Ruhrgebiet. . Viele Städte im Ruhrgebiet sanieren ihre Rathäuser oder bauen neu. Oft ist die Technik veraltet und verbraucht. Doch der Teufel steckt im Detail.

Ein Bürgerbegehren soll verhindern, dass die Stadt Marl für geschätzte 70 Millionen Euro ihr marodes Rathaus saniert. Die Initiatoren werben stattdessen für eine Kombination aus Teilsanierung und Neubau, die billiger sei. Viele Ruhrgebietsstädte (teil-)sanieren derzeit ihre Rathäuser, oft mit Fördermitteln aus Berlin, Brüssel oder Düsseldorf.

Das Rathaus von Bochum etwa soll für 10 Millionen Euro barrierefrei werden. Das Rathaus von Witten wird für 30 Millionen wieder in einen brauchbaren Zustand versetzt. In Gelsenkirchen-Buer fielen schon Steine von dem Bau herunter, in Dortmund ist die Haustechnik nach 30 Jahren am Ende.

Marl lud die Bürger ein, sich die Schäden anzusehen

Letzte Feinarbeiten zum Jahresende im erneuerten Rathaus von Bottrop. Längst ist es wieder bezogen. Die Sanierung hat rund zwölf Millionen Euro gekostet.
Letzte Feinarbeiten zum Jahresende im erneuerten Rathaus von Bottrop. Längst ist es wieder bezogen. Die Sanierung hat rund zwölf Millionen Euro gekostet. © Michael Korte

Manche Geschichten sind zu schön, als dass sie vergessen werden dürften. Wie diese: Im Juni 2015 hat die Stadt Marl in tiefster Verzweiflung Bürger ins Rathaus eingeladen, damit sie sähen, was alles kaputt ist. Wasserrohre, die brechen, Decken, durch die es tropft, Aufzüge, die stehen bleiben. So geht es doch nicht weiter, liebe Bürger?

Schon damals ging es um die Frage: Sanieren oder neu bauen, das ehrenwerte Haus? Jetzt, bald vier Jahre später, ist eigentlich nicht viel passiert: Die Stadtverwaltung will sanieren, ein Bürgerbegehren will nur den Ratstrakt erneuern und ansonsten neu bauen. Das sei billiger. Es könnte in einen längeren Rechtsstreit münden. Unterdessen tropft es.

Die Rathäuser stammen von 1576 bis 1989

Bei geschätzten Kosten um die 70 Millionen Euro ist der Sanierungsfall in Marl besonders teuer, aber auch in vielen anderen Revierstädten arbeiten die Kommunen gerade an ihren Rathäusern. In Bottrop sind sie knapp durch, in Bochum, Buer oder Witten schauen die Leute auf Planen.

In Dortmund und Oberhausen lesen sie von Plänen. Die betreffenden Häuser stammen von 1576 bis 1989, gemeinsames Altern kann es also nicht sein. Aber nach Jahren guter Konjunktur sind oft Fördermittel da. Doch gemeinsam ist allen: der Teufel, der im Detail steckt.

„Ich kann mir Fluchtwege über Falltüren vorstellen“

Das Alte Rathaus Hattingen ist ein Schmuckstück und wird jedes Jahr zum Weihnachtsmarkt besonders hergerichtet.
Das Alte Rathaus Hattingen ist ein Schmuckstück und wird jedes Jahr zum Weihnachtsmarkt besonders hergerichtet. © Volker Speckenwirth

Wie in Hattingen. Das Alte Rathaus von 1576 wurde Ende Februar wegen Mängeln im Brandschutz zum Risiko erklärt. „Heute fragt man sich: Hole ich im Brandfall wirklich 80 Menschen sicher über Leitern aus der zweiten Etage?“, sagt Ulrich Möller, der Leiter der städtischen Gebäudewirtschaft.

Nun dürfen nur noch 50 Gäste zugleich hinauf. Eine Außentreppe an dem Gebäude würde die Denkmalschützer angemessen aufregen. Also sagt der parteilose Bürgermeister Dirk Glaser: „Ich kann mir Fluchtwege über Falltüren sehr gut vorstellen.“ Die 50 Leute wohl auch?

Rat von Oberhausen weicht in die Stadthalle aus

Der Ratssaal in Oberhausen sollte eigentlich in den Sommerferien 2018 umgebaut werden, doch das Thema hängt noch immer fest in der Arbeitsgruppe „Ratssaal-Umbau“. Ursprünglich sollte der Saal nur barrierefrei und ein bisschen besser durchlüftet werden, dann wurde ein Mangel nach dem anderen entdeckt.

Schlafende Hunde wie: Beleuchtung, Beschallung IT; Stühle zu schwer, Tische nicht beweglich. Außerdem beißt sich das Mosaik-Fries eines Künstlers mit der schönen Original-Holzdecke, die bis vor kurzem hinter einer abgehängten Decke verborgen war. Wenn der Umbau beginnt, soll der Rat in die Stadthalle ausweichen – und nicht nur für sechs Wochen Sommerferien.

Preis für energetische Sanierung in Essen

Im Dortmunder Rathaus von 1989 ist die Technik verbraucht.
Im Dortmunder Rathaus von 1989 ist die Technik verbraucht. © Helmuth Vossgraff

In Dortmund müssen die Rathaus-Mitarbeiter bis zu zwei Jahre ins Exil, aber vermutlich ist es wenigstens fußläufig zu erreichen. Die Technik des Rathaus von 1989, das damals wegen der Kosten umstritten war, ist ziemlich durch; als „reine Energieschleuder“ bezeichnet Oberbürgermeister Ullrich Sierau (SPD) den Bau. Türanlage, Dachabdichtung, Heizungsanlage – reden wir nicht drüber.

35 Kilometer weiter westlich hat die energetische Sanierung des Rathauses des ewigen Rivalen Essen unterdessen einen Preis bekommen, weil sie zum Klimaschutz beitrage. Im Rathaus-Hochhaus von 1979 wurden Lüftung, Klimaanlage und Lichter ausgetauscht. Die neue Klimaanlage hatte ein Hubschrauber auf das Dach des Rathauses geflogen.

Vom Rathaus Buer fielen Steine herunter

Das eingerüstete Rathaus in Buer im Januar 2019.
Das eingerüstete Rathaus in Buer im Januar 2019. © Heinrich Jung

Das Rathaus von Gelsenkirchen ist seit 2013 wie neu – aber wozu hat man schließlich zwei? Vom Gegenstück in Buer fielen 2017 Steine, deshalb ließ die Stadt es einrüsten. Das kostet monatlich 1350 Euro, ansonsten tat sich lange nichts. Die Verwaltung denkt über Varianten der Sanierung nach, eine Bezirksvertreterin ätzt: „Wir wissen nicht, was wir tun.“

Das gilt auch für Velberts altes Haus: bauen oder senieren? Einheimische mutmaßen, dass werde als vermutlich unpopuläres Vorhaben nichts mehr vor der Kommunalwahl 2020.

Drei ähneln einander wie Geschwister

Doch kurz zurück nochmal nach Hattingen: Das neue Rathaus, also das von 1910, hat die Sanierung hinter sich. Ebenso wie das in Duisburg-Hamborn praktisch zeitgleich. Und das in Wittenberge. Das ist kein Zufall: Die Häuser ähneln einander wie Geschwister. Als stammten sie aus Serienproduktion. Die Lösung ist: So baute man einfach Rathäuser in Deutschland im frühen 20. Jahrhundert. Zumindest, wenn man keinen Architekten beauftragen mochte, sondern den jeweiligen Stadtbaurat.