Ruhrgebiet. . Läden verschwinden, die Gebäude bleiben. Experten raten, in ausgezehrte Zentren neue Funktionen zu holen: „Man muss Einkaufsstraßen neu denken.“
Es ist natürlich nur ein Scherz gewesen, aber er troff vor Wahrheit. Geht eine junge Frau durch die Innenstadt von Rheinberg, es ist wenig los an jenem Nachmittag, kaum sind Menschen unterwegs, und in die auffällige Leere hinein stellt sie die böse Frage: „Gibt es eine Bombendrohung?“
Nein, gibt es nicht. Schließung, das gibt es. Leerstandsquote der Ladenlokale hier im Nordwesten des Ruhrgebiets: 2005 bei acht Prozent, 2017 bei 20 Prozent, so eine Untersuchung. Das ist viel. Vielleicht ist Rheinberg, von uns aus gesehen, aber auch nur ein paar Jahre in der Zukunft.
Geschäftszentren schrumpfen von den Rändern her
Denn zwei neue Studien erwarten, dass wegen der Online-Konkurrenz und der Verstädterung der Menschen die Zahl der Ladenlokale in Nordrhein-Westfalen drastisch sinken wird und aus vielen Geschäftsstraßen die Geschäfte verschwinden, vor allem in Vorortzentren sowie kleinen und mittleren Städten.
„Wie oft wird man noch Bilder sehen von Menschenmengen, die auf die Eröffnung eines Geschäftes warten?“, fragt Geschäftsführer Rainer Gallus vom „Handelsverband NRW“ auf einer Tagung in Solingen. Die Frage ist rein rhetorisch, die Antwort steht im Raum: nur noch selten.
Die Symptome sieht jeder: Geschäftszentren im ganzen Ruhrgebiet schrumpfen von den Rändern her weg, je kleiner das Zentrum, desto schneller sein Schrumpfen. Der Dortmunder Raumplaner Rolf Junker und der Architekt Holger Pump-Uhlmann aus Braunschweig haben jetzt zu Papier gebracht, was man machen kann.
Warum nicht eine Schule in ein Geschäftshaus holen?
„Einkaufsstraßen neu denken“ heißt ihre Untersuchung, sie entstand im Auftrag des gemeinnützigen und NRW-regierungsnahen Vereins „Stadtbaukultur“. „Das Problem ist so simpel wie komplex“, sagt Junker: „Wenn etwas nicht funktioniert, muss man es ändern. Aber hier passiert das nicht.“ Das Bild eines florierenden Zentrums sei vom Einzelhandel geprägt.
Geschäftshäuser zu Wohnraum zu machen, schlagen sie beispielsweise vor. Mit Gemeinschaftsräumen im Erdgeschoss, Lobbys vielleicht, einem Empfang. Brachen und Baulücken draußen würden dann zu Spielplätzen oder Mini-Parks. Und warum nicht eine Schule in ein solches Gebäude holen? In St. Pauli gibt es das schon.
Der frühere Supermarkt ist heute die Bücherei
In Ochtrup im Münsterland ist der frühere Supermarkt heute die Bücherei, in Dortmund ein ehemaliges Ladenlokal zum Nachbarschaftstreff mutiert. Man sieht es schon: Die Lösung der beiden trägt den Namen „Mischung der Nutzungen.“
Dienstleister könnten sich einrichten in ehemaligen Ladenlokalen, Handwerker auch – dann ist freilich die Fußgängerzone vor den Türen nicht zu halten. Allerdings stimmt auch: Mancherorts hat man sie als vermeintliches Hemmnis des Handels bereits gekürzt, wie in Wanne-Eickel, Bergkamen oder Remscheid. Die Erfahrungen sind leider – unterschiedlich.
Mehr Erlebnis pro Quadratmeter
Doch zurück nochmal nach Rheinberg. Längst hat die Stadt begriffen, dass sie nicht darauf warten kann, dass neuer Handel gleichsam wie von selbst alten Leerstand füllt. „Rheinbergs Vorteil ist die historische Innenstadt, sie zieht auch Touristen von außerhalb an“, sagt Wirtschaftsförderer Thomas Bajorat. Die Stadt will durch weitere Sanierung die Aufenthaltsqualität erhöhen und einen Tourismusmanager einstellen.
Mehr Erlebnis pro Quadratmeter, sozusagen. Sagt auch Rolf Junker. Nicht mehr nur Geschäfte. Der Raumplaner bringt die Not vieler reiner Geschäftsstraßen auf diesen Punkt: „Ich kenne nur eine Bahnhofstraße, die funktioniert, und die ist in Zürich.“ Aber das ist wieder so ein wahrer Scherz.