Dortmund. Die größte Klimademo von Fridays for Future im Ruhrgebiet lief in Dortmund. Mit 6000 Teilnehmern war sie aber nur halb so groß wie im September.
Die Polizei Dortmund twittert: "Verkehrsstörungen in #Dortmund durch Demonstrationszug zu erwarten! Bitte stellen Sie sich darauf ein!" Die Schüler zwitschern zurück: "Das sind dann wohl wir. #NeustartKlima #FridaysForFuture #WeAreUnstoppable". Und so ist es. Wie schon beim letzten globalen Streik im September findet etwa jede vierte der 2400 Demos in Deutschland statt, allein in der Rhein-Ruhr-Region bis Köln sind es etwa 50 Demos, was rund zwei Prozent der weltweiten Protestzüge ausmacht.
Den Fernbusbahnhof haben die Demonstranten jedenfalls schon mal lahm gelegt (ebenso wie den Wall und diverse Hauptstraßen). Er ist gesperrt von sechs bis 20 Uhr, was unter anderem Flixbus trifft, ein Unternehmen, das als prominenter Unterstützter der Bewegung auftritt. „Jesus Christ“, ruft ein genervter Kunde auf Englisch. Er hat gerade seinen Elf-Uhr-Bus nach Brüssel verpasst, der heute etwa vier Kilometer entfernt an den Westfalenhallen abfährt. „So geht es etwa der Hälfte der Kunden“, schätzt der junge Mann im Kassenhäuschen. „Die meisten haben kein Geld für ein Taxi.“ Er kann nur an die Hotline verweisen, Geld oder ein neues Ticket bekommen wohl nur die, deren Ticketausdruck noch die falsche Adresse anzeigt.
Der Soundtrack der Revolution
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Vor dem Häuschen weist ein älterer Herr eine Bettlerin darauf hin, dass hier heute nicht viel zu holen sein wird. „Musik gut“, sagt er. Die provisorische Bühne hat gerade die „Irie Révoltés“ aufgedreht, deutsch-französischen Reggae. Der Soundtrack dieser Revolution spielt zwischen Kraftklub und Tracy Chapman, zwischen Hip-Hop und "We are the world" - selbstverständlich bezieht man sich auf vorangegangene Bewegungen.
Die Dortmunder Demo startet am abgewrackten Nordausgang des Hauptbahnhofs. „Urban“ nennt die Deutsche Bahn das Ambiente in ihrem groß aufgetragenen Graffito - aber vielleicht sagen die Sperrholzplatten und der Rost am Eingangsdach auch etwas über Investitionen in den Klimaschutz aus. Der Morgen begann mit der Nachricht, dass sich die Länder mit der Bundesregierung über die Kostenverteilung des Klimapakets streiten, mit dem ja auch die Bahn attraktiver werden soll.
Dass der Bundesrat ein Gesetzesvorhaben an den Vermittlungsausschuss gibt, gehört natürlich zur normalen politischen Entscheidungsfindung. Das Verständnis dafür ist jedoch wenig ausgeprägt: "Diese demokratischen Verfahren kennt man ja schon ...", sagt Lucie K. (53) aus Lünen. Sie hält ein Plakat: "CDU - Climate Desaster Union". Wenig später wird Mitorganisator Julius Obhues (17) vom Phoenix-Gymnasium die Begrüßung einleiten mit: "Wir wollen mit Parteien nichts zu tun haben."
