Mülheim. . Mülheim hat die Grundsteuer um 250 Prozentpunkte erhöht. Dagegen gehen die Bürger auf die Straße: „Den kleinen Mann trifft das besonders hart.“

Als die Stadt Mülheim vor vier Jahren die Grundsteuer erhöhte, notierte sie noch ein Vorher - Nachher im Bescheid. Diesmal verschwieg sie den Quantensprung. Von 640 Prozent stieg der Hebesatz am 1. Januar auf 890: ein Spitzenwert in NRW. Sofort kündigten Vermieter Mieterhöhungen an, mancher Eigenheimbesitzer zahlt nun 100 Euro Steuer im Monat – für ein Grundstück, das ihm eigentlich längst gehört. Zuviel!, sagen die Bürger, und gehen dagegen sogar auf die Straße.

Wut empfinden viele, Alexander Kocks ist der, die sie organisiert. Eine Demo soll es geben am 14. Februar vor dem Rathaus, es ist Sitzung an dem Tag, Bürger Kocks aus dem Stadtteil Styrum gibt seinen Namen, regelt die Ordner und verteilt schon Handzettel: „AufRuhr“. Die Erhöhung um 39 Prozent, schreibt er, „hat schwere Folgen für die Bevölkerung, für die Lebensqualität und die Wirtschaft“.

Alexander Kocks mit Tochter Loreley (9), die dem Vater hilft, Handzettel für die Demo zu verteilen.
Alexander Kocks mit Tochter Loreley (9), die dem Vater hilft, Handzettel für die Demo zu verteilen. © Kai Kitschenberg

Auch für ihn selbst: Alexander Kocks zahlt künftig 465 Euro Grundbesitzabgabe im Jahr für seine 82 Quadratmeter Eigentumswohnung. „Das merke ich sofort.“ Der Bank-Angestellte muss deshalb nicht am Hungertuch nagen, aber er kennt Leute, die gar keinen Bescheid bekommen haben, aber trotzdem Angst: Mieter, die auf die anstehende Erhöhung warten. Die kürzlich ihre Kinder von der Ganztagsbetreuung in der Schule abmelden mussten, weil das Geld jetzt schon nicht reicht. „Den kleinen Mann“, sagt der 39-Jährige, „trifft das besonders hart.“ Die großen Wohnungsunternehmen der Stadt haben schon angekündigt, dass sie die Steuer umlegen werden.

Zuschlag ist „absolute Frechheit“

Den satten Zuschlag hält Kocks für eine „absolute Frechheit“. Es geht ihm nicht um sein Portemonnaie, es geht ihm ums Prinzip. „Um die Unverhältnismäßigkeit.“ Er findet, „es hätte gehaushaltet werden können“, gerade in Mülheim, Stadt der Millionäre. „Die Bürgersteige müssten aus purem Gold sein.“ Tatsächlich ist die Stadt an der Ruhr die mit der höchsten Pro-Kopf-Verschuldung im Ruhrgebiet. Und nun die mit dem zweithöchsten Grundsteuer-Hebesatz nach Witten mit 910 Prozent. Noch mehr verlangen in NRW nur Bönen (940) und Hürtgenwald in der Eifel (950). Gelsenkirchen, Oberhausen, Essen liegen bei um die 670 Prozent.

Es war der Nikolaustag, an dem der Mülheimer Stadtrat mit der Nachricht kam. Es galt, einen Einbruch bei der Gewerbesteuer zu kompensieren, das Loch ist 34 Millionen tief (das im Stadtsäckel zwei Milliarden). Und es galt, den Sparkommissar aus Düsseldorf aus der verschuldeten Kommune fernzuhalten. Viele Bürger hätten sich den gewünscht, „die Stadt braucht jemanden“, findet Kocks, „der ihr auf die Finger guckt“. Aber der Sparkommissar kommt nicht, „dann kommt jetzt der Bürger“. Eine Petition gibt es schon im Internet, dem „Nein zur Grundsteuererhöhung“ stimmten schon mehr als 7000 Unterzeichner zu, naheliegende 6700 aus Mülheim.

Mit dem Grundsteuerbescheid: Alexander Kocks und seine Mitstreiterin Sandra Wenzel sind empört.
Mit dem Grundsteuerbescheid: Alexander Kocks und seine Mitstreiterin Sandra Wenzel sind empört. © Kai Kitschenberg

Alexander Kocks will es mit der Demo probieren. „Ich habe“, sagt der alleinerziehende Vater, „einen Erziehungsauftrag. Ich will meiner Tochter zeigen, dass man sich nicht alles gefallen lassen darf.“ Er will, dass die Stadtspitze „endlich beginnt, vernünftig zu arbeiten“, dass sie kein Geld mehr „verbrennt für Tinnef“. Vor allem: „Dass sie bei sich selbst anfängt.“ Das würde er doch auch so machen, wenn er in finanzielle Schieflage geriete! „Als erstes würde ich mich fragen: Brauche ich wirklich ein Auto und reicht nicht auch Urlaub auf dem Campingplatz?“

Stadt „zieht zwölf Millionen Euro aus dem Volk“

Gut zwölf Millionen will die Stadt mit der neuen Grundsteuer B „verdienen“, Geld, findet Kocks, das „aus dem Volk rausgezogen wird“. Aber das will sich nun wehren. „Wir sind an einem Punkt, wo es reicht“, sagt Sandra Wenzel, die Kocks beim Kämpfen hilft und selbst für zwei Eigentumswohnungen bezahlt, in einer wohnt die Tochter. „Die unterschätzen uns Mülheimer. Wir haben das Recht und den Willen, etwas zu verändern.“

Ob die Stadt sich überzeugen lässt, ist indes fraglich. SPD, CDU, die Grünen, sie alle haben die Steuererhöhung abgesegnet. „Als würden die Leute immer alles schlucken“, sagt Kocks. Tun sie diesmal aber nicht. Überrascht vom wachsenden Widerstand haben die Fraktionen für den 21. Februar, eine Woche nach der Demonstration, eine Podiumsdiskussion anberaumt. Man wolle mit den Bürgern reden, allerdings nur mit 200, mehr passen nicht in den Saal. Und wenn alles nichts hilft? „Dann“, sagt Alexander Kocks, „kann ich wenigstens sagen: Ich habe es versucht.“

>> GRUNDSTEUER-GIPFEL HEUTE IN BERLIN

In Berlin treffen sich heute die Finanzminister der Länder, um über die Reform der Grundsteuer zu diskutieren. Das Bundesverfassungsgericht drängt auf ein neues Berechnungsmodell bis zum Jahresende: Die bislang zugrunde gelegten Einheitswerte stammen noch aus dem Jahr 1964 bzw. im Osten von 1935.

Allerdings sind die Lösungsansätze strittig: Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) will die Steuer am Wert eines Gebäudes orientieren. Das ist der CDU zu kompliziert: Es seien Tausende Finanzbeamte nötig, um die 35 Millionen Liegenschaften in Deutschland zu erfassen.