Cox’s Bazar. 400.000 Kinder sitzen in einem Flüchtlingslager in Bangladesch fest. Die Kindernothilfe baut ihnen Schutzzentren. WAZ-Leser können helfen.
Was Amena wichtig ist, das hebt sie auf in einer Art Schuhkarton, „Infusion Set“ steht darauf, doch statt Schläuchen und Pulver ist darin ihr ganzes Spielzeug: lauter leere Plastikdosen, Plastiktellerchen und eine einzige, kleine, strapazierte Puppe – fertig. Ihre Freundin Assia hat heute auch ihr Püppchen mitgebracht, die beiden zehnjährigen Mädchen sitzen auf einer Matte und spielen, was sie jeden Tag spielen: ausgehen, die Umgebung erkunden. Was mag es geben da draußen, außerhalb von Lager 17?
Lager 16 natürlich. Lager 12. Und so weiter. Hügel voller Hütten bis zum Horizont, und der garantiert nicht, dass es dahinter aufhört. Lager „Kutupalong Expansion“, „Kutupalong Erweiterung“: unfassbare 612.000 Flüchtlinge. Halipara: 32.000 Flüchtlinge. Jamtoli: 49.000 Flüchtlinge. Und so weiter. Eine Million Menschen soll hier leben, darunter 400.000 Kinder. Kutupalong mit 200.000 Menschen gibt es schon lange; 2017 und 2018 kamen noch Hunderttausende über die Grenze und strömten zu ihren zuvor vertriebenen Landsleuten.
Alle Hilfe liegt in der Verantwortung internationaler NGOs
Das halbe Volk der Rohingya ist da vertrieben worden aus dem ostasiatischen Myanmar, als Bengalen und Muslime mit eigener Sprache waren die Menschen dort eine dreifache, verachtete Minderheit ohne alle Bürgerrechte. Nachdem Extremisten aus ihren Reihen mehrere Polizeiposten überfallen hatten, reagierte die Armee von Myanmar mit einem Gewaltexzess; da sind sie alle geflohen nach Bangladesch, das sie aber auch nicht wirklich aufnimmt. Außer in diesem Lager, 30 Kilometer südlich der Küstenstadt Cox’s Bazar, Myanmar können sie von hier aus sehen, je nachdem, wo ihre Hütte steht.
Die Uno bringt den Menschen Reis und Bohnen. Der Staat Bangladesch zeigt sich nur mit einigen wenigen Polizisten und Soldaten und mit einigen Verwaltungsbeamten aus dem Hause des „Honorable Minister for Disaster Management“, so ihr Türschild. Doch alle Hilfe liegt in der Verantwortung von internationalen Hilfsorganisationen. Wie der Kindernothilfe aus Deutschland. Kinder kann sie gut. Sehr gut.
„Ich fühle mich unsicher, vor allem bei Nacht, allein mit meiner Enkelin“
Amenas Mutter ist schon lange tot, ihr Vater ist verschollen in Myanmar, als er Brennholz sammeln war; das Waisenkind lebt zusammen mit seiner verwitweten Großmutter Rohima Khatu (75). In einer dieser typischen, offenen Hütten von Camp 17: Aus einem Gerüst aus Bambus bestehen sie, der hier überall wächst; aus Plastikplanen und leeren Säcken, auf denen oft noch „UNHCR“ steht oder „USAid“; aus Steinen obenauf, damit das ganze Zuhause nicht wegfliegt, und aus Überlebenswille, versteht sich.
„Ich fühle mich unsicher, vor allem bei Nacht, allein mit meiner Enkelin“, sagt die Großmutter, eine schmächtige Frau, auf dem Boden sitzend: „Ich bin alt, und sie ist klein.“ Das Leben der beiden hängt komplett von Hilfslieferungen ab: Schon, um die abzuholen von den Ausgabestellen, braucht es die Hilfe der Nachbarn. Bei den Hilfsorganisationen arbeiten können sie auch nicht, sind zu alt, zu jung, zu schwach. Kokosnuss? Papaya? Apfel? Schokolade? Nicht für Amena. Kein Geld.
