Bottrop. Das Ruhrgebiet ist geborgtes Land. Fast ein Fünftel liegt durch den Bergbau unter dem Grundwasserspiegel und wird künstlich trocken gehalten.
„Vor ein paar Monaten bin ich um 4 Uhr morgens durch ein Beben aufgewacht“, sagt Bauer Johannes Miermann. „Ich musste mich regelrecht an mein Bett klammern.“ Quer über seinen Hof in Bottrop-Kirchhellen zieht sich eine Bruchkante des Bergbaus. Der südliche Teil sackt immer wieder ab, weil tief drunten noch immer Kohle entnommen wird. Ein Nebengebäude wird einseitig durch Hydraulikzylinder gestützt, im Bullenstall waren nie Bullen, wegen der Risse, und die Kartoffeln wachsen jedes Jahr ein paar Zentimeter tiefer. Vor allem aber bilden sich auf dem tiefergelegten Hof sehr schnell Pfützen, wenn es regnet – bis hin zur „hochwasserartigen Überflutung. Wir mussten die Tenne mit Sandsäcken schützen.“
Das tiefergelegte Revier
Nun, die Miermanns arrangieren sich seit Generationen, ihre Probleme sind ja kein Sonderfall. Das Ruhrgebiet ist geborgtes Land. Der Bergbau hat es tiefergelegt, stellenweise um über 20 Meter. Bis unter den Grundwasserspiegel. Fast ein Fünftel der Region (in den Grenzen des Regionalverbands Ruhr) stünde unter Wasser, wenn nicht gepumpt würde – vor allem das Kernrevier, wo auch die meisten Menschen wohnen.
Über eine Milliarde Kubikmeter Grundwasser müssen die rund 180 Pumpen der Emschergenossenschaft jedes Jahr bewegen. Hinzu kommen noch einige Dutzend der RAG und anderer Unternehmen, die früher Bergbau betrieben haben. Über Kanäle und Bäche landet das Wasser in der Emscher, die ja ihrerseits gerne mal zwischen ihren Dämmen über dem Niveau der Nachbarhäuser fließt.
„Düsseldorfer Studenten haben mal einen Vorschlag gemacht, um das Ruhrgebiet attraktiver zu machen: einfach die Pumpen abstellen.“ Ilias Abawi, Sprecher der Emschergenossenschaft, macht eine Kunstpause. „Das ist natürlich nicht möglich. Aber was stimmt: Wenn wir nicht pumpen würden, wäre das Revier eine Seenplatte.“
Pumpen, wollt ihr ewig laufen?
Auch interessant
Die Ewigkeitskosten des Bergbaus werden auf rund 220 Millionen Euro im Jahr geschätzt, ab 2018 zu tragen von der RAG-Stiftung. „Davon entfallen etwa 30 Prozent auf das Poldern“, erklärt Stefan Hager, der bei der RAG den Bereich Standort- und Geodienste leitet.
1914 ging das erste Pumpwerk in Betrieb an der Alten Emscher in Duisburg. „Heute gibt es keine Stadt, die keine Pumpen hat“, sagt Hager. Einige neue Modelle sind so klein, sie wirken wie Stromkästen. „Es gibt immer noch Fälle, wo wir sagen, da muss ein Pumpwerk hin. Dann bleibt es auch da.“
Aber was passiert, wenn mal eines ausfällt?
So schnell gerät auch Holland nicht in Not. Es würde je nach Standort Wochen dauern, bis das Grundwasser die Senke füllt, erklärt Hager. Der Phoenixsee in Dortmund war nach zwei Jahren noch nicht von alleine zugelaufen. Es bleibt jedenfalls genug Zeit für das Dutzend Männer in Rufbereitschaft, die Pumpe zu reparieren. „Überflutungen geschehen in der Regel nicht durch Grundwasser, sondern durch Starkregen. Am Rhein dauert es Tage, bis er steigt, an der Emscher Stunden, weil die Gegend so hoch versiegelt ist und das Wasser schneller abfließt.“
Könnte ein Hackerangriff, das Ruhrgebiet unter Wasser setzen?
Kaum. Das Grundwasser ist zu träge. „Und die Störungsmeldungen sind zwar digital“, sagt Hager, „aber an- und ausschalten lassen sich die Pumpen nicht aus der Ferne.“ Er denkt allerdings darüber nach, selbst einige Schalter umzulegen und dem Revier so ein paar Feuchtbiotope zu schenken, etwa im Barloer Busch in Dorsten. Würde das nicht Ökonomie und Ökologie versöhnen? „Der Emscherbruch war ja früher Sumpfgebiet. Dort würde man heute nicht wohnen können ohne den Bergbau.“
Und so gerät man auf der Suche nach dem Sinn der ewigen Kosten zu der unauflöslichen Frage, was zuerst da war – Revier oder Pumperei?