Essen. Über den Todeswunsch alter Menschen beraten Psychiater und andere Fachleute bei einer Tagung in Essen. Soll und darf man beim Suizid assistieren?

Das Publikum steht dem Suizid aufgeschlossen gegenüber. Die rund 400 Psychiater und Ärzte, Altenpfleger und Medizinethiker, die sich am Mittwoch im Essener Haus der Technik versammeln, haben fast alle mit Patienten zu tun, die zu sterben wünschen. Sie wissen um ihren seelischen Konflikt und darum, dass die Dinge oft nicht so eindeutig liegen, wie die Moral es gerne hätte. Warum und wie und von wessen Hand? Was ist rechtens, was ethisch verwerflich? „Der Todeswunsch alter Menschen im Spannungsfeld von Autonomie und Fürsorge“ ist das Thema dieser Tagung, die Deutsche Akademie für Gerontopsychiatrie und -psychotherapie (DAGPP) richtet sie aus mit ihren Pendants aus der Schweiz und Österreich. Sie wird keine einfachen Antworten bringen, aber leicht will es sich auch keiner hier machen.

Nikolaus Schneider, ehemaliger Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland.
Nikolaus Schneider, ehemaliger Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland. © Karlheinz Schindler/dpa

„In der Bibel gibt es kein explizites Verbot der Selbsttötung.“ So setzt Nikolaus Schneider, ehemals oberster Vertreter der evangelischen Kirche in Deutschland, den Grundstein für die kommende Diskussion. Erst im fünften Jahrhundert legte Augustinus das fünfte Gebot „Du sollst nicht töten“ entsprechend aus – und noch einmal vierhundert Jahre dauerte es, bis dies Kirchenrecht wurde. Die Diskussion, so Schneider, habe sich in der evangelischen Kirche verschoben von der moralischen zur seelsorgerischen Sicht.

Beihilfe nur in Ausnahmefällen

Seine These: Der Todeswunsch alter Menschen sei nachvollziehbar und zu respektieren. „Aus diesem Respekt kann kein allgemeines Recht auf medizinische Suizid-Assistenz abgeleitet werden. Im Ausnahmefall ist die Hilfe zum Sterben Bestandteil des Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient. Dies darf nicht zu Strafverfolgung oder Approbationsverlust führen.“ Dem politischen Kampfwort „Mein Tod gehört mir“, stellt sich Schneider dennoch entgegen mit dem theologischen Argument: „Meine Todesstunde gehört mir, weil mein Tod zu mir gehört. Ich aber gehöre Gott.“

Doch worum geht es den Menschen, die sterben wollen? „Ich habe 1300 Gespräche geführt über selbstbetreutes sterben“, meldet sich ein Praktiker aus dem Publikum zu Wort. „und alle diese Menschen wollten nicht sterben. Sie wollten ihr Leiden beenden.“ Doch, so fragt die Ethikerin und Referentin Nina Streeck, woher kommt dieses Bedürfnis in Zeiten der immer besseren Schmerzmedizin? Geht es wirklich immer um das körperliche Leid. Oder nicht vielmehr um den Begriff der Selbstbestimmung.

Mit diesem Begriff kämpfen auch die fünf Sterbehilfe-Vereine in der Schweiz um die öffentliche Meinung – sie nennen sich gar Selbstbestimmungsorganisationen. Aber erzeugt nicht gerade dieses Werben und die Normalisierung der Sterbehilfe eine Werteverschiebung, fragt Streeck? Erzeugt sie keinen Druck auf Alte? In der Schweiz sei die Sterbehilfe für unheilbar kranke zwar breit akzeptiert, doch die Sterbehilfe-Organisationen wollen mehr: Exit wirbt derzeit für das Recht auf den „Altersfreitod“, unabhängig vom Nachweis von Krankheiten.

Der soziale Druck nimmt zu

Als ehemalige Journalistin bringt Streeck das Beispiel der sterbenskranken Frau M., die zwar Mitglied des Sterbehilfe-Vereins Exit war und dennoch in ihren letzten Jahren und Monaten haderte mit ihren Kindern, die sich aus ihrer Sicht zurückzogen und Erwartungen hegten. Die Mutter möge doch allen diesen Leidensweg ersparen. Wird das Sterben auf Verlangen normal, entsteht nicht gar ein sozialer Druck, das eigene Sterben zu planen?

Und Autonomie, sagt Streeck, sei primär ein Abwehrrecht. Der Patient kann ärztliche Maßnahmen ablehnen. Aber Autonomie begründet keinen Leistungsanspruch auf die letzte Hilfe. Das ist rechtlich auch in Deutschland der Fall. Und wenn die Kongressteilnehmer auch über die Haltung zur assistierten Selbsttötung debattieren mögen, rechtliche Eindeutigkeit wünschen sich wohl alle.

Die Schlinge darf man reichen

Tatsächlich tut sich hier gerade einiges: Anfang Juli verhandelt zum ersten Mal seit 1984 der Bundesgerichtshof über die ärztliche Suizidbegleitung – und hat Gelegenheit Klarheit zu schaffen. Denn damals kam es im Fall „Wittig“ zur derzeitigen Regelung, die nach Schilderung der Münchner Rechtsanwältin Tanja Unger so lautet: Man darf den Strick reichen, man darf ihn sogar zur Schlinge knoten. Den Stuhl muss der Selbstmörder selbst umstoßen. Gegen seinen erklärten Willen darf man ihn nicht retten, denn das wäre Nötigung. Jedenfalls solange er bei Bewusstsein ist. Sobald er aber selbiges verliert ist, hat der Arzt die Verpflichtung ihn zu retten.

Und wie wollen eigentlich die Experten sterben? – fragt auch der Gerontopsychiater und Akademiepräsident Rolf Dieter Hirsch. „Im Rahmen der Palliativmedizin oder umgeben von Schläuchen? Ein bisschen schlechter versorgt, dafür zuhause im Kreise der Lieben? Und was, wenn ich einsam bin?“ Für sich hat Hirsch die Antwort gefunden: „Ich würde mich am liebsten totlachen. Heiter in den himmel zu gehen, ist immer besser, als wenn man gut versorgt, aber todernst oben ankommt.“

>> Info: Sterbehilfe in der Schweiz

Die Zahl der assistierten Suizide in der Schweiz hat sich in den vergangenen zehn Jahren etwa vervierfacht, wenn man die Zahlen des Vereins Exit zugrunde legt. Dies ist die mit Abstand größte von fünf Sterbehilfe-Organisationen in der Schweiz. Nur drei von ihnen veröffentlichen Zahlen, danach haben 1425 Menschen diesen Weg gewählt, was 2,1 Prozent aller Sterbefälle im Land entspricht. Jedes Jahr reisen etwa 30 bis 40 Deutsche in die Schweiz, um sich begleitet selbst zu töten.