Mülheim. Nach drei Wochen Bauzeit hat die Bahn auf der gesperrten Strecke zwischen Essen und Duisburg die längste Weichen eingebaut. Alles liegt im Plan.

Heute ist Halbzeit auf der Bahnbaustelle zwischen Essen und Duisburg. Und das können die Projektleiter schon sagen: Wenn jetzt nicht der Himmel auf die Gleise stürzt oder ein Signal-Mast vom Helikopter, dann werden sie bis zum Ende der Ferien fertig und noch mehr. Acht zusätzliche Maßnahmen haben sie bereits eingebaut und in der Nacht zu Freitag in Mülheim die größte aller Weichen. Ein Besuch auf der gesperrten Strecke.

Das „Einschottern“ ist durch, der Eisenbahndrehkran schon wieder heimgekehrt nach Essen, „Fertigstellung 65 Prozent“, meldet die digitale Baustellenüberwachung. Was jetzt kommt, ist „Einbau W4“. So eine große und lange Weiche hatte Projektleiter Björn Schniederken noch nie, die Kurve hat einen Radius von 1,2 Kilometern. Sie haben sie in drei Teilen angeliefert, in dieser Nacht sollen sie angeschweißt werden, auf der Karte ist der Bauabschnitt grün. „Hotspot“, sagt Schniederken. Und so ist es ja wirklich, es wird heiß im Licht der Scheinwerfer.

Alte Bahnschwellen verschwinden in einer Staubwolke

Daneben liegt Mülheim-Heißen stockdunkel, trotzdem glänzen Masten und Oberleitungen vor schwarzem Nachthimmel: alles neu hier! Sie verlegen auf dem ganzen 22 Kilometer langen Baufeld in diesen Wochen 150 Kilometer Kabel. Vom Hubwagen aus regulieren Arbeiter die Abstände der schweren Kupferstränge mit dem Zollstock. „Acht Zentimeter!“, festmachen, sie nennen das wirklich „tüddeln“. Es ist, sagt Björn Schniederken, „ein bisschen wie Weihnachtsbaum-Schmücken. Erstmal aufhängen, dann gucken, wie’s aussieht.“ An der Böschung schafft Eddie Aslan mit seinem Zweiwege-Bagger, schienen- und straßentauglich, in einer Staubwolke die ausgedienten Bahnschwellen weg, immer drei in seiner Schaufel.

Björn Schniederken, Projektleiter der DB Netze, führt durch die Nacht auf „seiner“ Baustelle.
Björn Schniederken, Projektleiter der DB Netze, führt durch die Nacht auf „seiner“ Baustelle. © FUNKE Foto Services | Lukas Schulze

Die neuen Schienen liegen schon, Spurbreite 1435 Millimeter, altes englisches Postkutschenmaß. Verschraubt mit einer Art Akkuschrauber für Riesen, die Männer haben muskelbepackte Arme, aber jetzt müssen sie die Schrauben wieder lösen: Es nahen die Schweißer, es soll ja nichts spannen. Bauleiter Patrick Balkhausen von der Firma Eiffage aus Herne kommt mit dem Schienenthermometer, 18 Grad um viertel vor zwölf. Das muss wärmer werden, auf 23 bis 26 wird die Schiene mit einer „Wärmeröhre“ erhitzt: Mitteltemperatur, damit sie sich unter Belastung nicht verzieht. Deshalb machen sie das im Sommer nachts, „kühlen können wir nicht“. Also Feuer unter den Schienenkopf, 21 Meter „wachsen“ so binnen Minuten um zwei Millimeter Länge. Die Weiche wurde übrigens in Witten gebaut.

Helikopter lässt neue Signale einschweben

An was man alles denken muss! Björn Schniederken, bei dem schon die Visitenkarte kompliziert ist („Projektleiter DB Netze STE I.NP-W-M-S (4)“) sagt, man brauche Jahre, „bis man die Systemwelt Bahn durchblickt“. Allein der Plan am Stellwerk Styrum: „Sperren, Weichen, Signale, Leitungen, was man so alles hat.“ HAB wie Hubarbeitsbühne, Bau-BÜ wie Bahnübergang, „Mastbez. Mastst. GL5“, und die SA2-Scheibe bedeutet „Einfahrt verboten“. Schwellen sind orange eingezeichnet, Kabelzüge himmelblau, und der Hubschrauber, der übernächste Woche die neuen Signale einfliegen soll, leuchtet pink. Selbst nach 25 Jahren Berufserfahrung sagt Schniederken, 42: „Ich lerne bei jeder Baustelle etwas Neues dazu.“

