Essen. Fremdenfeindliche Motive sollen ihn zur Amokfahrt in Bottrop und Essen getrieben haben. Jetzt steht ein 50-Jähriger erneut vor Gericht.
Zwölffachen Mordversuch wirft die Staatsanwaltschaft dem 50 Jahre alten Essener Andreas N. vor. In der Silvesternacht 2018/19 soll er in Bottrop und Essen gezielt auf Gruppen von Ausländern zugefahren sein, "um sie bewusst zu überfahren". Doch die Antragsschrift von Staatsanwältin Julia Schweers-Nassif vor dem Essener Schwurgericht macht auch klar, dass der psychisch Kranke dafür nicht bestraft werden soll.
Denn er gilt als schuldunfähig, soll auf nicht absehbare Zeit in eine psychiatrische Klinik. "Das Böse", das damals am Steuer des silbergrauen Mercedes auf die Menschen zufuhr, es hat am Dienstag eine freundliche Stimme. Höflich fragt Andreas N. Richter Simon Assenmacher, den Vorsitzenden der VI. Strafkammer, ob er etwas sagen soll: "Wenn ich kurz weiter erzählen darf?"
Tod einer Richterin beendete die erste Verhandlung
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Für Assenmacher ist das neu. Viele der Juristen und Nicht-Juristen im Saal kennen das bereits. Denn Anfang Juni hatte Andreas N. schon einmal vor der VI. Strafkammer erzählt, was ihm von der Silvesternacht in Erinnerung geblieben ist. Nach wenigen Tagen war das Verfahren allerdings geplatzt. Der plötzliche Tod der Vorsitzenden hatte eine Fortsetzung unmöglich gemacht.
Jetzt also unter neuem Vorsitz ein zweiter Versuch. 14 Menschen hatte Andreas N. bei seiner Amokfahrt verletzt, eine Frau sogar lebensbedrohlich. Viele von ihnen haben sich dem Verfahren als Nebenkläger angeschlossen, im Saal sitzen aber nur zwei von ihnen. Auch die Plätze im Zuhörerbereich sind nur spärlich gefüllt.
Überfahrene Mutter sagt unter Tränen aus
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Das Leid, das der Beschuldigte verbreitet hat, war im Juni bereits mit den ersten Zeugenaussagen deutlich geworden. Eine 46-Jährige, Mutter von zwei Kindern, hatte berichtet, dass er sie mit seinem Mercedes gleich zweimal überrollt habe. Sie schwebte damals in Lebensgefahr. "Wir sind vor dem Krieg in Syrien geflüchtet, um unsere Familie zu schützen", erzählte sie im Juni unter Tränen und fuhr fort: "Und dann mussten wir so etwas erleben."
Andreas N. kann sich nach eigenen Worten dagegen nicht mehr an Einzelheiten der Silvesternacht erinnern. Laut dem vorläufigen Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen leidet er an einer paranoiden Schizophrenie. Seit dem Jahr 2001 wird er behandelt, nimmt Medikamente gegen Wahnvorstellungen.
Psychische Störungen seit 2001
Aber immer wieder habe er sich in der Vergangenheit auch wieder gesund gefühlt und die Arznei abgesetzt. Dann kamen die psychischen Störungen zurück: "2004 bin ich mit der Bahn nach Bredeney gefahren. Dort habe ich mich nackt ausgezogen und bei einem Freund meiner Mutter geschellt."
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Andreas N. wohnte zuletzt in Borbeck, lebte von Hartz IV, verbrachte seine Zeit bei seiner Mutter oder in einer Rüttenscheider Spielothek. Am 31. Dezember, so hat er aber erst später aus den Akten erfahren, hätten Mutter und ein Freund ihn schon als psychisch auffällig erlebt. Aber das habe er ignoriert.
In der Silvesternacht Anschlag befürchtet
Am späten Silvesterabend will er den Auftrag bekommen haben, einem Freund beim Aufräumen der Werkstatt zu helfen. "Aber da war keiner." Er sei dann in die Bottroper Innenstadt gefahren, habe sein Auto geparkt und stundenlang beobachtet. Zum Schluss habe er gefürchtet, dass ein Anschlag unmittelbar bevorstehe. Viel mehr wisse er nicht. "Wie ein Staubsauger" sei er gewesen. Im Juni hatte er das präzisiert: "Ein Staubsauger, der Menschen ansaugt."
Erst fährt er auf fröhlich feiernde Menschengruppen in Bottrop zu, dann wechselt er über nach Essen. Auch dort steuert er die Feiernden an. Und immer wieder sind es Ausländer, die der Borbecker trifft.
Anwalt: Silvesternacht war Ausnahme
Sein Verteidiger Andreas Renschler betont am Dienstag, dass sein Mandant ein ruhiger freundlicher Mensch sei. Die Silvesternacht sei eine Ausnahme gewesen. Andreas N. formuliert es gegenüber den Richtern nicht anders: "Eigentlich bin ich ein Gemütsmensch." Fremdenfeindlich, so hatte Renschler gesagt, sei der Beschuldigte jedenfalls nicht.
Nach der Amokfahrt hatte die Polizei allerdings Äußerungen aufgeschrieben, die sehr wohl den Verdacht nähren. Da soll Andreas N. sich über Ausländer mit dicken Autos geärgert haben. Und dass er die Stadt von ihnen "reinigen" wolle. 13 Sitzungstage sind geplant.