Duisburg. Viele Jugendliche begehen Delikte, dann hört es wieder auf. Freunde und Eltern spielen dabei eine größere Rolle als Richter, so eine neue Studie.
Kriminelles Verhalten ist bei den meisten Jugendlichen vorübergehend und geht in der Regel nicht durch harte Strafen wieder weg, sondern unter dem Einfluss von Eltern, Freunden, Lehrern und Vereinskameraden. „Der Rückgang ist so massiv, den kriegen Sie mit nichts hin, was von außen kommt“, sagt der Münsteraner Kriminologe Professor Klaus Boers.
Boers (66) und der Soziologe Professor Jost Reinecke (62) haben dazu immer wieder dieselben 3000 Duisburger aus dem ganzen Stadtgebiet befragt, als Kinder mit 13 Jahren wie zuletzt als 30-jährige Erwachsene, und dazu die etwaigen Erziehungs- und Strafregister eingesehen. Das Spektrum der untersuchten Taten reichte von Fahrrad- und Ladendiebstahl bis zu Straßenraub und Körperverletzung (ohne Waffen).
Jugendliche verinnerlichen Normen, wenn das Umfeld auf Verstöße reagiert
Soziale Normen werden demnach nicht theoretisch verinnerlicht, sondern durch die Reaktion des Umfeldes auf Regelverletzungen. „Sehr viele machen eine Sache oder zwei, davon die Hälfte drei, davon die Hälfte vier und so weiter“, sagt Boers. Die Jugendkriminalität gehe in allen westlichen Ländern zurück.
Die Unterscheidung von „harten“ und „milden“ Strafen mag Boers dabei nicht, er redet lieber von „angemessen“ und „unangemessen“. Und so mag eine Haftstrafe „angemessen“ sein, wenn ein krimineller Jugendlicher nicht reagiert auf Mahnungen, Warnungen, Besserungsversuche und Strafen. Wenn er gefährlich bleibt. Allerdings müsse man eines bedenken bei der Kinderhaftverschickung: „Das hat sehr schlechte Folgen. Sie geraten in ein sehr negatives Lernumfeld.“
„Elternhäuser funktionieren in der Regel, pro-soziale Freunde greifen ein“
Andersherum: Kriminelles Verhalten wächst sich auch schnell wieder aus. Mal ein Fahrrad gestohlen, mal heftiger zugeschlagen als auf einer normalen Schulhof-Rauferei -ab der dritten Tat gehört man unter seinen Gleichaltrigen schon einer kleinen Minderheit an. „Elternhäuser funktionieren in der Regel, Schulen sind gut aufgestellt, pro-soziale Freunde greifen ein“, sagt Boers. Ganz normale Sozialisation also. „Funktionierende Gesellschaften haben solche Abläufe.“
Schon im Jahr 2002 hatten die Forscher alle weiterführenden Schulen in Duisburg angeschrieben, vom Süden bis in den hohen Norden: Ob sie mitmachen würden bei der Untersuchung? „Zwei Drittel haben zugesagt. Hauptschulen und Gesamtschulen hatten ein größeres Bewusstsein dafür, Gymnasien eher nicht.“
Nach Gewalttaten werden Mädchen seltener angezeigt
Zwei Drittel eines gesamten Jahrgangs wurden seitdem jährlich gefragt nach Straftaten, Einstellungen und Werten - und die Polizeiakten zusätzlich herangezogen, falls es solche gab. So entstand ein Beifang der Studie: Mädchen sind bei Gewaltdelikten präsenter, als es nach der Polizeistatistik scheint. Sie werden einfach seltener angezeigt.
Nach den ermittelten Zahlen sind Diebstahl und einfache Gewaltdelikte im Alter von 13, 14 oder 15 Jahren nicht ungewöhnlich, 28 Prozent aller männlichen Kinder und 22 Prozent der weiblichen betrifft das. Im jugendlichen Alter bis zum 18. Geburtstag sinkt die Zahl schon auf 25 Prozent bei den Jungen und 14 bei den Mädchen. Und danach sind die allermeisten gar nicht mehr straffällig.
Auch die neue Freundin oder der Ausbildungsplatz können kriminelle Anläufe beenden
„Dieser starke Rückgang der Jugenddelinquenz ist normal und wird als Erfolg einer regulär verlaufenden Erziehung und Sozialisation gewertet“, schreiben die Autoren der Studie. Sprich: Der Einfluss von Freunden und Eltern, Mitschülern oder Klassenlehrern ist viel größer als der von Richter Gnadenlos. „Das meiste regelt sich von selbst, aber natürlich nicht ohne jegliche Eingriffe. Für die Wirksamkeit sozialer Kontrolle ist es entscheidend, dass auf Normverletzungen überhaupt reagiert wird“, sagt der Münsteraner Kriminologe. Auch die neue Freundin oder der endlich erreichte Ausbildungsplatz könnten kriminelle Anläufe sofort beenden.
Allerdings gilt das auch umgekehrt. Negative Folgen hätten eine gewaltsame Erziehung „ab Ohrfeige“, so Boers; eine erratische Erziehung („Vater so, Mutter so oder morgens so, abends so“) und Gleichgültigkeit („Keine Zeit, komm’ morgen wieder“). Großen positiven Einfluss habe auch die Schule, „wenn der Jugendliche sich gerecht benotet und fair behandelt fühlt und der Klassenlehrer sich darum kümmert: Was läuft denn da bei meinen Kindern?“
Forscher denken an Fortsetzung der Studie mit den Kindern der Probanden
Noch ein Nebenergebnis ergab, dass keine großen Unterschiede mehr festgestellt werden konnten zwischen männlichen Jugendlichen deutscher, türkischer oder osteuropäischer Herkunft. Türkische Mädchen fallen allerdings weniger auf als deutsche.
17 Jahre Arbeit an dieser Studie, „Kriminalität in der modernen Großstadt“ mit Namen, sind zu Eende. Nun denken die Forscher an eine Anschluss-Untersuchung. Und zwar mit den Kindern der bisher Befragten. Boers: „Wir wissen so viel über die Eltern . . .“