buch konzentrieren sie sich auf muslimische Zuwanderer. Warum?

Wagner: Von allen Migrantengruppen schneiden die Schüler mit türkischem und arabischem Hintergrund nach allen Bildungsvergleichen am schlechtesten ab. Das hängt mit dem sozioökonomischen Status der Bevölkerungsgruppen zusammen, aber auch mit dem teilweise mangelnden Bildungsehrgeiz.

Es gibt Integrationshindernisse wie die Ungleichbehandlung von Jungen und Mädchen, der Überlegenheitsanspruch des Islam, die Macho-Kultur, die Kultur der Ehre – es ist aber unklar, ob und wie sie Leistungen beeinflussen. Wenn Mädchen Hausfrauen werden sollen, werden sie weniger gefördert – das war hierzulande in den 1950er-Jahren übrigens nicht anders.

Sind wir aufgrund der Probleme offener für eine Debatte geworden?

Wagner: Nein, sie ist weiter in weiten Teilen tabubelastet. Aber die Bildungsforschung wird offener. Was mich umtreibt ist, dass es den Bundesländern trotz Bemühungen nach empirischen Studien nicht gelungen ist, die Flüchtlinge sozial gerecht zu verteilen. Durch diese sozial ungerechte Verteilung von Flüchtlingen und EU-Binnenwanderern vor allem aus Rumänien und Bulgarien hat sich die soziale Segregation verschärft und Parallelgesellschaften sind gewachsen. Mit gravierenden Folgen für unsere Schullandschaft.

Welche?

Wagner: Ich fürchte, dass diese sich weiter spaltet. Die fatalste Folge der Flüchtlingswelle und der EU-Binnenwanderung ist die Überforderung von Schulen in sozialen Brennpunkten und gemischten Wohngebieten mit hohen Anteilen von Kindern mit Migrationshintergrund. In Brennpunktschulen kann der Lehrermangel häufig nur noch durch Seiteneinsteiger ohne Lehrerausbildung kompensiert werden. Hinter diesem Defizit schimmert eine noch dunklere Perspektive durch: Die Zunahme sogenannter segregierter Schulen im gesamten Bundesgebiet.

Das sind Schulen, wo Schüler nichtdeutscher Herkunftssprache die Mehrheit stellen. In Berlin haben nach einer Studie des Instituts für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen bereits 53 Prozent der nichtgymnasialen Schulen diese kritische 50-Prozent-Marke überschritten. An diesen Schulen besteht für Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund von vornherein keine Chancengleichheit, weil Deutschstämmige als peer groups und Sprachvorbilder fehlen.

Was müsste jetzt schnell geschehen?

Wagner: Schnell wird gar nichts gehen. Wir müssen die Kitas und Schulen entlasten – und da hilft in erster Linie ein besserer Schutz der Außengrenzen. Wir müssen den Missbrauch des Asylrechts durch Wirtschaftsmigranten unterbinden. Und wir müssen uns intensiver um die Rückführung von Flüchtlingen kümmern, wenn die Fluchtgründe entfallen sind. Viele Politiker und Journalisten wissen gar nicht, dass unser Asylrecht und die Genfer Flüchtlingskonvention Menschen nur so lange schützen, solange die Fluchtgründe andauern.

In der Flüchtlingsdebatte dominieren die Radikalen. Die Ausländerfeinde hier, die offene-Grenzen-Bewegung da. Warum ist die Mitte so still?

Wagner: Die Sprachlosigkeit der Mitte wurzelt in der moralischen Überlegenheit der Befürworter großzügiger Zuwanderung. Gegen Moral ist bekanntlich schwer zu argumentieren. Daher hat es die Gesinnungsethik in Deutschland immer leichter als die Verantwortungsethik. Wir müssen in der Politik aber an die Folgen denken.

Nach einer Veranstaltung berichtete mir eine SPD-Politikerin von heftigen Verteilungskämpfen zwischen Hartz-IV-Empfängern, Rentnern und Flüchtlingen bei der Wohnungssuche. Bezeichnend ist, dass sie das nicht während der Veranstaltung gesagt hat, sondern erst hinterher bei einem Glas Wein.