Berlin/. Zur Kaffetafel hat Frank-Walter Steinmeier 200 Bürger geladen, um 70 Jahre Grundgesetz zu feiern. Dabei und mittendrin sind fünf WAZ-Leser.

Die Standarte vor Schloss Bellevue ist gehisst, der Bundespräsident ist also daheim – und Frank-Walter Steinmeier hat Kaffee gekocht. Denn er hat sich für diesen 23. Mai, den 70. Jahrestag des Grundgesetzes, gedacht: „Wie kann man den Geburtstag unserer Demokratie besser feiern als mit einer freien, lebendigen Debatte unter Bürgern?!“ Die Tafel im Schlossgarten zu Berlin ist also feierlich gedeckt und unter den rund 200 Gästen sind auch fünf WAZ-Leser, die wir unter vielen Einsendungen ausgelost haben.

„Wir sind ein reiches Land geworden“, sagt der Präsident in seiner Ansprache. „Ein friedfertiges Land, vernetzt und respektiert auf der ganzen Welt. Dennoch ist unser Land momentan auf einer sehr grundsätzlichen Suche: Was hält uns in Deutschland zusammen?“ Wie soll Zusammenhalt gelingen?, fragt Steinmeier weiter. Das ist sein großes Thema heute – das Gift in der öffentlichen Debatte, die Akzeptanz von Lügen. Und Steinmeier gibt sogleich eine recht einfache Antwort: „Ich habe eine simple Bitte: Schauen Sie sich um! Wer steht da eigentlich mit Ihnen zusammen in diesem Garten?“

Dies sind die fünf Bürger aus dem Ruhrgebiet

Ortrud Gernand aus Duisburg (l.) hatte Gelegenheit mit dem Bundespräsidenten (r.) zu reden.
Ortrud Gernand aus Duisburg (l.) hatte Gelegenheit mit dem Bundespräsidenten (r.) zu reden. © Reto Klar

Es sind zum Beispiel Ortrud Gernand, Lehrerin aus Duisburg, die sich im Unterricht für Toleranz einsetzt. Die etwa gleich alte Angela Feller aus Bochum, wie Frank-Walter Steinmeier geprägt von der 68er-Bewegung, die mit ihrem VW-Bus sieben Jahre die Grenzen Deutschlands abfuhr. Oder der Schüler Philipp Krüger (15) aus Velbert, dem Digitalisierung, Unterrichtsausfall und Klimawandel beschäftigen. Heinrich Böckmann aus Herne dagegen geht es um soziale Themen von teuren Heimplätzen bis zur kostenlosen Kita. Als Polizist kennt Martin Simon aus Essen-Katernberg „die Schattenseiten und Problemfelder der Gesellschaft aus nächster Nähe“. Und alle haben sie Veränderungsvorschläge im Gepäck.

Angela Feller aus Bochum im Gespräch.
Angela Feller aus Bochum im Gespräch. © Reto Klar

Kellner mit Kaffee und Törtchen eilen von Tisch zu Tisch, 22 stehen auf den Wegen und im weitläufigen Grün des Schlossparks, während sich die politische Prominenz mehr Zeit nimmt. Wie Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender besucht auch Bundeskanzlerin Angela Merkel mehrere Gruppen für je etwa 20 Minuten, ebenso wie so ziemlich alle weiteren Präsidenten, die Deutschland aufzubieten hat: Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, Bundesratspräsident Daniel Günther und der Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Andreas Voßkuhle. Was macht das Land heute aus, was hält es zusammen? Was läuft gut, was schlecht?

An jedem Tisch sitzen acht Gäste und ein Moderator, darunter die Journalistin Sandra Maischberger, der Sänger Roland Kaiser oder der FDP-Abgeordnete Wolfgang Kubicki. „Ich hatte den Eindruck, dass er sich unsere Anliegen wirklich angehört hat“, sagt sein Gast Heinrich Böckmann. „Es war nicht nur Kaffeetrinken. Es waren sinnvolle politische Gespräche.“ Über die Integration von Flüchtlingen ging es in dieser Gruppe, aber Böckmann hat auch sein Thema vortragen können: „Die Bundesrepublik wird nur mit Bildung weiter vorankommen. Und das fängt mit kostenloser Kita an.“ Eine Protokollschreiberin hat die wichtigsten Punkte aufgenommen, Steinmeier wird sie bekommen.

Die Kopftuch-Debatte im Schlossgarten

Philipp Krüger mit dem „First Couple“
Philipp Krüger mit dem „First Couple“ © Jörg Krauthöfer

Mit Angela Merkel konnte Angela Feller reden. Man werde überschwemmt mit schlechten Nachrichten, das war Gesprächsstoff, als die Bundeskanzlerin an den Tisch trat. „Ich habe ihr von einer Erfahrung erzählt, das Schlechte-Nachrichten-Fasten. Das fand sie eine gute Idee.“ Aber auch kontrovers ging es zu: Eine Syrerin mit Kopftuch saß am Tisch von Feller, mit einer positiven Botschaft: „Ich muss etwas leisten in diesem Land.“ Ein junger Mann aus Niedersachsen sprach sich gegen ihr Kopftuch aus. Die Syrerin: „Ich bin auch hergekommen, weil hier Religionsfreiheit herrscht.“

Ortrud Gernand mit dem präsidentenpaar.
Ortrud Gernand mit dem präsidentenpaar. © Jörg Krauthöfer

„Sehr authentisch, ungekünstelt, zugewandt“, fand Ortrud Gernand Steinmeier und auch Elke Büdenbender, die nacheinander an ihrem Tisch vorbeischauten. Die „First Lady“ habe sich durchaus privat geöffnet und berichtet, wie schwer es auch ihr als Richterin gefallen sei Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. „Wir sind alle sehr begeistert von der Veranstaltung“, berichtet Gernand. Die Erfahrung des fruchtbaren Gesprächs soll nachwirken. Die fünf WAZ-Leser wollen sich daheim zu einem weiteren Austausch treffen.