Ruhrgebiet. Krankenhäuser geben immer weniger Geld für Lebensmittel aus und lagern die Küche aus. Doch ein ehemaliger Sternekoch verfolgt einen neuen Ansatz.
Viele Patienten finden das Essen in Krankenhäusern extrem fade: „Meistens schmeckt es nach gar nichts“.
Wir sprachen mit einem Sternekoch, der zeigt, wie es besser geht - trotz niedriger Kosten von vier bis fünf Euro.
Hintergrund-Info: Krankenhausküchen sind im Durchschnitt 30 Jahre alt und leiden unter einem extremen Investitionsstau.
„Die Mahlzeiten waren meist fade im Geschmack und lieblos präsentiert.“ – „Alles super, auch das Essen: heiß & lecker.“ So verschieden sind die Ansichten über Krankenhausessen. Fakten dazu hat nun eine Studie des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI) aus Düsseldorf geliefert: Beim Essen wird gespart bis zum Anschlag: Für Lebensmittel gaben Krankenhäuser 2018 im Bundesschnitt nur 3,84 Euro pro Tag und Patient aus. 2005 waren es noch 4,45 Euro. Die Lebensmittelpreise allerdings sind deutlich gestiegen in diesem Zeitraum. Ist also alles furchtbar – oder können Krankenhausköche so noch Qualität liefern?
Die Eingangszitate hat das Evangelische Krankenhaus Mülheim (EKM) gesammelt bei seinen Patienten. „Das Brot ist nicht so lecker.“ – „Macht weiter so … von der Betreuung bis zum Essen.“ Es gibt offenbar zwei Lager, aber im Durchschnitt vergaben die Befragten die Schulnote 1,77 für die Qualität der Mahlzeiten, deren Bestandteile vom Kühlkostspezialisten Apetito geliefert und vom Caterer gut&gerne, ein Tochterunternehmen des EKM, in der hauseigenen Küche zubereitet werden. Mülheim liegt mit dieser Organisationsform im Trend, den die DKI-Studie beschreibt: Tiefkühlkost (cook and freeze) und heruntergekühlte Mahlzeiten (cook and chill) sind auf dem Vormarsch. Nur noch die Hälfte der Klinikküchen wird in Eigenregie betrieben, ein knappes Drittel über eine eigene Service GmbH.
Allerdings gibt das EKM deutlich mehr für Lebensmittel aus als im Branchenschnitt: 5,60 Euro pro Tag und Patient. Eine Sprecherin erklärt: „In Krisenzeiten (Lebensmittelskandale) ist das knapp, aber in normalen Situationen reicht diese Summe aus“. Auch das Klinikum Dortmund liegt nach Angaben der Dienstleistungstochter ServiceDO deutlich über dem Schnitt, nennt aber keine Zahl. Die eigene Küche produziert Mahlzeiten, die gekühlt und auf den Stationen fertiggegart werden. Qualitätsmanager Michael Riecke sagt: „Sobald Sie einen Caterer beauftragen, spielt das Thema Kosten eine noch größere Rolle im negativen Sinne für den Patienten.“
„Als ob man Plastik zu sich nehme“
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Über die 3,84 Euro aus der Studie schüttelt auch Frank Lepold nur den Kopf. Der Geschäftsstellenleiter des Deutschen Patientenschutzbundes NRW hat 16 Jahre Beratungspraxis und „erlebt, dass die Beschwerden über das Krankenhausessen zunehmen“. Die Patienten sagen, „dass das Essen geschmacklos sei. Als ob man Plastik zu sich nehme. Alles schmeckt gleich. Meistens nach gar nichts.“ Damit verknüpft sei der Eindruck, dass das Krankenhausessen nicht immer besonders nahrhaft sei.
„Das ist der allgemeine Sparwahn“, glaubt Lepold, „da fällt die Ernährung den BWLern und Controllern zum Opfer.“ Mehr Geld für das Essen bereitzustellen, sei wünschenswert. Denn „eine vernünftige Ernährung, die von den Patienten geschätzt wird, tut etwas dafür, dass die Menschen sich wohler fühlen und schneller auf die Beine kommen.“ Umgekehrt, glaubt Lepold, „besteht die Möglichkeit, dass Ernährung auch die Gesundung behindert, wenn Patienten einen vitaminlosen Labberkram vorgesetzt bekommen.“
„Schwieriger als Spitzengastronomie“
“Die Krankenhäuser argumentieren immer falsch“, findet Ralf Meyer, Küchenchef der Augusta Kliniken in Bochum und Hattingen. „Sie klopfen sich auf die Schulter, wer am wenigsten ausgibt. Mit 3,84 Euro – wie wollen sie da noch einen Tag gestalten, mit welchen Lebensmitteln?“ Meyer fährt ein anderes Konzept, das in der Branche als beispielhaft gilt, denn er kommt aus der Sternegastronomie (u.a. „Im Schiffchen“) und ist vor zehn Jahren angeworben worden, um Gormetküche bei Krankenhauspreisen zu zaubern. „Es war schwieriger als in der Spitzengastronomie“, erinnert er sich. Die Kosten, die Wege, die Nährwerte … „Schon grüne Paprika können sie nicht nehmen, die vergraut bei längeren Standzeiten.“
Auch Meyer gibt mit „vier bis fünf Euro“ mehr aus für den Einkauf als der Schnitt, „und wir sind dennoch günstiger als andere Küchen.“ Denn die Lebensmittel machen nur ein Drittel der Gesamtkosten aus, und er hat die anderen Prozesse radikal systematisiert, um im Einkauf größeren Spielraum zu haben. „Betriebswirtschaftlich ist alles um den Teller herum strukturiert.“ Alle seine Rezepte ergänzen sich, was die Zutaten angeht, basieren zum Beispiel auf fünf selbst zubereiteten Grundsoßen. Der Speiseplan wiederholt sich alle zwei Wochen und wechselt viermal im Jahr komplett, um den Einkauf saisonaler gestalten zu können – was auch Kosten spart. Seine 1100 Produkte (inklusive Hilfsmittel) schreibt Meyer alle halbe Jahre komplett neu aus. Dabei will er „nicht das günstigste Tomatenmark“, er will „Oro di Parma“.
