Mülheim. In unscheinbaren Bürocontainern in Mülheim schlägt das Herz der großen Streckensperrung in den Sommerferien. Hier lenkt die Bahn alle Einsätze.

Man hätte sich einen Tower ja schon ein bisschen anders vorgestellt. Nicht als sieben Arbeitscontainer hart am Rande einer staubigen Bahnstrecke, gestapelt auf zwei Etagen, darin nicht viel mehr als ein paar Laptops und Bildschirme, ein Whiteboard, eine große Karte, Kühlschrank, Kaffeemaschine, Klimaanlage – was man halt so braucht zur sommerlichen Arbeit im Container. Verzeihung: natürlich im Tower.

Denn die schmucklose Anlage auf dem Gelände des Stellwerks Mülheim-Styrum sei in Wahrheit „wie Tower und Flugsicherung“, sagt Marcus Wruck, Geschäftsführer des Baulogistikers „Digibau“. Von diesen Containern aus steuern nämlich die Bahn und „Digibau“ von der Nacht auf Samstag an die Größtbaustelle des Ruhrgebiets, und sie machen das mit vier bis fünf Leuten. Draußen wimmeln dann jederzeit 200 bis 250 Bauarbeiter, morgens, mittags, abends, nachts. Nur die Züge fahren außen rum.

Bahnsperrung zwischen Essen und Duisburg: 60 Baustellenfahrzeuge, 400 Fahrten täglich

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Und zwar deswegen: Wie berichtet, sperrt die Bahn die Strecke zwischen Essen und Duisburg von Samstagnacht an für 44 Tage in beiden Richtungen, fährt nicht mehr mit Fernverkehr den Flughafen Düsseldorf an und stopft so viele Bauarbeiten in diese Wochen hinein . . . so viele, wie es eben geht. „Sonst hätten wir viele Jahre lang immer wieder Baustellen“, sagt Björn Schniederken, der Koordinator der Bahn. Ergänzt Wruck: „Ohne Digitalisierung wäre das alles nicht zu schaffen.“

Stopfmaschinen und Gleiskräne werden sie lenken, Arbeits- und Umbauzüge steuern, Zweiwegebagger führen: 60 Fahrzeuge insgesamt, die an jedem Tag rund 400 Fahrten machen. Eine einzige Fahrt zu planen, aufzuschreiben, dem Fahrdienstleiter zuzuschicken und seine Bestätigung abzuwarten, kostete bisher 30 bis 40 Minuten. Nun geht es in einer.

Fast jede Stunde an 44 Tagen Bauzeit ist verplant - Baufahrzeuge mit GPS

„Stellen wir uns vor, ein Zweiwegebagger ruft uns an“, sagt Martin Hörnig von „Digibau“ (lustige Vorstellung, aber nun gut): „Er steht an Weiche 70 und muss zum Gleisanschluss von Thyssen-Krupp.“ Hörnig drückt auf drei, vier Stellen einer digitalen Karte, hier eine Weiche, dort ein Richtungswechsel, noch einer – und schon weiß der Bagger, wie er fahren muss. Das geht natürlich nur, weil jedes Baustellenfahrzeug an GPS angeschlossen und somit jederzeit erkennbar ist, wo es gerade parkt, fährt, im Weg steht oder – anruft.

Alle wichtigen Infos zur Bahnsperrung

Auf dem großen Whiteboard wechseln sie wischend zwischen den Darstellungen und ziehen sie mit den Fingern groß. Dann sieht man auch: Jeder Tag, fast jede Stunde ist verplant auf der 22 Kilometer langen Baustelle. „Schienen trennen“ steht dann dort, „Schweißen“, „Verfüllen Gl.1“ oder auch „Abbau Gerüst Siegfried“ – natürlich in Abstimmung mit dem „4.2er-FDL EENW“, einem der Fahrdienstleiter von Essen-West.

Hubschrauber werden auf der Baustelle Signalmasten aufstellen

An den letzten Tagen steigen dann sogar noch Helikopter auf, um über 150 neue Signalmasten aufzustellen. Das ist zwar deutlich teurer als die bisherigen Bagger, aber auch deutlich, man ahnt es schon, schneller. Der, nun ja, Tower soll es auch ermöglichen, jederzeit zu messen, ob die Arbeiten im Zeitplan sind, und natürlich lenkend einzugreifen, wenn sie aus demselben laufen.

Daher interessierten sich auch Straßenbauer inzwischen deutlich für digitale Baustellensteuerung, sagt Marcus Wruck: Denn die Schnelligkeit verkürze die störenden Eingriffe in die Infrastruktur. Die dritte derart lange Streckensperrung im Ruhrgebiet wird zunächst auch die letzte sein: Bahnsprecherin Kirsten Verbeek rechnet für das Jahr 2020 nur mit Sperrungen in der Größenordnung „zweier verlängerter Wochenenden“.

„Der Endtermin ist in Stein gemeißelt“

Und wozu das alles im Sommer 19? Nun, sie erneuern 22 Kilometer Schiene, 150 Kilometer Kabel, eine Brücke, sechs Weichen; bauen an Bahnhöfen um für den Zukunftszug RRX und auch weiter am elektronischen Stellwerk Duisburg. Die Gesamtinvestition liegt bei etwa 40 Millionen Euro. Eine Menge Arbeit für 44 Tage und Nächte.

Und doch sagt Björn Schniederken, der Koordinator: „Der Endtermin ist in Stein gemeißelt.“ Von Witzen über Pünktlichkeit kann man an dieser Stelle absehen: Die ersten beiden Dauerbaustellen endeten auf den Punkt. Vielleicht ist die Bahn ja als Bauunternehmen besser als als Bahn.