Sie sahen brennende Häuser und schießende Soldaten
Aber wenigstens hat das Mädchen Anschluss gefunden, es besucht eines der Kinderschutzzentren, das die Kindernothilfe zusammen mit der einheimischen Organisation SKUS aufgebaut hat, eines von neunen, für 600 Kinder. Dort lernen sie, finden Unterstützung und Sicherheit und psychosoziale Betreuung, um mit dem Erlebten umzugehen. Und darum muss es mehr davon geben, wofür wir Sie, liebe Leser, um Spenden bei der diesjährigen WAZ-Weihnachtsaktion bitten.
„
Auch interessant
Nach unseren Erkenntnissen ist jedes vierte Kind mit den schlimmen Erlebnissen völlig überfordert“, sagt Katrin Weidemann, die Vorstandsvorsitzende der Kindernothilfe, die das Lager vor einigen Tagen ebenfalls besucht hat. Was sahen die Kinder nicht alles vor und bei dem Auszug ihres Volkes aus Myanmar: Häuser, die brannten, Soldaten, die schossen. Leichen, da lagen sie. „Körperteile, Köpfe“, sagt Johara. Johara ist 13 Jahre alt. „Vergewaltigungen“, sagt Marufa (14): „Kinder, die geschlagen wurden.“ Und: „Ich möchte nicht darüber reden.“
„Sie ist wieder in der Lage, Freunde zu finden“
Auch Mohina hat so eine Geschichte, die Zehnjährige. „Ich hatte immer Angst“, erzählt sie, „ich hatte regelmäßig Alpträume, ich fühlte mich unsicher“. Im Kinderschutzzentrum fand sie Hilfe, fand Therapeuten, die sich kümmerten. Und so steht jetzt in der jüngsten Fallstudie über Mohina: „In der letzten Sitzung erzählte sie mit eigenen Worten, dass sie jetzt mehr Selbstbewusstsein hat und wieder in der Lage ist, Freunde zu finden.“
Kinder, überall Kinder, auch viele kleinere. Sie tragen große Lebensmittelsäcke auf schmalen Schultern nach Hause, sie spielen in Wasser, das krank aussieht, und sie kommen natürlich gerannt, wenn sie Ausländer sehen, üben dann ihr Englisch. Englisch dürfen sie lernen, die Sprache von Myanmar müssen sie sogar lernen, Bangladesch schreibt das vor: Es will die Menschen ja wieder loswerden.
Sie kommen gerannt, rufen „Hello“, „Bye-Bye“, „How are you?“
Auch interessant
Also, sie kommen gerannt, rufen „Hello“, „Bye-Bye“, auch „How are you?“ Aus manchen festeren Baracken, in denen Hilfsorganisationen wirken, hört man auch immer wieder kleine Kinder singen: die hellen, lebensfrohen Stimmen von fünf-, sechs-, achtjährigen Mädchen und Jungen, die noch nicht ahnen, dass ihnen die Zukunft wahrscheinlich nicht gehört.
Durch die Stunden im Kinderschutzzentrum fühlt sich Amena sicherer. Und dass die Betreuer bei ihr und der Großmutter gelegentlich vorbeischauen, hilft auch. „Wir fühlen uns dann nicht mehr so angreifbar“, sagt Rohima Khatu. Auf dem staubigen Boden steht der Rucksack, den ihre Enkelin bekommen hat; darin trägt Amena ihre Stifte, ihre Hefte, ihre Blätter zu den Schulstunden ins Kinderschutzzentrum. Das Haus ist das einzige, was andeutet, dass es für das Kind eine Zukunft geben könnte außerhalb des Lagers. „Not for sale“ steht auf dem Rucksack: „Nicht zu verkaufen.“ Nein, um keinen Preis.
Das Spendenkonto
Wir wollen in den Lagern und der Umgebung Kinderschutzzentren bauen, die Versorgung mit sauberem Wasser, Trink- und Waschgelegenheiten verbessern und Kinder mit einer Mahlzeit pro Tag versorgen. Und Sie können helfen: Empfänger ist die Kindernothilfe, IBAN DE4335 0601 9000 0031 0310, BIC GENODED1DKD (Bank für Kirche und Diakonie), Stichwort ist: Bangladesch.