Marl. Helmut Feldmann aus Marl streitet vor Gericht um Sterbehilfe. Und zeigte den Bundesgesundheitsminister an. Was, wenn er keine Luft mehr kriegt?

Helmut Feldmann will noch nicht sterben. „Ich möchte gern leben“, aber wenn der Tag kommt, an dem er nicht mehr atmen kann – dann will er gehen. Selbstbestimmt und legal. Deshalb kämpft der 73-Jährige vor Gericht für das Recht auf Sterbehilfe. Und zeigte kürzlich den Gesundheitsminister an. Den Kampf gegen die Lungenkrankheit COPD indes kann er nicht mehr gewinnen.

Wie seine Schwester möchte er nicht enden. Die war 70, als sie „elendig starb“. Zwei Jahre hatte sie da schon im Bett gelegen, konnte nicht einmal mehr sprechen. „Das ist doch kein Leben“, sagt Helmut Feldmann traurig, „das würde ich nicht wollen.“ Aber er hat dieselben Gene, vom Vater, der mit 67 an Asthma starb, so dachte man damals jedenfalls. Ein Schwarz-Weiß-Foto der Schwester steht in der Schrankwand der Wohnung in Marl. Im Fach daneben liegen seine Tabletten, 14 für jeden Tag, dazu das Asthma-Spray, vor den Büchern des gelernten Elektrotechnikers: „Neuland des Denkens“, „Gefühle“ und das Fachwörterbuch der Medizin.

Die Lunge schafft kaum mehr 40 Prozent

Die dicken, kiloschweren Ordner mit den Akten des Rechtsstreits hat er neben sich auf dem Sofa. Seine Verfassungsbeschwerde, die Anzeige gegen Bundesgesundheitsminister Spahn, die Antworten aus Karlsruhe und Berlin. Helmut Feldmann hat schon „viel Zeit und Kraft“ in seinen Streit gesteckt: Er will, dass aktive Sterbehilfe in Deutschland erlaubt wird. So wie in den Niederlanden, so wie in der Schweiz. Schwerstkranke sollen sterben dürfen, wenn sie nicht mehr können, nicht mehr wollen. Der Vater von zwei erwachsenen Kindern fordert das „nicht nur für mich, das ist für viele wichtig“. Er meint: „Das Selbstbestimmungsrecht steht doch im Grundgesetz“, und da steht auch, ganz vorn im ersten Artikel, die Würde des Menschen sei unantastbar. Dass der „assistierte Suizid“ in Deutschland aber seit 2015 verboten ist, findet Feldmann „unwürdig“.

Kein Anfangsverdacht gegen Jens Spahn: Helmut Feldmann stellte Strafanzeige gegen den Bundesgesundheitsminister.
Kein Anfangsverdacht gegen Jens Spahn: Helmut Feldmann stellte Strafanzeige gegen den Bundesgesundheitsminister. © dpa | Kay Nietfeld

Im November 2015 legte er Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein, der Verein „Sterbehilfe Deutschland“ des ehemaligen Hamburger Senators Kusch unterstützt ihn. Die Richter sollen den Paragrafen 217 des Strafgesetzbuches, der die aktive Sterbehilfe verbietet, kippen. Wenigstens den Ärzten, findet Feldmann, sollte man die Erlaubnis geben.

Eigentlich hatte ein Gerichtsurteil 2017 das schon getan: Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig ordnete damals an, Sterbehilfe sei bei unheilbar Kranken in extremen Ausnahmefällen nicht zu verwehren. Bundesgesundheitsminister Spahn sah die Sache anders, er untersagte dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), das Betäubungsmittel Natrium-Pentobarbital auszugeben.

Mehr als hundert Anträge von schwerstkranken Menschen wurden vom BfArM abschlägig beschieden. Hat Helmut Feldmann sich aufgeregt! „Die Leute müssen das wissen!“, sagt er, „wo ist denn da die Gerechtigkeit?“ Er erstattete Anzeige wegen Rechtsbeugung gegen den Minister, im Oktober schon. Zwei Monate später kam Antwort aus Berlin: Ein Anfangsverdacht sei nicht begründet, teilte die Staatsanwaltschaft mit, man werde nicht ermitteln. Feldmann brauchte nur neun Tage, um erneut eine Beschwerde auf den Weg zu bringen. Am Tag nach Weihnachten ging die Bestätigung der Generalstaatsanwaltschaft ein, Aktenzeichen 276 Js 2376/19. Seither: Schweigen.

