Duisburg. . Sieben Jahre nach der Loveparade-Katastrophe gedenkt Duisburg erstmals öffentlich der Toten. Angehörige kritisieren die deutsche Justiz.
Die Glocke wird geschlagen. Ihr metallener Klang legt sich wie ein unsichtbares Tuch über die Loveparade-Gedenkstätte im Karl-Lehr-Tunnel von Duisburg und lässt die Menschen verstummen. Sie halten inne, manche liegen sich tröstend in den Armen, viele weinen. 22-mal ertönt der Glockenschlag: 21-mal für jedes der Todesopfer, die hier an diesem Ort, im Gedränge des Techno-Spektakels, vor sieben Jahren ums Leben gekommen sind. Und einmal für die mehr als 650 Menschen, die diesen Tag zwar überlebten, bis heute aber seelisch und körperlich leiden.
Diese Zeremonie ist fester Bestandteil des Erinnerns an die Opfer des 24. Juli 2010. Und doch ist es diesmal anders als sonst: Erstmals ist die Gedenkstunde am Unglücksort nicht nur für die Hinterbliebenen der Opfer, die Verletzten und Traumatisierten. Sondern öffentlich. Knapp 200 Menschen versammeln sich am Montagabend im Tunnel, um gemeinsam zu trauern. Und allen Betroffenen ihre Anteilnahme auszudrücken.
Angehörige äußern Unmut über deutsche Verjährungsregelungen
Auch interessant
„ Das war für mich psychisch und physisch ein anstrengender Tag“, sagt Edith Jakubassa nach der Zeremonie. Sie hat bei der Loveparade ihre Tochter Marina verloren. Marina, die 21-Jährige, war die Einzige unter den 21 Verstorbenen, die aus Duisburg kam.
Der Gedenktag hat für ihre Mutter und andere Hinterbliebene mit einem Treffen mit Vertretern der Staatsanwaltschaft Duisburg und des Landgerichts begonnen. „Wir wollen vor dem Prozessbeginn bei den Angehörigen größtmögliche Transparenz fürs deutsche Rechtssystem schaffen“, sagt Gerichts-Sprecher Matthias Breidenstein. Doch das Treffen gerät sehr emotional, wie Teilnehmer berichten.
Gerade Eltern von Todesopfern etwa aus Spanien oder Italien äußern ihren Unmut über die deutschen Verjährungsregelungen: Danach kann nur ein erstinstanzliches Urteil eine Verjährung aufschieben. „Und dafür bleiben jetzt nur noch drei Jahre Zeit“, erklärt Jürgen Widera von der Stiftung „Duisburg 24.07.2010“, „sonst droht die absolute Verjährung.“ Der Prozess gegen zehn Angeklagte beginnt erst im Dezember.
Opferbeauftragter kommt zu spät
„Wir haben viel gehört, aber vieles wurde nicht akzeptiert“, sagt Edith Jakubassa später. „Viele von uns Angehörigen finden, dass sich die Regelungen ändern müssen. Dass wir unseren Rechtsstaat in diesem Punkt auch einmal in Frage stellen dürfen.“ Vertreter der Verletzten haben andere Fragen: Einer, der die Loveparade traumatisiert überlebte, will als Nebenkläger dem Prozess beiwohnen, kann sich aber seither nicht mehr in Räumen mit Hunderten anderer Menschen aufhalten.
Auch interessant
Der von der Landesregierung am Sonntag angekündigte Opferschutzbeauftragte wird diesen Menschen wohl nicht mehr helfen können. Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) sagt selbst: „Dazu liegt das zu weit zurück.“ Die neue Hilfe ist indes gedacht für „Opfer von Katastrophenfällen (inklusive Terroranschlägen)“, so steht es im Koalitionsvertrag. Es sei aber eine Lehre aus der Loveparade-Katastrophe, sagte Laschet, dass man sich sehr frühzeitig den Opfern widmen müsse, die „völlig alleine“ seien.
Katastrophe hat Diskussionskultur innerhalb der Stadtverwaltung verändert
Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link (SPD) sagt am Montag, in Duisburg habe sich die Diskussionskultur innerhalb der Stadtverwaltung durch die Geschehnisse verändert. „Damals“, so Link, „ist ja nicht nur die eigentliche Katastrophe passiert, sondern vor allen Dingen auch dieses unselige, unwürdige Verhalten der damaligen Stadtspitze.“ Links Vorgänger Adolf Sauerland (CDU) hatte sich geweigert, die Verantwortung zu übernehmen und war 2012 abgewählt worden.
Sören Link hofft für die Angehörigen, für Betroffene, „aber auch für viele Mitarbeiter der Stadt“, dass sie mit dem Prozess das „Kapitel Loveparade ein stückweit abschließen“ können und die Schuldfrage geklärt werde. Ob das aber möglich sein wird, bleibe „im Moment dahingestellt“.
INFO: PROZESS BEGINNT IM DEZEMBER
Nach jahrelangem juristischem Tauziehen entschied das Düsseldorfer Oberlandesgericht Ende April, dass die Loveparade-Katastrophe doch noch vor Gericht kommt. Am 8. Dezember soll der Prozess beginnen.
Angeklagt sind vier Mitarbeiter des Veranstalters Lopavent und sechs der Stadt Duisburg als Genehmigungsbehörde. Sie müssen sich unter anderem wegen fahrlässiger Tötung bzw. Körperverletzung verantworten.