Bochum. . Arbeitsminister Hubertus Heil hilft der Putzkraft Susanne Holtkotte beim Bettenmachen im Bochumer Bergmannsheil. Das hatte er versprochen.

Sie sind längst per du, die Susanne und der Hubertus. Die Reinigungskraft aus Bochum und der Arbeitsminister aus Berlin. „Wir finden uns nicht ganz blöd“, sagt Hubertus Heil und hat Susanne Holtkotte am Donnerstag sogar zuhause abgeholt, schon vor sieben und mit seinem Dienstwagen. Zu ihrem Dienst, der an diesem Tag auch seiner wird: Der Minister macht Betten den ganzen Morgen, putzt im Krankenhaus. Das hatte er im Fernsehen so versprochen, sie nennt es „den Deal“.

Susanne Holtkotte kommt zu diesem Arbeitstag, wie sie immer kommt: Rosa Turnschuhe, Plüschhase an der Blümchentasche, klare Ansage. „Mir nach, wir fahren in die Unterwelt.“ Dem Minister trägt die Referentin seine Turnschuhe nach. Hinab geht es in die Bettenzentrale im Bochumer Bergmannsheil, hier arbeitet die 48-Jährige. Stundenlohn 10,45 Euro, Nettogehalt kaum über 1000 Euro im Monat, zu erwartende Rente 715 Euro. „Beschämend und unwürdig“, findet Susanne Holtkotte, das hat sie auch im Fernsehen gesagt. Ende März war das, bei „Hart aber fair“ in der ARD ging es um die Grundrente, das Lieblingsprojekt des SPD-Ministers. Noch in der Sendung verabredeten die beiden: Wir tauschen den Arbeitsplatz, für einen Tag.

Minister und Putzkraft flüstern hinter einer Bettdecke

Klare Ansagen: Susanne Holtkotte.
Klare Ansagen: Susanne Holtkotte. © Julia Tillmann

„Astrein“ fand Susanne Holtkotte, die früher Verkäuferin und Altenpflegehelferin war, ihren Tag in Berlin und „großartig, dem Herrn mal die Hand zu schütteln“. Wobei man sieht, schon auf den Bildern aus dem Bundestag: Sie umarmen sich längst. Sie flüstern sogar an diesem Morgen in Bochum, hinter einer Bettdecke, die sie zusammen beziehen. Heil hat weiße Hose und Kittel bekommen, etwas knapp, und er kommt schnell ins Schwitzen. „Halt mal“, „mach mal feste“, „und jetzt pass auf“. Susanne Holtkotte nimmt den Kollegen ran, „Neue muss ich ja auch anlernen“ und: „Heute ist er für mich Hubertus und arbeitet mit mir.“

Hubertus also drückt Inlets in gestreifte Bezüge. „Loch klein, Kissen groß, aber so sollte es quasi aussehen“, empfiehlt Susanne Holtkotte. Sie kennt alle Tricks, linker Arm, rechter Arm, „es ist eine Choreographie“, die Oberbetten zu zweit, aber erwischt! An Heils Seite ist ein Knubbel. Die Reinigungskraft zwinkert den Kameraleuten zu. 1000 bis 1500 Krankenhausbetten reinigen und beziehen Holtkotte und ihre meist weiblichen Kolleginnen in der Woche, heute sind es weniger. „Zuhause macht man das mit zwei Betten“, der Minister grinst etwas schief.

„Leistungsträger, die das Land am Laufen halten“

Die Luft ist verbraucht und riecht nach Desinfektionsmittel, es gibt kein Fenster im Untergeschoss und keine Möglichkeit, sich mal zu setzen. „Anstrengend“, sagt Susanne Holtkotte und erzählt, wie sie morgens noch plaudern über die leckeren Dinge, die sie mittags essen würden – „und dann machste nur noch ‘ne Dose auf“. Sport, findet sie, sei der Job, auch wenn Ärzte das nicht bestätigen würden. „Aber um 15 Uhr siehste das anders.“ Der Minister drückt es ministrabel aus: „Ich habe hier heute Leistungsträger kennengelernt, die das Land am Laufen halten.“