Helmut Feldmann wartet. Noch hat er Zeit. Mehr als 20 Jahre ist es her, dass Ärzte die Diagnose stellten: COPD und ein Lungenemphysem, da war ihm schon mehrfach die Luft weggeblieben. Inzwischen ist die Liste seiner schweren Krankheiten acht Punkte lang, ein Stück der Lunge weg, der halbe Magen, die Galle. Und dazu die Schmerzen in der Bandscheibe! „Hochgradig reduzierte Leistungsfähigkeit“, steht im Arztbericht.

Engagiert: Helmut Feldmann im Interview mit Redakteurin Annika Fischer.
Engagiert: Helmut Feldmann im Interview mit Redakteurin Annika Fischer. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Viele hat der 73-Jährige sterben sehen, er engagiert sich seit Jahrzehnten bei der Awo. „Die wollten nicht mehr leben“ und bekamen doch Schläuche und künstliche Ernährung. „Das wollten die alles nicht.“ Feldmann will es auch nicht, aber er weiß, es wird der Tag kommen: „Irgendwann ist es Ersticken“, und keiner wird ihm dann mehr helfen können. Er gilt als austherapiert, COPD im Stadium III, „das ist schon dicke“. Seine Lunge schafft kaum mehr 40 Prozent, manchmal atmet er schwer.

Schwerstkranke sollen sterben dürfen, wenn sie das wollen

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Aber der langjährige Dortmunder Lokalpolitiker jammert nicht. „So lange die Lebensqualität da ist“, macht er weiter mit der Politik und bei der Awo, bei klarer Luft kann er sogar spazieren gehen. Neulich hat er sogar Spahn getroffen, beim Neujahrsempfang der Marler CDU. Der Minister kannte ihn nicht, seine Anzeige aber schon. Eine Frage durfte Feldmann stellen. „Warum haben Sie das Natrium-Pentobarbital verboten?“ Spahn soll geantwortet haben, der Staat könne nicht entscheiden, ob jemand sterben darf oder nicht.

Helmut Feldmann will persönlich nach Karlsruhe – wenn er kann

Vielleicht fährt er auch nach Karlsruhe. Das Bundesverfassungsgericht hat für den 26. Februar endlich einen Verkündungstermin bestimmt – nach mehr als vier Jahren. Feldmann wäre gern dabei, vier seiner Mitstreiter werden den Gerichtstermin schon nicht mehr erleben.

Helmut Feldmann hat die Hoffnung nicht aufgegeben.
Helmut Feldmann hat die Hoffnung nicht aufgegeben. © Funke Foto Services | Olaf Fuhrmann

Aber wie es auch ausgeht, vorsichtshalber ist Feldmann längst auch Mitglied in einem Sterbehilfe-Verein in der Schweiz. Nur ist die Frage: Wenn es soweit ist, dass er „das Mittel, das gegeben wird“, nehmen möchte – „wäre ich dann noch in der Lage, dorthin zu reisen“?

Seine Tochter würde ihm das Medikament holen, aber das will der Vater absolut nicht: Er glaubt, das würde sie seelisch nicht verkraften, das kann er ihr nicht antun. Er hat über Alternativen nachgedacht. In den Tod zu springen, sagt er, dafür sei er „zu feige“. Sich vor ein Auto oder einen Zug zu werfen, „damit belaste ich den Fahrer ein Leben lang“. Eine Waffe hätte er vielleicht gern, aber das wäre illegal und gar nicht so einfach, er lacht bitter: „Ich habe keine Verbindungen zur Unterwelt.“ Hätte er denn den Mut abzudrücken? „Wenn ich keine Luft mehr kriege, ist die Angst so groß – dann würde ich es tun.“

>>INFO: FREIHEITSSTRAFE VON BIS ZU DREI JAHREN

Der Deutsche Bundestag hat 2015 entschieden, dass der assistierte Suizid als Dienstleistung in Deutschland unter Strafe gestellt wird. Laut Paragraf 217 Strafgesetzbuch ist die „geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ untersagt und wird mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren geahndet. Darauf berufen sich Ärzte, die um ihre Approbation fürchten.

Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) argumentierte mit dem Bundestagsentscheid, als er das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) anwies, das Betäubungsmittel Natrium-Pentobarbital auch nicht an schwerkranke Patienten in extremen Ausnahmefällen auszugeben. Das hatte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig 2017 eigentlich so entschieden. Mehr als 100 Anträge hat das BfArM seither abgelehnt.