Düsseldorf.. Duisburgs ehemaliger Oberbürgermeister ist für viele Opfer „das Gesicht der Loveparade-Katastrophe“. Doch Adolf Sauerland gibt sich unbeteiligt.
Er ist nur ein Zeuge. Das aber ist für manche das Problem. Adolf Sauerland, 62, ehemaliger Oberbürgermeister von Duisburg, sitzt nicht auf der Anklagebank, nicht unter denen, die Schuld tragen sollen am Tod von 21 jungen Menschen bei der Loveparade 2010. Dabei hält nicht nur Paco Zapater, Vater der im Gedränge gestorbenen Clara, diesen Mann für den „größten Schuldigen“. Nebenkläger-Anwalt Julius Reiter sagt sogar: „Für viele ist er das Gesicht der Katastrophe.“
Stoisch sitzt er im Blitzlichtgewitter
Jeder würde dieses Gesicht auch nach acht Jahren erkennen. Adolf Sauerland hat sich kaum verändert seit dem Sommer 2010. Der Bart ist etwas grauer, die Brille neu, der Blick ausdruckslos, so betritt er am Mittwochmorgen den Düsseldorfer Messesaal, „Außenstelle des Duisburger Landgerichts“. Im Blitzlicht der Fotografen setzt er sich so, wie er die nächsten Stunden sitzenbleiben wird: die Arme auf den Tisch gestützt, die Hände gefaltet.
Er würde sich entschuldigen, das hatten Angehörige gehofft, darüber hatten Beobachter spekuliert, das hatte Rechtsanwalt Reiter erwartet. „Endlich eine Geste“ von dem Mann, der damals „versagt“ und „viel zu spät Verantwortung übernommen“ habe.
Angehörige wollen Antworten
Adolf Sauerland war nach dem tödlichen Unglück nicht zurückgetreten, war erst 2012 gegangen, nachdem die Duisburger ihn abgewählt hatten. Das Gericht will nun von ihm wissen, ob jemand – er vielleicht – Druck ausübte, damit die Loveparade wirklich kam. „Wer stand dahinter?“, fragt Gabi Müller, Mutter von Christian (†25). „Ich will Antworten!“
Doch auch hier hat sich nicht viel verändert. Die Antworten von Sauerland an diesem Tag klingen so: Er weiß nichts, er war nicht beteiligt, er war nicht informiert, er hatte keine Kenntnis, mindestens erinnert er sich nicht. „Meine Aufgabe im Genehmigungsverfahren war … keine Aufgabe.“ Eine Projektverfügung habe er erstellt, aber das sei schon 2007 gewesen, Anträge habe er nie gesehen, protokollierte Anrufe nicht erhalten.
Keines der Verwaltungs-Schreiben, die im Gericht verlesen werden, will Adolf Sauerland gelesen haben.
Bis auf dieses eine, unter dem der Baudezernent Jürgen Dressler handschriftlich notierte, er lehne die Zuständigkeit für die Genehmigung der Loveparade ab: Einen Monat vorher gab es da noch Mängel beim Brandschutz, auch die Fluchtwege reichten nicht aus. Das entspreche „keinem geordneten Verwaltungshandeln“. Rechtsdezernent Wolfgang Rabe aber habe das Problem „ausgeräumt”, sagt Sauerland. Details? Weiß er nicht.
„Beim Land NRW gab es vehemente Unterstützer“
Überhaupt sei dieser Rabe federführend gewesen, sein Name fällt immer wieder – auch er ist, anders als sein Kollege aus dem Baudezernat, aber nicht angeklagt. Rabe war es auch, der mehrfach geäußert haben soll, der OB wünsche die Loveparade, man müsse also Lösungen finden. „Das gründet sich auf zwei Ratsbeschlüsse“, sagt Sauerland unbeteiligt. Falls irgendwer die Loveparade also gewollt haben sollte, dann waren es aus Sauerlands Sicht andere: „Beim Land NRW gab es vehemente Unterstützer, gerade im Jahr der Kulturhauptstadt.“
Oft sagt der Ex-OB „wohl“ in seinen ruhigen Ausführungen, wie in diesem Satz: „Man hat sich dann wohl auf dieses Gelände geeinigt.“ Es ist, als sei Adolf Sauerland nicht dabei gewesen damals in Duisburg. Als habe er mit der Stadt, seiner Stadt, nichts zu tun gehabt.
Der Richter wird ungeduldig,Sauerland antwortet barsch
Selbst der Vorsitzende Richter Mario Plein kann das kaum glauben: „Klein-Erna würde sagen, das ist alles komisch. Wenn ein Oberbürgermeister so gar nichts erfährt.“ Wenig später wird Plein ungeduldig: „Wir reden hier doch nicht über den Flohmarkt in Duisburg-Marxloh!“ Schließlich, die Loveparade sei doch ein Thema gewesen, fragt der Richter, „das Sie ziemlich beschäftigt hat“? Es wäre ein Moment, in dem Sauerland über Gefühle hätte reden können, doch er unterbricht fast barsch: „Nicht nur das, auch andere Umstände.“ Ein leises Raunen geht durch den Saal.
Selbst an diesem Tag, der so gespannt erwartet worden war, sitzen dort nicht viele Zuhörer aus Duisburg. Fünf Hinterbliebene, noch weniger Verletzte, aber wenigstens sie wollten endlich wissen, was Sauerland sagt zu Duisburgs schwarzem Tag. Aber er sagt „nichts, nichts, nichts“, klagt Vater Zapater in einer Pause. „Was ist das für ein Bürgermeister, der nichts weiß?“ Die Dolmetscherin braucht ein bisschen, bis sie die richtigen Worte gefunden hat für die Entrüstung des Spaniers. „Er sitzt da wie ein Stück leblose Dekoration.“