Duisburg-Hamborn. Die Politik ist verärgert, weil viele Kinder auf der Straße stehen, statt in die Schule gehen zu können. Es fehlen Unterrichtsräume und Lehrer.
Die Schullandschaft im Stadtbezirk „an die Wand zu fahren“, das warf Bezirksvertreter Herbert Fürmann (Linke) in der Bezirksvertretung jetzt Ralph Kalveram, dem zuständigen Amtsleiter bei der Stadt, vor. Der wies das entschieden zurück. Anlass für den Streit waren Antworten der Verwaltung auf Fragen von Linken und Grünen zur Schulsituation. Sie wurden von Vertretern aller Parteien als alarmierend empfunden.
Dabei ist es auf dem Papier um die Lehrerversorgung an den allgemeinbildenden Schulen im Stadtbezirk nicht schlecht bestellt: Nach Angaben der Schulaufsicht in Düsseldorf beträgt die Personalausstattungsquote zur Zeit an den 22 Schulen 97,2 Prozent. Stadtweit sind es an 127 Schulen 97 Prozent. Dennoch gab es zur Schulsituation in der Bezirksvertretung eine lange Diskussion.
Zahlen machen Politiker in Hamborn wütend
Es waren andere Zahlen, die die Lokalpolitiker wütend machten. Zum Beispiel dass im Oktober 2018 in Hamborn insgesamt 83 Mädchen und Jungen, die in die achte bis zehnte Klasse gehörten, gar nicht beschult wurden. Stadtweit gab es insgesamt 176 solcher Kinder und Jugendlichen. Oder dass täglich 68 Schüler mit Bussen und Taxis wegen fehlender Räumlichkeiten an „ihren“ Schulen zu anderen Schulen gefahren werden. Auch dabei ist Hamborn Spitzenreiter. Vor allem die Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Gesamtschule und die Grundschule Salzmannschule in Marxloh sind betroffen.
Trotzdem sieht Kalveram nur bei den drei Hamborner Gesamtschulen großen Erweiterungsbedarf, jedoch an keiner Grundschule. Die Bezirksvertretung hat schon vor über einem Jahr eine neue Grundschule gefordert.
Offenbar war die Schulaufsicht einer Einladung in die Bezirksvertretung nicht gefolgt. SPD-Sprecher Christopher Hagenacker sprach von einer Unverschämtheit. Die Zustände seien nicht mehr hinnehmbar. Die SPD-Ratsfraktion werde darauf reagieren, kündigte er an.
Hoher Förderbedarf besteht vor allem in Marxloh
„Selbst 100 Prozent als Quote reichen doch nicht“, erklärte Fürmann mit Verweis auf den hohen Förderbedarf der Schüler vor allem in Marxloh.
Nach Ansicht des Amtsleiters liegen die Probleme in Hamborn ganz woanders: Ständige Zu- und Fortzüge von Zuwanderern aus Südosteuropa machten jede Planung unmöglich. So hätten sich laut Einwohner-Register für das laufende Schuljahr 847 neue Erstklässler ergeben. Tatsächlich seien es aber nur 739 gewesen. Auf solche Unbeständigkeit könne man keinen Schulneubau stützen.
„Raumproblem an den Grundschulen in Marxloh ist kein mengenmäßiges, sondern ein qualitatives“
Solchem Umzugsverhalten sei das Schüler-Meldewesen einfach nicht gewachsen. Kalveram: „Wenn dann die Einladung zur Schuleingangsuntersuchung herausgeht, sind viele Familien bereits wieder weitergezogen.“ Alles, was für diese Eltern mit öffentlichen Institutionen zu tun habe, sei für sie abschreckend. „Es liegt an ihrer Mentalität.“
Das Raumproblem an den Grundschulen in Marxloh ist nach Ansicht von Amtsleiter Ralph Kalveram kein mengenmäßiges, sondern ein qualitatives. „Wir brauchen hier ein ganz anderes Raumprogramm“, sagte er.
Nur 17 Kinder haben von der Grundschule zu weiterführenden Schule gewechselt
Für die meisten Grundschüler seien aufgrund des hohen Förderbedarfs fünf statt vier Jahre Schulzeit üblich. Darauf sei aber keine Schule räumlich eingestellt, stellte Kalveram klar. Es fehle zum Beispiel an Rückzugsmöglichkeiten für kleinere Lerngruppen. So habe die Henriettenschule zuletzt nur 17 Schüler an weiterführende Schulen abgegeben, nicht einmal genug, um Platz für eine neue Klasse zu schaffen.
Das sagen Hamborner Bezirkspolitiker zur Situation
„Schulpolitik ist zu 99 Prozent Landespolitik“, gab Claus Werner Krönke (SPD) bei der Diskussion in der Bezirksvertretung zu bedenken. Ratsherr Rainer Enzweiler (CDU) erwiderte, „zur Wahrheit gehört aber auch, die Situation besteht schon lange.“ Die Landesregierung versuche ja schon, den Lehrerberuf attraktiver zu machen. Das gelinge nur nicht von heute auf morgen.
Die Antwort der Verwaltung auf die Anfrage von Linken und Grünen listet sechs verschiedene Maßnahmen auf, wieder mehr Lehrer für die Schulen zu gewinnen, von der Anwerbung von Absolventen anderer Studiengänge als Seiteneinsteiger über höhere Hinzuverdienst-Grenzen für pensionierte Lehrer bis hin zur Abwerbung von Kandidaten für das Lehramt an Gymnasien an die Grundschulen.
Wartezeiten bei Einschulungen bis zu ein Jahr
„Bekundungen genügen nicht mehr. Es brennt vor Ort“, erklärte Christopher Hagenacker (SPD). Martina Will (SPD) gab zu bedenken, bei so starker Unterbesetzung wie an der Henriettenschule stehe es auch um die Förderung der Kinder schlecht.
Nach Ansicht von Herbert Fürmann (Linke) kann der Zuzug aus Südosteuropa nicht der einzige Grund für die Probleme sein. Wartezeiten von bis zu einem Jahr auf Einschulung, das dürfe nicht sein. Marcus Jungbauer (CDU) fragte sich, ob die Ansprache dieser Eltern vielleicht die falsche sei und ob zahlreiche unbesetzte Stellen von Rektoren oder Konrektoren das Problem nicht noch verschärfen würden.
Für die Personal-Problematik ist Duisburg nicht zuständig
Für die Personal-Problematik sei er nicht zuständig, erwiderte Kalveram. Solch lange Wartezeiten würden sich auch nur ergeben, weil die Kinder zwischendurch mal wieder für einige Monate fort seien.
Von Ratsfrau Britta Söntgerath (parteilos) auf die Bildung kleinerer Klassen angesprochen, erklärte er, es sei an den Gesamtschulen nicht gelungen, wegen der schwierigen Umstände eine Obergrenze von 25 Schülern einzuführen. Es bleibe bei 29 Schülern.
Und zu dem Hinweis von Andreas Ehmann (CDU), dass Hamborn durch die Schließung der Realschule Hamborn II auch wieder 20 Lehrer verloren gegangen seien, statt sie vor Ort anders einzusetzen, erklärte Kalveram, es fehle leider an der nötigen Flexibilität. „Es ist eben von allen Landesregierungen keine gute Schulpolitik gemacht worden“, bedauerte Ratsfrau Ellen Pflug (SPD).