An rhein und Ruhr. Weniger Kriminalität, aber große Furcht vor Verbrechen. Wie passt das zusammen? Der Kriminologe Thomas Feltes kritisiert Polizei und Politik.

Innenminister Herbert Reul (CDU) ließ sich in der vergangenen Woche feiern. Seit 30 Jahren war das Land Nordrhein-Westfalen nicht mehr so sicher wie heute. Zumindest wenn man der Kriminalitätsstatistik Glauben schenken darf. Viele Bürgerinnen und Bürger nehmen trotzdem große Angst vor arabischen Clans, Rocker-Banden und Flüchtlingen mit in ihren Alltag. Warum?Professor Thomas Feltes, Lehrstuhlinhaber für Kriminologie, Kriminalpolitik und Polizeiwissenschaft an der juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum, hat die Fragen von Volontär Christian Woop beantwortet.

Woher stammt diese Diskrepanz zwischen gefühlter Sicherheit und den Zahlen des Landes NRW?

Thomas Feltes: Innere Sicherheit wird zunehmend als „gefühlte Sicherheit“ gehandelt: Die Angst vor Straftaten erscheint für den einzelnen Bürger wichtiger als die tatsächliche Wahrscheinlichkeit, Opfer einer Straftat zu werden. Von Politikern wird diese Angst bei jeder passenden - und auch unpassenden - Gelegenheit instrumentalisiert. Die Angst davor, Opfer zu werden, spiegelt

Der Kriminologe Thomas Feltes.
Der Kriminologe Thomas Feltes. © Rottmann

weniger konkrete Bedrohungen, sondern eher allgemeine gesellschaftliche Ängste und Verunsicherungen wider. Hinzu kommt zunehmender ökonomischer Druck sowie eine generelle Zukunftsangst: Angst vor Krankheit, Armut im Alter, vor den Auswirkungen der Globalisierung, vor Flüchtlingen.

Welchen Einfluss haben dabei rechtspopulistische Kräfte?

Diese Ängste fokussieren sich auch bedingt durch mediale Berichterstattung und die damit einhergehende politische Stimmungsmache auf Kriminalität und damit auf „die Kriminellen“, die zunehmend als Ausländer und Migranten „identifiziert“ werden. Psychologisch betrachtet ist „Innere Sicherheit“ ein Konstrukt, das durch subjektive Empfindungen und weniger durch objektive Gefährdungen beeinflusst wird. Dieses Bild wird wesentlich durch Medienberichterstattung und Diskussionen im persönlichem Umfeld geprägt.

Also geht es vielen darum, diese Angst unbedingt zu personifizieren?

Durch die Umbrüche in unserer Gesellschaft entsteht eine undurchsichtige, negative Gefühlswelt vor allem bei den Menschen, die um ihre finanzielle Sicherheit bangen müssen. Diffuse Existenz- und Abstiegsängste vermischen und überlagern sich und werden zu einem unbestimmten Bedrohungsgefühl, das in der Kriminalitätsfurcht einen Ausdruck findet. Hier kann die Angst benannt und personalisiert werden. Diese „wabernde Angst“ durchzieht unseren Alltag und legt sich wie ein Nebelschleier über unsere Wahrnehmungen.

Was noch?

Viele Menschen glauben zudem einen Anspruch darauf zu haben, dass immer alles besser wird, dass man quasi eine Garantie auf Wohlstand und Fortschritt hat. Verlustangst und das Gefühl, dass der Staat nicht mehr alles richten kann, verunsichern und führen zu einem generalisierten Misstrauen. Das gesellschaftliche Klima entwickelt sich kritisch, man nimmt zunehmende Rücksichtslosigkeit und weniger Hilfsbereitschaft, weniger Zusammenhalt und weniger Respekt gegenüber Regeln und Vorschriften wahr – und verhält sich selbst dann auch so.

Warum projizieren die Menschen ihre Ängste auf bestimmte gesellschaftliche Gruppen?

Die Sicherheit des Gewohnten kommt abhanden, es macht sich eine wabernde Angst breit. Es sind diffuse, erst einmal auf nichts Konkretes gerichtete Ängste. Weil Menschen sich aber dumm fühlen, wenn sie Angst spüren, ohne zu wissen, wovor sie sich eigentlich fürchten, klammern sich ihre Ängste an alles, was ihnen angeboten wird, wider alle Vernunft, wider alle Erfahrung. Und das sind dann Flüchtlinge, Straftäter allgemein, Rocker, die Mafia oder auch Roma-Familien oder Clans. Alles, was ihnen von Politik und Polizei als „Ursache“ angeboten wird.

Die schwarz-gelbe Landesregierung versucht mit einer härteren Gesetzgebung und einer Null-Toleranz-Politik dagegen zu halten. Im Hambacher Forst ist zum ersten Mal das neue Polizeigesetz angewandt worden. Die Kritik gegenüber dem Einsatz ist groß. Konzipiert wurde das Gesetz in der öffentlichen Darstellung vor allem gegen Terrorabwehr, nun kam es in einem vergleichsweise harmlosen Kontext zum Einsatz. Was hat das zu bedeuten?

Wir kennen diesen Mechanismus seit Jahrzehnten: Aus angeblich aktuellem Anlass wird ein neues Gesetz geschaffen oder ein Gesetz verschärft, und als Begründung wird eine schwere aktuelle Bedrohung genannt. Dann kann niemand sich dagegenstellen. Tatsächlich aber wird das Gesetz dann in Zukunft viel breiter angewandt als ursprünglich von der Politik angegeben. Es liegt dann an den Gerichten, solchen Ausweitungen entgegenzutreten. Denn die Intention des Gesetzgebers spielt bei der Interpretation von Vorschriften eine wichtige Rolle.

In der Kritik steht auch die neue Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE+), die zum Pokalspiel zwischen Schalke 04 und Fortuna Düsseldorf geschickt wurde. Eine Partie, bei der Fans in der Vergangenheit nicht negativ aufgefallen sind. War dieser Einsatz nötig?

Hier will man wohl üben. Solche Einheiten gibt es schon länger, und sie stehen auch schon länger in der Kritik. Meine Befürchtung ist, dass sich

Martialisch: Die neue BFE+-Einheit.
Martialisch: Die neue BFE+-Einheit. © Svenja Hanusch

diese Einheiten quasi als „Elite“ innerhalb der Polizei verstehen - als kleine SEKs - und dann alles daran setzen, diesem Ruf auch gerecht zu werden. Mit Deeskalation und Bürgerfreundlichkeit hat das wenig zu tun. Aber auch hier wird es darauf ankommen, wie die lokalen Einsatzführer damit umgehen, denn sie - und nur sie - sind dafür verantwortlich, ob und wie polizeiliche Maßnahmen durchgeführt werden.