Wichtig sind Ritzen und Kanten: Hubertus Heil desinfiziert ein Krankenhausbett.
Wichtig sind Ritzen und Kanten: Hubertus Heil desinfiziert ein Krankenhausbett. © Julia Tillmann

Mit ihnen schiebt er Betten, packt Bettzeug, desinfiziert Matratzen („Handschuhgröße?“ – „Groß!“), bückt sich unters Bettgestell. „Putz das Bett am besten so, als müsstest du selber da drin liegen.“ Ritzen und Kanten seien ganz wichtig, mahnt Frau Holtkotte. Eine Zeit lang sieht sie Herrn Heil beim Putzen zu, dann packt sie lieber selbst mit an. „In der Schwarzwaldklinik“, sagt der Arbeitsminister, „fand diese Abteilung keine Beachtung, da sah man nur die Ärzte.“ Dabei tue man hier unten etwas für die Gesellschaft.

„Man muss auch was zurückbekommen“

„Kennst du noch Ekel?“, fragt er zwischendurch. Sicher kämen da doch auch sehr schmutzige Betten von den Stationen und aus dem Operationssaal, „vollgeschissen und vollgeblutet“? Aber Susanne Holtkotte „wird nicht mehr schlecht“, eher denkt sie an die Menschen, die in solchen Kissen litten, und: „Es muss ja gemacht werden, das erledigt sich nicht von alleine.“ Sie meint aber auch: „Man muss dafür auch was zurückbekommen.“

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Und zwar mehr, stimmt der Minister zu. „Am Ende eines Arbeitslebens muss man mehr haben als Leute, die nicht gearbeitet haben.“ Der Tag bestärke ihn „zu kämpfen für eine Grundrente, die diesen Namen auch verdient“. Das hat Susanne Holtkotte gewollt, „ich möchte, dass du nicht locker lässt, dass du hartnäckig bleibst“. Die 48-Jährige will, „dass der Mensch entspannter leben kann“, dass er „nicht jeden Pfennig umdrehen muss“. Schließlich „bezahle ich euer Gehalt“, und überhaupt: „Alle sind enttäuscht von der Politik!“

Heil will seine Gastgeberin „nicht enttäuschen“

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Die Gastgeberin hat sich ein wenig in Rage geredet, so ist sie: „Nicht meckern, machen!“ Ihr Gast klingt fast ein wenig kleinlaut neben ihr: „Ich will dich nicht enttäuschen.“ Aber Susanne Holtkotte glaubt an ihn, sie hat doch immer gesagt, „das kriegt er hin“. Wie das Bettenmachen auch. Und sie? Sie ist das gefragt worden, welcher Job ist schwieriger? „Das ist nicht vergleichbar“, sagt die Bochumerin. „Aber ich möchte nicht tauschen.“

Erst zugucken, dann nachmachen
Erst zugucken, dann nachmachen © Julia Tillmann

Die Kollegen freuen sich über den Einsatz ihrer Betriebsrätin. „Bisschen Stimmung“, sagt eine, „und so reden wie die Susi könnte ich auch nicht.“ Später werden sie noch frühstücken mit dem Minister und ihn fröhlich verabschieden: „Sie können morgen wiederkommen, Hilfe brauchen wir immer!“ Doch der Gast ist nicht überzeugt. Jeden Tag, sagt er, könnte er das nicht. Und diese Nacht, „diese Nacht werde ich von Bettdecken träumen“.

>>INFO: KOALITIONSSTREIT UM DIE GRUNDRENTE

Im Streit um die Grundrente hat der nordrhein-westfälische Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) die SPD aufgerufen, auf Einigungskurs mit der Union zu gehen. Nötig sei eine Bedürftigkeitsprüfung mit Augenmaß. „Nur so wird es eine Einigung mit der Union geben.“

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) möchte diese Prüfung nicht. In der ARD-Sendung „Hart aber fair“ hatte Susanne Holtkotte, Reinigungskraft aus Bochum, die Bedürftigkeitsprüfung eine „Frechheit“ genannt.

Holtkotte, die sich in der Gewerkschaft IG BAU engagiert, schreibt derzeit ein Buch. „715 Euro. Wenn die Rente zum Leben nicht reicht. Eine Reinigungskraft klagt an“ soll im Sommer erscheinen.