Flexen, Schleifen, Schweißen: Die längste Weiche zwischen Essen und Duisburg wird mit den Schienen verbunden.
Flexen, Schleifen, Schweißen: Die längste Weiche zwischen Essen und Duisburg wird mit den Schienen verbunden. © FUNKE Foto Services | Lukas Schulze

Diesmal, dass man die neue große Weiche statt aus 250 einzelnen Schwellen aus ebendiesen drei Teilen zusammensetzen kann, und trotzdem ist es noch „wie Malen nach Zahlen“. Dass der Heli in fünf Minuten schafft, wofür ein Bagger zwei Stunden braucht (was noch zu beweisen ist, aber erst in zwei Wochen). Und, darüber haben alle einmal mehr gestaunt, dass die Natur schneller ist als die Bahn: Kaum waren die Züge weg, kamen die Hasen. Echte Feldhasen, dazu Füchse und Eidechsen, sie laufen zwischen alten Schienen und trockenem Gras, dass die Maschinen kaum hinterherkommen.

Flammen und Funken im nachtdunklen Gleisbett

Aber jetzt sind die Schweißer vorgerückt, schweres Gerät und Gasflaschen auf einem Schienenfahrzeug, das sie schieben von Hand. Sie haben die Schiene angewärmt, eine Form auf die Spalte gesetzt, es heißt, sie bauen einen Hochofen. „Stahlwerk in der Westentasche“, wirbt der Hersteller tatsächlich, aber nun: Für die Warnweste ist der ausgewachsene Metalleimer nun doch deutlich zu groß. Und zu heiß. Bis zu 2450 Grad warm wird der Schweißtiegel, den sie mit Feuer über dem Schienenspalt geradezu auflösen: Drin ist Thermit, eine offensichtlich sehr, sehr brennbare Mischung aus Aluminium, Eisen und Schlacke. Entfacht wird sie mit einem „Sonderzündholz“, es sieht aus wie eine Wunderkerze. Funken, Flammen, glühende Steine! Und leichter Brandgeruch im Schotterstaub.

Die noch glühende Nahtstelle wird geschliffen.
Die noch glühende Nahtstelle wird geschliffen. © FUNKE Foto Services | Lukas Schulze

Ein schwerer Hammer löst die Form, Schleifmaschinen formen das noch glühende Eisen wieder zu dem, was da vorher war: eine Schiene, aber jetzt ohne Spalt. Früher, sagt einer der Chefs, habe es „pampam, pampam“ gemacht, „wenn man drüber gefahren ist, heute ist alles durchgehend verschweißt“. Wenn die Sperrung erst aufgehoben ist, soll man hier nichts mehr spüren von der Naht.

Am 26. August fahren die Züge wieder

20 solcher „aluminothermischen Gießschmelzschweißungen“ müssen sie in dieser Nacht noch schaffen, 82 insgesamt. Dann liegt die Weiche fest, die einst den Zukunftszug RRX tragen und lenken soll. Die Männer sprechen nicht viel, sie schwitzen schweigend, jeder Handgriff sitzt. Wenn sie hier fertig sind, werden andere kommen, die die alten Masten abreißen. Die Brücken prüfen, Gleisbetten stopfen und Heißens Harenbergbrücke ausbessern, so lange die Züge nicht fahren. Das sollen sie am 26. August wieder, morgens um fünf. „Ein Ende“, sagt Björn Schniederken und guckt, als würde er das ein bisschen bedauern, „ist in Sicht.“

>>INFO: SPERRUNGEN WERDEN ZUM SCHULBEGINN AUFGEHOBEN

Während der Sommerferien hat die Deutsche Bahn erneut einen ihrer wichtigsten Streckenabschnitte in NRW voll gesperrt: Zwischen Essen und Düsseldorf-Flughafen werden 150 Kilometer neue Kabel verlegt, 129 neue Signale, 22 Kilometer neue Schienen, 13 neue Weichen, eine neue Ruhrkanalbrücke gebaut.

Dazu kommen Ausbaumaßnahmen an vier Bahnhöfen. Das Streckennetz soll fit gemacht werden für den Zukunftszug RRX, in Duisburg soll 2021 das neue, moderne Stellwerk in Betrieb gehen.

Das Investitionsvolumen allein in diesem Jahr: mehr als 40 Millionen Euro. Los ging es am 12. Juli, nach sechseinhalb Wochen mit Schienenersatzverkehr sollen am Montag, 26. August, um fünf Uhr früh alle Züge wieder planmäßig fahren.