Mülheim. . Beate Maue (54) aus Mülheim will „wissen, was passiert ist“. Beim Absturz des Flugzeugs starb ihre Schwester Claudia Diemer mit Ehemann Jürgen.
Beate Maue hat immer noch Albträume, jede Nacht. Sie träumt von der Angst ihrer Schwester, träumt, wie Claudia nach der Hand ihres Mannes greift, vorn in Reihe 3 des Flugzeuges, das wenig später in den französischen Alpen zerschellt. War das so an jenem 24. März 2015, als 150 Menschen starben an Bord von Germanwings-Flug 4U9525? Es bleibt eine „Ungewissheit“, sagt die Mülheimerin Maue, und sie ist damit nicht allein. Zusammen mit 70 Hinterbliebenen fordert sie mit einer Petition Aufklärung: „Wir wollen wissen, was wirklich passiert ist.“
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Nach den Erkenntnissen der Ermittler ist das passiert: Der Co-Pilot Andreas Lubitz, 27, psychisch krank und unter Einfluss von Medikamenten, schloss sich auf dem Rückflug von Barcelona nach Düsseldorf im Cockpit ein und steuerte den Airbus absichtlich gegen einen Berg im Felsmassiv bei Le Vernet.
Es starben Claudia und Jürgen Diemer aus Mülheim, Schwester und Schwager von Beate Maue. Es starb eine Spanisch-Austauschklasse des Joseph-König-Gymnasiums in Haltern am See: 16 Schüler und zwei Lehrerinnen. Es starben die Chef-Stewardess aus Lünen, die für eine Kollegin eingesprungen war, der Sänger Oleg Bryjak von der Rheinoper, Geschäfts- und Urlaubsreisende aus Dortmund, Mülheim oder Düsseldorf – es sind ihre Angehörigen, die nun die Petition unterschrieben haben. Denn weil auch der Täter tot ist, hat die Staatsanwaltschaft die Akten geschlossen.
Doch es bleiben Fragen, die quälen. Eltern, Geschwister, Partner wollen mehr wissen, alles: Was geschah vorher? Welche Rolle spielten die Ärzte, die Lubitz zum Teil über Jahre behandelten? „Es geht uns darum, wie es zu dem Unglück kommen konnte“, sagt Frank Noack. Der Mann aus Halle verlor bei dem Absturz seine Tochter Juliane, an ihrem Beerdigungstag brachte er nun die Petition auf den Weg. Neue Untersuchungen soll es geben, Ergebnisse sollen öffentlich gemacht werden. Noack glaubt: „Es wurden Dinge unter den Tisch gekehrt.“ Die Einstellung des Verfahrens, sagt Beate Maue, „war ein Schlag vor den Kopf“.
Vater des Co-Piloten hat „Fragen aufgeworfen“
Die 54-Jährige hat sich festgehalten an der Version vom Suizid des Piloten, die schon zwei Tage nach dem Unglück bekannt wurde, sie war sogar erleichtert. Es war eine Antwort, sie würde sie heute noch gern glauben. Aber es gibt „Ungereimtheiten“, nicht erst seit der „unsäglichen Pressekonferenz von Herrn L.“. Günter Lubitz, dessen Namen Beate Maue nicht mehr ausspricht, hatte am zweiten Jahrestag, just zur Stunde des Absturzes, ein eigenes Gutachten vorgestellt. Es war darin die Rede von Luftlöchern, Turbulenzen, einer bereits vorher defekten Cockpit-Tür. „Er hat Fragen aufgeworfen“, sagt Maue, „er sät etwas damit.“
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Vor allem Zweifel. Warum sagten die französischen Staatsanwälte nichts von Wetter und Technik? Warum hat Beate Maue keine Schreie gehört, als man ihr die Blackbox vorspielte? Warum gibt es keine Handy-Aufnahmen? Wo überhaupt sind die Telefone von Claudia und Jürgen, die am Tag danach nach Mülheim meldeten, wieder erreichbar zu sein? „Die Ungewissheit ist das Schlimmste.“ Keine Antworten zu finden, sei „einfach furchtbar“. Beate Maue ist sicher, „dass man besser lebt, wenn man Gewissheit hat“.
Und Gerechtigkeit. Das wäre auch Claudia wichtig gewesen, da ist die Schwester sicher. Claudia, die die Gerechtigkeit liebte, die Jura studiert hatte und sich unermüdlich engagierte, besonders für behinderte Menschen. Die kämpfte für eine bessere Welt. „Die Petition fände sie super.“
Kampf um Antworten ist auch eine Art „Vermächtnis“
Überhaupt versucht die ältere Schwester, „alles so zu tun, wie sie es auch tun würde“. Sie empfindet das als „Vermächtnis“. Beate Maue kann aber auch nicht anders, sie war der Jüngeren immer nah, hat jetzt „einen anderen Blick auf das Leben“. Sie ist umgezogen, hat einen neuen Job und zwei Hunde: Scotti, der auch Claudia gehörte, und Lille, die zur Familie stieß, weil Scotti so sehr trauerte.
„Frauchen“ kreist immer noch viel um Claudia, um Jürgen und jene Reise nach Barcelona, die Jürgen Diemer seiner Frau zum 50. Geburtstag geschenkt hatte. Sie waren erst vier Jahre verheiratet, „ein großes Glück“. Maue kümmert sich jetzt allein um ihre Mutter, „wir waren ja immer zu dritt“. Auch die hat die Petition unterschrieben. Es gelte herauszufinden, steht darin, „wo Fehler im Umgang mit der Person des Co-Piloten gemacht wurden, wo Verantwortliche gar keine oder falsche Entscheidungen getroffen und damit den Tod von Menschen in Kauf genommen haben“. Es geht um „Transparenz“, sagt Beate Maue. Einerseits hat sie Angst davor. Andererseits: „Es würde vielleicht ein Stück Seelenheil bringen.“
INFO: „Zuviele Fragen offen“
Die Petition auf der Internetseite www.change.org („Germanwingsabsturz. Zu viele offene Fragen. Versagen eines Einzelnen?“) haben bislang 2700 Menschen unterschrieben.
Wenn innerhalb von vier Wochen 50 000 Unterschriften zusammenkommen, gehen sie an den Petitionsausschuss von Bundes- oder Landtag.