Ruhrgebiet/Düsseldorf. . Der Putschversuch in der Türkei schreckt Reisende nicht ab. Lange Schlangen am Flughafen Düsseldorf zeigen, Urlauber zieht es weiter in die Türkei.

In der längsten aller Schlangen steht Myriam Kutza ganz hinten, noch hinter der Kurve, von der aus in der Ferne ,Antalya’ zu sehen wäre – wenigstens als Name an einem Schalter. Kurz hat die Gelsenkirchenerin ja gezögert am Samstag: Soll ich das wirklich tun, in die Türkei zu reisen? „Meine Mutter wollte stornieren“, sagt sie. „Dann habe ich entschieden, doch zu fliegen.“ Und die Mutter und die Tochter fliegen mit. Hat jemand Angst vor Türkei-Reisen? Die Schlange ist die Antwort.

„Erstens ist das ganz weit weg von Istanbul“, sagt Melanie Führer aus Witten: „Und Bekannte da unten haben uns gesagt, es ist ganz ruhig.“ Bülent und Pinar Koc haben etwas länger überlegt, sie sind keine Freunde von Erdogan, doch „ich habe meiner Frau gesagt, wir fliegen nicht, wenn er stürzt“, sagt der Duisburger: wegen des Durcheinanders, das dann ein paar Tage geherrscht hätte. „Jetzt haben wir nur noch leichte Bedenken wegen IS.“ Pest in Zeiten der Cholera.

Erleichterung auf der Ankunft-Ebene

Beim Abflug auf Ebene 1 im Düsseldorfer Flughafen sind die Warteschlangen Richtung Türkei also die längsten, dafür ist auf Ebene 0 die Erleichterung größer – bei der Ankunft. Vorzeitige Rückkehrer sind freilich nicht darunter, bis auf die Kumars aus Bochum, die nachher landen sollen. Sie haben ihren Jahresurlaub auf halber Strecke abgebrochen: wollten eigentlich nach Sri Lanka mit Zwischenstopp in Istanbul, landeten dort in Putsch, Chaos, Gedränge und unverständlichen Durchsagen und „nehmen jetzt das erste Flugzeug zurück“, sagt Rajan Kumar, der sie erwartet: „Wir konnten sie ganz lange nicht erreichen.“

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Aber natürlich sind Umbuchungssorgen nicht zu vergleichen mit denen, die viele Türken und türkischstämmige Deutsche im Ruhrgebiet Samstagnacht hatten. Yunus Yilmaz aus Duisburg erinnert sich an bange Stunden, da „die Handynetze überlastet und zusammengebrochen“ waren. Hatice T. (Name geändert) aus Dinslaken konnte nicht fassen, was sie da sah im Fernsehen: „Ich hätte nie gedacht, dass das heute noch in der Türkei passieren könnte.“

"Das ist schon heftig"

Über ein Netzwerk konnte die Wissenschaftlerin klären, dass bei ihrem Vater im Heimaturlaub alles in Ordnung war. Ihre politische Folgerung ist die: „Das zeigt deutlich, es wird keinen Bürgerkrieg geben, weil wir alle zusammenhalten.“

Ähnliches erzählt der Informatiker Cemal A. aus Bochum: „Hubschrauber über Ankara, gesperrte Brücken in Istanbul, das ist schon heftig.“ Mit Tanten und Onkeln in Izmir ist er in einer WhatsApp-Gruppe, da war gottlob schnell klar: Allen geht es gut, doch alle sind besorgt. Seine politische Folgerung ist allerdings ganz anders: „Die Angst vor einem Bürgerkrieg ist allgegenwärtig, die Menschen sind politisch weit auseinander, die Regierung setzt auf Polarisierung.“ A. und T., würden sie einander treffen, wären sich aber in einem Punkt einig: Erdogan hin oder her, Militärdiktatur wäre schlimmer.

Tausende in NRW-Städten protestieren gegen Putschversuch

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Bereits in der Samstagnacht gehen Tausende Türken und Deutsche türkischer Abkunft im Ruhrgebiet auf die Straße, um gegen die Militärs zu protestieren: 3000 Menschen etwa in Duisburg, 5000 in Essen in der Nähe des türkischen Konsulats. Sie hupen im Korso, tragen Nationaltrikots, schwenken die türkische Fahne. Alles bleibt friedlich, auch bei kleineren Aufläufen in Hamm oder Bochum. Einzig die Polizei in Gelsenkirchen meldet, dass bei einer weiteren solchen Versammlung am Nachmittag unter nicht ganz klaren Umständen „eine Fensterscheibe eines Cafés zerstört wurde“, eines türkischen.

Etwaige Zusammenstöße zwischen Gegnern und Anhängern des Präsidenten vor türkischen Vertretungen wollen die NRW-Sicherheitsbehörden verhindern. Ob der Schutz von Konsulaten oder Moscheen „veranlasst oder angepasst“ werde, prüfen die örtlichen Polizeipräsidien derzeit. Die berühmten „konkreten Hinweise“ auf solche Krawalle gibt es aber nicht.

Putschversuch geht nur noch auf Kosten der Pünktlichkeit

Doch zurück nochmal nach Düsseldorf, wo nach den Flug-Absagen von Samstag am Sonntag der Normalbetrieb zurückkehrt. Der Putschversuch hat jetzt nur noch Auswirkungen auf den Zeitplan: Izmir landet 14.25 Uhr statt 6.05 Uhr, und Antalya startet 15.30 Uhr statt 13.05 Uhr. Istanbul ist mit 13.10 Uhr sogar schon wieder pünktlich – und auch hier steht eine lange, lange Schlange. „Ich denke“, sagt der Geschäftsreisende Frank Schnur aus Ennigerloh: „Wenn Flüge rausgehen, kann es nicht mehr so dramatisch sein“.