Der ermüdende Streit mit der MLPD
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Das gilt besonders der marxistisch-leninistischen MLPD, die es nicht müde wird, die Freitagsdemos mit ihren Flaggen und Flyern vereinnahmen zu wollen. Das tun freilich auch andere. "Übrigens zerstört der Kapitalismus auch das Klima. Ende der Analyse", ruft eine Aktivistin der Autonomen Antifa 170 von der Bühne, mit ihrer Gruppe verdeckt von zwei Bannern, da man nicht fotografiert werden mag - aus Furcht vor Nazis. Andere Redner fordern die Vergesellschaftung von Stromkonzernen, eine Sara "ohne h", die ihren vollen Namen nicht nennen mag, verbindet in ihrer Rede die Themen Nord-Süd-Konflikt, Kolonialismus und Frauenrechte mit dem Klimaschutz, während uns ein "Veganer for future" eine Checkliste zur klimatischen Selbstoptimierung in die Hand drückt: "Die Zukunft ist vegan." Er dreht sich noch mal um und schickt hinterher. "Oder sie findet nicht statt."
Hoch über dem Platz schleppt ein Kleinflugzeug Werbung für ein Möbelhaus hinter sich her - recht offensichtlich vorbei an der klimabewussten Zielgruppe. Knapp 6000 versammeln sich, nur die Hälfte vom September, als Fridays for Future erstmals bewiesen haben, dass sie Massen bewegen können. In Essen und Bochum kommen gar "nur" je 2000, ein gutes Fünftel. "Das kalte Wetter", sagt Julius Obhues, und kann doch stolz sein auf diese 6000. An normalen Freitagen kommen vielleicht 150. Und im internationalen Vergleich ist Deutschland ohnehin einzigartig. In der australischen Fünf-Millionen-Metropole Sydney, wo dieser Freitagsstreik naturgemäß seinen Anfang nahm, zogen nur einige hundert Schüler los, obwohl die Stadt gerade im Rauch von Buschfeuern hustet.
"Ach komm, geh weiter mit deinem Klimascheiß!"
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Der Laster mit der Musik und den Einheizern ("Hopp, hopp, hopp! Kohlestopp!") fährt voraus, der Zug der 6000 streift die Dortmunder Nordstadt, aber erreicht die Botschaft deren Bewohner? "Ach komm, geh weiter mit deinem Klimascheiß!" - "Nee, ich bin von der Zeitung." - "Die sollen zur Schule gehen. Können sowieso nix dran ändern." Der Mann mit der Promenadenmischung am Silberkettchen dreht ab, sein Freund mit dem nicht mehr so ganz borussengelben Schal sagt noch: "Ist alles zu spät."
Einige jüngere Anwohner filmen am Fenster, zwei alte Damen stützen ihr Kinn auf Händen, im Fenster gerahmt von Spitzengardinen und Rosensträußchen. "Kohlekonzerne! Baggern in der Ferne!", singt Julius Obhues unter ihnen auf dem Wagen vor, er ist schon ganz heiser. "Wo ist der ganze Schnee?", skandiert die Klasse 4c der Hohwart-Grundschule. Einige Teilnehmer stürmen ein Café, das die politischen Extreme auf seiner Karte verbindet: "Geld allein macht nicht glücklich. Man muss schon Kuchen davon kaufen."
>> Info: Das fordert Friday for Future
"Lächerliches Klimapaket, Einbruch der Windkraft, gestoppter Kohleausstieg: Die GroKo hat sich in diesem Jahr vom 1,5-Grad-Ziel verabschiedet." So warb Fridays for Future für die Demos am 29. November, drei Tage vor der UN-Weltklimakonferenz in Madrid.
Für Deutschland fordert die Bewegung unter anderem, sofort alle Subventionen für fossile Energieträger zu streichen sowie ein Viertel der Kohlekraft abzuschalten. Bis 2035 soll Deutschland komplett auf erneuerbare Energien umgestellt haben.
„Fridays for Future“-Sprecher Quang Paasch sagte, das Klimapaket sei angesichts der weltweiten Herausforderungen durch die bereits begonnene Klimakatastrophe „pille, palle“ und eine Bankrotterklärung. „Wir brauchen in der Klimapolitik einen kompletten Neustart.“ Wegen der „Untätigkeit“ der Groko verfehle Deutschland alle selbstgesteckten Klimaziele.