Dortmund. Kleine Kinder haben im Fußballstadion nichts verloren. Oder doch? Borussia Dortmund bietet seinen jungen Fans einen besonderen Betreuungsservice – ganz nah am Geschehen, mitten drin im Stadion.
Samstagnachmittag, Dortmunder Stadion: Tor! 80.000 Fans jubeln mit den BVB-Spielern. Unter der Osttribüne des Stadions fliegt eine schwere Tür auf, 18 Kinder in Borussia-Trikots stürmen heraus, singen „Olé, super BVB“ und schwenken Fahnen in Richtung der Fans auf der Südtribüne. Als sich der Torjubel legt, verschwinden die Kinder wieder hinter der Tür – im Borussia-Hort.
Viele sind bei jedem Heimspiel dabei, einige seit Jahren
Zu jedem Heimspiel treffen sich hier rund 20 Kinder zwischen drei und sechs Jahren. Nur wenn Schalke kommt, dann sind es etwas weniger. „Da haben die Eltern wohl Angst um ihre Kinder und geben sie lieber bei Oma ab“, vermutet Betreuerin Siegrun Lübbe.
Im Hort haben sich die Kinder nach dem Torjubel wieder ihren Spielsachen zugewandt. „Es wird mit dem Puppenwagen nicht gerannt“, ermahnt Betreuerin Susanne eines der Mädchen, „das habe ich dir schon letzte Woche gesagt.“ Viele Kinder sind an jedem Spieltag hier. Einige sind seit Jahren dabei. „So hat meine Frau einen ruhigen Nachmittag“, erklärt Michael Frings. Der Dauerkartenbesitzer aus Düsseldorf holt seine Tochter Chantal kurz nach Spielende ab. Chantal ist bereits die dritte Tochter von Frings, die die Heimspiele im Borussia-Hort bringt. „Meine älteste Tochter ist 19, die war auch schon hier“, erzählt er.
Nur wenige Vereine bieten Kinderbetreuung an
Entstanden ist die Kinderbetreuung im Dortmunder Stadion auf Wunsch einer Fan-Initiative. Heinz-Ulrich Behle, seit 27 Jahren Leiter des Horts, erinnert sich: „Eine Fan-Gruppe äußerte gegenüber dem damaligen Präsidenten Heinz Günther den Wunsch, eine Kinderbetreuung einzurichten.“ Günther war einverstanden – unter einer Vorgabe: Das Projekt durfte den finanziell angeschlagenen Verein nichts kosten.
So konnte der Borussia-Hort 1975 seine Türen öffnen. „Wir waren der erste Verein in der Liga, der so etwas aufgebaut hat“, erzählt Behle. Inzwischen ist die Kinderbetreuung in den Verein integriert. Der Verein übernimmt auch die Bezahlung der Betreuerinnen. Bis heute bietet das längst nicht jeder Bundesliga-Verein an. Beim frisch gebackenen Meister Wolfsburg besteht das Angebot beispielsweise erst seit letzter Saison. Beim Aufbau geholfen hat – Heinz-Ulrich Behle.
„Ich habe inzwischen halt eine gewisse Erfahrung“, erklärt der 62-jährige Berufsschullehrer bescheiden. Auch Köln und Schalke bieten einen solchen Service. In Cottbus wollten die Verantwortlichen eine Kinderbetreuung einführen – der Abstieg kam dazwischen, deshalb liegt der Plan erstmal auf Eis.
Vater vergisst seinen Sohn
Ganz reibungslos verlief die Kinderbetreuung der Borussia aber auch nicht immer. Zweimal mussten sie sich im Stadion einen neuen Raum suchen, weil der alte entweder renoviert oder von einer anderen Abteilung des Vereins gebraucht wurde. Nicht immer war die Finanzierung sichergestellt, zu Zweitliga-Zeiten mussten die Betreuerinnen auf ihr Gehalt verzichten.
Pannen in der Kinderbetreuung waren dagegen sehr selten. Nur an einen Vorfall erinnert sich Behle – und der liegt inzwischen rund 25 Jahre zurück: „An einem Spieltag im Sommer hatte Dortmund hoch gewonnen, die Stimmung bei den Fans war sehr ausgelassen – und feuchtfröhlich. Da hat ein Vater tatsächlich vergessen, seinen Sohn aus dem Hort abzuholen.“ Passiert ist aber nichts. Per Telefon erreichte man den Vater und erinnerte ihn an seinen „verlorenen Sohn“.
In der Halbzeit kommt Emma
Heute notieren sich die Betreuerinnen die Handynummer der Eltern von jedem Kind, das in den Hort kommt. So können Mama oder Papa angerufen werden, wenn sich das Kind im Hort nicht mehr wohlfühlt. Außerdem können die Betreuerinnen die Eltern über den Stadionsprecher ausrufen lassen. „Das kommt aber nicht häufiger als zwei oder drei Mal in der Saison vor“, schätzt Betreuerin Susanne.
In der Halbzeitpause, während sich die Fans auf der Tribüne erholen, erreicht die Aufregung im Borussia-Hort ihren Höhepunkt: Maskottchen Emma im Bienenkostüm kommt vorbei, verteilt Autogramme und tobt mit den Kindern herum. Ein Vater kommt während der Halbzeit in den Hort, um Fotos von seinem Sohn auf Emmas Schoß zu machen. Der Besuch des Maskottchens gehört für die Kinder bei jedem Spiel dazu.
"Iieh, Schalke!"
Als die zweite Halbzeit beginnt, haben Saskia (6) und Paula (4) das Memory-Spiel für sich entdeckt. Voll konzentriert deckt Paula eine Karte auf: eine weiße Muschel auf blauem Hintergrund. Saskias spontane Reaktion: „Iieh, Schalke!“
„Mit dem Borussia-Hort wollen wir die Eltern entlasten und die Kinder an den Verein heranführen“, erklärt Behle. Die Betreuerinnen, je nach Anzahl der Kinder sind es zwischen drei und sechs, tragen gelbe Borussia-Pullover. Die Wände sind gelb dekoriert, auch die Mülltonne in der Ecke trägt den BVB-Look.
Das Spielgeschehen interessiert nur am Rande
Betreuerin Siegrun Lübbe diskutiert mit Hendrik (4) über Luca Toni. „Der ist doch Italiener, oder?“ So ganz sicher ist sie sich nicht – und gesteht anschließend: „Eigentlich ist Fußball gar nicht so meine Sache. Aber wenn man so lange dabei ist – inzwischen 17 Jahre – dann wächst dann man da rein.“
Auf dem Fernseher an der Wand wird das Spiel übertragen. Gelegentlich sitzt mal ein Kind davor und beobachtet das Spielgeschehen, doch meistens sind die Spielsachen interessanter. „Die Ausdauer, um das Spiel über 90 Minuten zu verfolgen, ist bei den Kindern einfach noch nicht da“, erklärt Betreuerin Lübbe. Als es im Stadion lauter wird, gucken die Kinder doch hin. Wenn ein Tor fällt, müssen sie schließlich wieder ran: Fahnen schwenken und singen: „Olé, super BVB.“