Ruhrgebiet. Sind junge Leute politischer geworden? Kaum. Sie haben aber mit Fridays for Future neue Wege gefunden, ihre Meinung zu sagen. Eine Feldforschung.

Die schwänzen nicht, die streiken wirklich. Der „Friday for future“ in Dortmund ist voll, einige Hundert sind zum Demonstrieren gekommen, dabei haben die Schüler sowieso schulfrei. Und bei der Europawahl haben gerade die Jungen das alte Machtgefüge gründlich verschoben. Ja, sind diese Jugendlichen denn plötzlich alle politisch geworden?

Sind sie nicht, sagt Sandra Latzke aus Gelsenkirchen. Die Politik-Lehrerin war „nie der Auffassung, dass die jungen Leute unpolitisch sind. Das Interesse war immer da, die Angebote passten bloß nicht.“ Neuerdings aber passen sie, ganz offenbar. Jedenfalls sagt das auch Julius (16) in Dortmund: „Mit den Demos haben viele endlich was gefunden, wo sie hingehen können.“ Seit die Schwedin Greta für den Klimaschutz auf die Straße geht, tun das auch immer mehr Schüler im Ruhrgebiet. Mit einer Meinung, die sie vorher schon hatten, von der sie aber nicht wussten, wohin damit. „Vorher hat vielleicht keiner so richtig den Mut gehabt“, sagt die 14-jährige Amy. „Jetzt trauen sie sich.“ Man werde mitgerissen, findet Julius, der auf Dortmunds Rathaustreppe eben sogar eine kleine Rede gehalten hat. Es gab Applaus. „Das gibt unfassbar viel Halt.“

„Wir verstehen mehr von Politik als die Politiker“

Gegen den Klimawandel: Carlotta, (9), Janne (9) und Thilo (7) aus Bochum.
Gegen den Klimawandel: Carlotta, (9), Janne (9) und Thilo (7) aus Bochum. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Und sie sehen einen Erfolg. „Man sieht uns jeden Freitag“, sagt Julius, „wir kriegen viel Aufmerksamkeit.“ Und das mit der Wahl, ruft ein anderer junger Redner ins Mikrofon, das haben doch jetzt alle gemerkt: „Die Europawahl war eine Klimawahl, das hat richtig gut geklappt!“ Sarah findet sogar: „Wir können stolz auf uns sein!“ Die Jugend wird selbstbewusster, „wir verstehen mehr von Politik als die Politiker“, behauptet jemand. Diskutieren nicht die Etablierten einigermaßen empört, dass „die Jugend von heute“ freitags demonstrieren geht statt in die Schule? Und hat man nicht am Hambacher Forst noch letzten Sommer auch gesagt, dass Protestieren gar nichts hilft? Und jetzt ist der Wald gerettet, erstmal. „Sie hören, dass das eh nichts bringt“, sagt Sven Roder aus Bochum, „und dann merken sie, dass sie doch etwas bewegen können.“

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Der Sozialarbeiter ist mit drei Grundschülern nach Dortmund gekommen, sie tragen selbstgemalte Plakate, wie sie sie im Fernsehen gesehen haben: „Es ist unsere Zukunft“ mit zehn Ausrufezeichen und „Hopp Hopp Hopp Kohlestopp“. Der Opa hat noch beim Basteln geholfen. „Die Luft wird stickiger“, sagt Janne (9). „Wir wollen nicht in einer verschmutzten Welt leben.“ Und Carlotta sagt: „Wenn ich mir vorstelle, wie das hier aussieht, wenn ich größer bin… Das will ich lieber gar nicht wissen.“ Möglich, dass die Kinder noch nicht alles verstehen. Aber Sven Roder sagt, sie haben den heißen Sommer 2018 erlebt, und etwas zu unternehmen, fühle sich für sie „erstmal irgendwie richtig an“. Sie seien neugierig, weil sie sähen, dass Kinder überall auf der Welt gegen den Klimawandel kämpften. Und, ganz wichtig: „Sie entdecken etwas aus sich selbst heraus. Das ist ein ehrlicheres Gefühl, als sich von der Werbung oder von Erwachsenen einspannen zu lassen.“

“Wir sind jung und wir brauchen die Welt“

Engagieren sich bei „Fridays for Future“: Kai aus Haltern und der Dortmunder Julius (beide 16, v.l.)
Engagieren sich bei „Fridays for Future“: Kai aus Haltern und der Dortmunder Julius (beide 16, v.l.) © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Das ist auch für die Größeren ein Ansatzpunkt: Sie haben hier etwas Eigenes, etwas, das noch nicht gleich fürs Leben verpflichtet. „Sie scheuen sich, sich einer Partei anzuschließen“, weiß Lehrerin Latzke. Schon weil das „voll kompliziert“ ist, wie Kai (16) aus Haltern findet: „Da muss man erst in eine Ortsgruppe und was werden in der Organisation.“ Die Demonstrationen dagegen sind für sie „richtig, richtig cool“, und, das ahnt auch Latzke, sie sind eine Aktionsform, mit der die Jugendlichen etwas anfangen können. Und man kann sich für ein Thema engagieren, nicht gleich für das große Ganze. Also derzeit für das Klima: „Wir sind jung und brauchen die Welt!“ Wirtschaft, Arbeitsplätze, Rente...? „Nicht das Thema von Fridays for future“, sagt Julius knapp. „Die wollen“, weiß Sandra Latzke, „gar nicht die ganze Gesellschaft verändern.“

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Noch sind die meisten Freitagsdemonstranten zu jung, um wählen zu dürfen, auch wenn das nicht nur Kai „echt nervt“. Aber am Max-Planck-Gymnasium in Gelsenkirchen haben sie vor der Europawahl mit Kandidaten debattiert und dann abgestimmt bei einer „Juniorwahl“: 109 Stimmen für die Grünen (45,4 Prozent), die CDU kam auf 10, das waren 4,2 Prozent. Die Wahlbeteiligung: 85,2 Prozent! „Sehr politisch“, freut sich Politik-Lehrerin Latzke, sei dieser „Europatag“ gewesen. Allerdings: an einem Gymnasium. Der Klimawandel, sagte der Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier der „Welt“, bewege eher höher gebildete junge Menschen aus dem oberen Gesellschaftsdrittel. Sven Roder, der Sozialarbeiter, sagt, an den „entkoppelten Jugendlichen“, den abgehängten, gehe das Problem hingegen eher vorbei. „Die haben existenzielle Themen.“