Essen. Wird das Leben in NRW immer unsicherer? NRW befragt demnächst 60.000 Bürger nach ihrem Sicherheitsgefühl und ihren Erfahrungen mit Gewalt.

Eine hohe Aufklärungsquote in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) hat nur sehr begrenzt zu tun mit guter Polizeiarbeit, aber viel mit der Zahl der Diebstähle: Denn das sind hunderttausende Fälle jedes Jahr, die praktisch nie aufgeklärt werden. Sinkt also die Zahl der Diebstähle deutlich, dann steigt der Anteil jener Delikte, die eh besser aufgeklärt werden – und dann geht die Aufklärungsquote für die gesamte PKS automatisch hoch. So ist Statistik.

Warum wir das erzählen? Weil das Land NRW sich jetzt daranmacht, die Kluft zu erforschen zwischen Kriminalstatistik und Kriminalitätsfurcht. Die Kluft besteht darin, dass nach der Statistik die Kriminalität langfristig zurückgeht, nicht jedes Jahr, nicht in jedem Feld, bei weitem nicht, aber tendenziell; die Furcht vor Kriminalität aber offenbar zugenommen hat und davor, selbst zum Opfer zu werden.

In Essen eine weitere Untersuchung zur Kriminalitätsfurcht

Eine ganz ähnliche Untersuchung beginnt schon nächste Woche in Essen. Über 15.000 Einwohner erhalten einen Fragebogen.

Für die Stadt und ihre Stadtteile soll ein detailliertes Lagebild der persönlichen Erfahrungen und Einschätzungen entstehen.

„Dunkelfeldstudie“ fragt nach Delikten, die nie angezeigt wurden

Daher bekommen in den nächsten Wochen 60.000 Bürger in Nordrhein-Westfalen Post vom Landeskriminalamt (LKA) und vom „Institut für angewandte Sozialwissenschaft (Infas)“ mit der Aufforderung: Erzählen Sie mal . . .

„Sicherheit und Gewalt in Nordrhein-Westfalen“ heißt diese sogenannte Dunkelfeldstudie: weil sie sich mit Dunkelziffern befasst, also Straftaten, die nie angezeigt wurden und deshalb auch in keiner Polizeistatistik auftauchen. Über Dunkelziffern freilich weiß man so gut wie nichts, sonst wären es ja keine Dunkelziffern.

„Sicherheit ist nicht nur ein Fakt, sondern auch ein Gefühl“

Allerdings ergab eine ähnliche Untersuchung 2017 für Niedersachsen, dass nur sieben Prozent aller Sexualdelikte angezeigt würden, aber 94 Prozent aller Delikte mit Autos – weil man das für die Versicherung braucht.

NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) betreibt die Untersuchung, gemeinsam mit seiner Kollegin für Heimat, Ina Scharrenbach (CDU).
NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) betreibt die Untersuchung, gemeinsam mit seiner Kollegin für Heimat, Ina Scharrenbach (CDU). © FUNKE Foto Services | Carsten Klein

„Sicherheit ist nicht nur ein Fakt, sondern auch ein Gefühl“, sagt nun NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU): „Wir können nicht alles mit Zahlen und Fakten erfassen, sondern müssen auch darauf hören, was die Menschen empfinden.“

Vier von fünf fühlen sich sicher, auch in der Dunkelheit

Im internationalen Vergleich sei die Kriminalitätsfurcht in Deutschland aber nicht sehr hoch, sagt Jochen Wittenberg von der „Deutschen Hochschule der Polizei“ in Münster: „Vier von fünf Menschen fühlen sich sicher, auch in der Dunkelheit.“

Der Grad der Furchtsamkeit hänge zusammen mit Faktoren wie Alter, Geschlecht, einem Gefühl von Wehrlosigkeit und der Wahrnahme von Verwahrlosung im Straßenbild. „Dann entsteht der Gedanke: Hier gelten keine Regeln mehr“, sagt Wittenberg.

Untersuchung in allen großen und mittleren Revierstädten

Noch hält die Behörde die genauen Fragen geheim, ihre Veröffentlichung könne die Antworten beeinflussen, heißt es beim LKA. Aber bekannt ist: Es werden Fragen sein dazu, wie sicher sich die Menschen zuhause und in der Öffentlichkeit fühlen; und Fragen nach Delikten, denen man selbst zum Opfer fiel, ohne das angezeigt zu haben.

Alle großen und mittleren Ruhrgebietsstädte sind in die Studie eingebunden, 81 Kommunen insgesamt im Land. In den letzten Monaten hat „Infas“ bei den Meldebehörden um eine repräsentative Auswahl der jeweiligen Einwohner gebeten.

Antwortet ein Viertel, ist die Untersuchung repräsentativ

Dunkle Unterführungen wie hier in Bochum-Werne sind für viele Menschen Angsträume.
Dunkle Unterführungen wie hier in Bochum-Werne sind für viele Menschen Angsträume. © FUNKE Foto Services | Dietmar Wäsche

Sie werden zunächst Post bekommen, was für eine Studie das ist und dass sie ausgewählt wurden; einige Tage später folgt dann der eigentliche Fragebogen. Beteiligt sich ein Viertel der Angeschriebenen, gilt die Studie als repräsentativ.

Aber vielleicht sollte man auch nicht allzu viel von der Befragung erwarten. Denn eine Studie der Uni Halle an der Saale listet auf, wo sich in der Vergangenheit bei ähnlichen Befragungen Fehler einschleichen konnten.

Ergebnisse in Richtung schwerer Delikte verzerrt

Durch falsches Erinnern etwa. Auch würden die Ergebnisse in Richtung schwerer Delikte verzerrt, weil leichte schneller vergessen werden.

Und schließlich gab es in der Vergangenheit das skurrile Ergebnis, höher Gebildete erlitten häufiger Körperverletzungen. Das ist erkennbar Blödsinn und erklärt sich wohl so: Sie würden „gewalttätiges Verhalten eher als kriminell auffassen“ als andere und dann Entsprechendes berichten. So ist Statistik.