Vivawest: In Laufschuhen auf Zechentour im Ruhrgebiet
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Ruhrgebiet. . Erstmals öffnete sich am Sonntag das letzte noch aktive Bergwerk des Reviers. Auch Nordstern und Zollverein waren Wegmarken für 9000 Läufer.
Wenn man die Zeit hätte, das alles in Ruhe anzusehen: die Zechen, alte und neue, die Halden, das Grün! Dieser Lauf ist eine Sightseeing-Tour durch das Revier, ein Ruhrmarathon im besten Sinne, wie es nach dessen offiziellem Ende eigentlich keinen mehr gibt. Vier Städte, drei Bergwerke, an die 9000 Läufer und fast für jeden ein Meter „Mannesmanngitter“, auch das gibt es nur hier. Bloß: Zeit haben Läufer wenig, jedenfalls nicht zum Gucken, nur auf der Uhr.
Auf die schauen sie alle an diesem Sonntagmorgen in Gelsenkirchen. Nicht in die Sonne, die wieder mal scheint zum 5. Vivawest-Marathon und das eigentlich zu sehr. Nicht ins türkisfarbene Konfetti, nicht in die Kameras – sie gucken auf die Uhr. Die Erfahrenen, Drahtigen ganz vorn, die Aufgeregten im hüpfenden Mittelfeld, aber auch die Kleinen ganz hinten: Die Schüler, die in 600 Staffeln antreten, viel zu schnell, aber auch das ist wie immer. Nur die Strecke, die ist neu.
Wie der Besuch, der sich selbst den Startschuss gibt: Düsseldorfs Oberbürgermeister Thomas Geisel schießt und stürzt los, als Startläufer der Staffel der Stadtoberhäupter. Das Quartett mit den Kollegen Frank Dudda (Herne), Bernd Tischler (Bottrop) und Frank Baranowski (Gelsenkirchen) wird am Ende Neunter, noch vor der Schalke-Staffel. Und Geisel will so einmal mehr bewiesen haben, „dass Düsseldorf mehr ist als der Schreibtisch des Ruhrgebiets“.
Bergmänner machen die Welle
Gesehen hat er unterwegs tatsächlich Industrie und die Kultur, die von ihr geblieben ist: die Zeche Zollverein. Ein paar einsame Anstiege in Essen danach hat man den Läufern diesmal erspart, dafür öffnet sich erstmals die einzige noch aktive Zeche des Reviers. Aber nur für Sportler: Kein Zuschauer in Zivil darf auf Prosper Haniel in Bottrop, aber für die hätten die Sportler auch kein Auge. Kreuz und quer geht es um Kohlehügel, unter Fließbändern hindurch und durch eine schwarzgefärbte Pfütze, vor der Kohlenwäsche stehen Männer mit schmutzigen Gesichtern und machen die Welle. Für Kerem, den Schlosser in Kluft, ist dies „eine ruhige Schicht, muss auch mal sein“. Einen Vorbeiläufer grüßt er mit „Glück Auf“. Kollege? „Kumpel“, sagt Kerem. Stand ja dran: Mancher hier rennt laut T-Shirt „auf Koks“ oder als „Ruhrpottläufer“.
Tetraeder rechts, Bergarbeiterviertel links und nach Kilometer 36 ist Familienfest, wo einst die Zeche Nordstern war. Da ist nach Gladbeck schon wieder Gelsenkirchen. Alexander hat das nicht mehr erlebt, aufgegeben, nachdem die „Muskeln durchgeknallt“ waren. Aber dann trifft er Julia vom Laufclub für Menschen mit Trisomie 21. „Hallo alter Mann!“, sagt Julia, da muss Alexander schon wieder lachen, weil er sich genauso fühlt. Ohnehin ist dies der Marathon der netten Begegnungen: kein Profi, eingekauft für teures Geld, alles Gutgelaunte oder am Ende einfach Glückliche, viele aus der Gegend. Man kennt sich und trifft sich auf Abschnitten, wo Hin- und Rückweg derselbe sind. Klatscht sich ab und bespricht kurz die Pläne: „Was läuft?“ – „Unter 3:30 heute.“
Das ist sehr flott und sicher zu schnell um zu sehen, was Kinder auf die Straße gemalt haben. „Nicht aufge-“, steht da in bunter Kreide, vier Spuren ist die Prosperstraße breit und doch zu schmal, um Platz für das „-ben“ zu machen. Das muss – dicker Pfeil nach links – in die nächste Zeile. Auch das ist das Ruhrgebiet. Es riecht nach Bratwurst, Schlote dampfen wie die Läufer in der Wärme, ein Polizist markiert entschlossen eine Kreuzung mit Hütchen.
„Das Beste“ aber, sagt Behrang, „war der Zieleinlauf“. Fast hätte er vergessen, nach der Zeit zu gucken.
9000 laufen durchs Revier
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STRECKENREKORD NUR KNAPP VERPASST
Den Marathon gewannen Abid Ezamzami in 2:26:15 Stunden und Sigrid Bühler in 2:57:16 h. Beide verpassten den Streckenrekord nur um Sekunden.
Auf der Halbmarathon-Distanz setzten sich Christian Schreiner (1:08:36) und Lisa Heimann (1:21:15) durch. Beide trainieren im selben Verein in Rhein-Sieg.
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