Die Kräuter kommen aus dem eigenen Garten, Gemüse wird nur frisch gekauft, nie gekocht, sondern leicht karamellisiert, mit selbst gezogener Rinder- oder Gemüsebrühe abgelöscht, dann lässt er es glasieren. Sein neuestes Projekt ist Plastikverzicht – und ja, man kann damit sogar Geld sparen: Butter in Kleinpackungen ist etwa doppelt so teuer wie in großen Gebinden. Meyer macht sie streichfähiger mit Joghurt und Rapsöl und spritzt sie in Porzellanschälchen. Auch unter Berücksichtigung des Arbeits- und Reinigungsaufwandes kommt er „sehr viel günstiger“. Ähnlich sieht es mit Joghurt aus, den er mit frischen Früchten anrührt – hier falle die Ersparnis nur gering aus, „aber sie bekommen ein ganz anderes Produkt“.
Manche mögen es verkocht
„Es dreht sich alles um die optimalen Garpunkte“, sagt Meyer. Doch er weiß auch: „Essen hat mit Emotion und Erinnerungen zu tun.“ Darum schmeckt nicht jedem knackiges Gemüse – nach einer entsprechenden Umfrage haben sie am Augusta eine vierte Menüoption eingeführt: „Altersgerechte, über den Garpunkt weichgegarte Gerichte“ – das steht wie eine Warnung auf dem Menüplan. Aber es ist nun mit rund der Hälfte der Bestellungen die beliebteste Kategorie neben „Vegetarisch“, „kein Schweinefleisch“ und dem Standardgericht.
„Je weiter sie wegkommen vom Gast, umso schlechter wird die Qualität“, sagt Meyer. „Ein Caterer kann diese Qualität nicht liefern. Er wird es auch nicht günstiger machen.“ Auch von „Cook & Chill“ aus der eigenen Küche hält er nichts, das Abkühlen und Aufwärmen tue dem Essen nicht gut. dabei muss auch Meyer zwei Standorte von Bochum-Mitte aus beliefern: -Linden und Hattingen. Doch in den Laster kommen Teller mit warmen, noch nicht fertig gegartem Speisen. Alles gartechnisch berechnet. Nun will er den Aufwärmprozess in den Lkw verlagern, um die Wegzeit zu verkürzen.
Viele Kollegen haben sich schon Meyers Küche angeschaut, aber es ist nicht für jeden etwas. „Für sowas brauchen sie absolute Rückendeckung der Geschäftsführung“, sagt er. „Dem Chefarzt ein kleines Buffet zum Geburtstag machen, können wir nicht. Mal eben zehn Suppenschüsseln in die Abteilung – dafür kriegen sie hier eine Rechnung.“ Und er hat noch eine Erklärung, warum nicht mehr Kollegen kreativ werden: „Wenn Sie immer gedrückt werden, ist die Motivation auch irgendwann im Keller.“
>> Info: Investitionsstau in Küchen ist im Westen am größten
„Die Länder kommen seit vielen Jahrzehnten ihrer Verpflichtung zur auskömmlichen Finanzierung der Krankenhausinvestitionen nicht nach“, sagt Dr. Karl Blum, Leiter des Deutschen Krankenhausinstituts. „Es gibt einen erheblichen Investitionsstau in den Küchen.“ Vor zehn Jahren waren sie im Schnitt 22 Jahre alt. Heute sind es 29 Jahre. Jedoch schneidet der Westen Deutschlands im Regionenvergleich am schlechtesten ab. Hier sind die Küchen im Schnitt sogar 34 Jahre alt. Und wiederum leiden die kleineren Häuser noch sehr viel mehr unter dem Sanierungsstau, ihre Küchen sind mehr als doppelt so alt wie die der Großen. Rund 20 % der Küchen sind überhaupt noch nie saniert worden
„Die Produktionsform ist für die Qualität des Essens nicht entscheidend“, sagt Blum. „Steigende Lebensmittelpreise können viele Großküchen über einen optimierten Einkauf zumindest teilweise ausgleichen“, glaubt er. Zur Qualität der Krankenhauskost treffe seine Studie jedoch keine Aussage. Wie viel ein Krankenhaus sich die Verpflegung kosten lässt, sei „eine betriebswirtschaftliche Entscheidung“ des einzelnen Hauses, die Blum nicht kommentieren könne.