Ruhrgebiet. Die Polizei will in Duisburg und Essen Stärke demonstrieren, um die Straße nicht der Paralleljustiz von Libanesen- und Roma-Familien zu überlassen.

Mit acht Streifen patrouillieren sie seit einer Weile durch die Straßen von Duisburg-Marxloh, um Stärke zu zeigen. Auch im Essener Norden will die Polizei demonstrieren, dass sie das Sagen hat. Ob sich die Familienclans beeindrucken lassen? Libanesen- oder Roma-Clans, die ein eigenes Rechtsverständnis pflegen und das zuletzt wieder stärker in die Öffentlichkeit getragen haben?

Arnold Plickert, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, der vor Wochen von „No Go Areas“ gesprochen und vor dem Abrutschen ganzer Stadtteile gewarnt hatte, fühlt sich immerhin bestätigt. Zwar hat Innenminister Ralf Jäger (SPD) den Begriff des „rechtsfreien Raums“ zurückgewiesen, aber reagiert hat er und mehr Polizisten in die kritischen Viertel abkommandiert.

Eine Polizistin geht zu Boden

„Wir fordern das ja nicht erst seit gestern“, sagt Plickert dieser Redaktion, „es war politisch nicht opportun, aber jetzt konnte man im Innenministerium nicht mehr anders.“ Anlass war ein vertraulicher Lagebericht des Duisburger Polizeipräsidiums, der sich wie ein Hilferuf las: Anwohner und Geschäftsleute würden eingeschüchtert, Polizisten sähen sich hoher Aggressivität gegenüber. „Jäger“, so Plickert, „war dann selber in Marxloh, und die Kollegen vor Ort haben ihm mal gesagt, was da abgeht.“

Auch interessant

Er begrüße, dass der Minister darauf reagiert habe, und dass Polizisten nun schon bei Kleinigkeiten eingriffen: „Wenn Kippen aus dem Autofenster geschnippt werden oder mit lauter Musik herumgefahren wird. Dafür“, so der GdP-Chef, „wäre früher kein Polizist ausgestiegen, um sich das anzutun.“

Denn das ist gefährlich. In Duisburg-Marxloh greifen Libanesen im Juni zwei Streifenbeamte an. Die wollen nach einem Unfall Personalien aufnehmen. Plötzlich wird die Polizistin geschubst, geht zu Boden, ihr Kollege greift verunsichert zur Waffe und hält 15 Männer auf Abstand, bis endlich zehn weitere Streifenwagen anrücken. Rundherum, so steht es später im Polizeibericht, stehen 100 Leute.

Pöbeleien, Massenschlägereien, Angriffe an der Tagesordnung

Im Essener Stadtteil Altendorf muss die Polizei bei Großeinsätzen gegen Libanesen Verstärkung aus Nachbarstädten anfordern, um Herr der Lage zu werden. Beamte werden angepöbelt, Schlimmeres wird verhindert. Vor zehn Tagen muss sie eine Massenschlägerei mit 100 Beteiligten einer Roma-Großfamilie im Vorfeld eines Prozesses in den Griff bekommen. In Gelsenkirchen prügeln sich zuvor zwei verfeindete Familien mit Baseballschlägern und Eisenstangen, es gibt Verletzte. Plickert bilanziert: „Es gibt doch mittlerweile jede Woche eine Riesenschlägerei.“

Auch interessant

Mitunter, so Essens Polizeisprecher Ulrich Faßbender, reicht es, ein Familienmitglied zu beleidigen, „und der Funke springt über“. Die Streitenden mobilisieren per Handy im Nu Dutzende Verwandte und gewiss nicht die Polizei. Die wird in der Regel von besorgten Nachbarn gerufen und sieht sich beim Eintreffen großen Menschenmengen gegenüber, die sich den Beamten gegenüber solidarisieren.

Brauchbare Zeugenaussagen fehlen. So gut wie niemand redet mit der Polizei. Libanesische Familien, stellen Essener Sozialarbeiter klar, regeln ihre Angelegenheiten untereinander und misstrauen staatlichen Stellen. Ein Verhalten, das die Clans aus der Heimat mitgebracht und auch nach Jahren nicht abgelegt hätten.

Ein Café-Betreiber, selbst Libanese, Vater von fünf Kindern, hat sich Hilfe suchend an die Polizei gewandt und bezahlt das mit zerschlagenen Scheiben und zerstochenen Reifen. Sogar seine Kinder seien bedroht worden, erzählt er.

Väter verzweifeln an milden Urteilen

Innerhalb eines Clans herrscht eine hohe soziale Kontrolle. „Die älteren Mitglieder sind sehr darauf bedacht, diese nicht zu verlieren“, sagt Essens stellvertretender Jugendamtsleiter Ulrich Engelen. Er berichtet von einer jungen Frau, die sich, unterstützt von der Jugendhilfe, ihr Leben außerhalb dieser Familienzwänge aufbauen wollte. Sie gab auf, „denn was sie auch tat, es blieb das Gefühl, dass es falsch sei und dass sie nirgends mehr hingehöre.“

Auch interessant

Manche jungen Männer schämten sich wegen der Auseinandersetzungen ihrer Familien, berichtet Thomas Rüth, der bei der Arbeiterwohlfahrt das Jugendhilfe-Netzwerk Essen-Nord leitet. Andererseits gebe es Väter, die an milden Urteilen der deutschen Justiz verzweifeln und nicht mehr wüssten, wie sie ihren kriminellen Söhnen begegnen sollen. „Wir brauchen mutigere Urteile, die Grenzen setzen“, fordert Rüth.

Polizeigewerkschafter Arnold Plickert sieht die Fehler in der Vergangenheit, in falscher Integrationspolitik, in schlechter Stadtplanung. „Wenn es zu uns kommt“, sagt Plickert, „dann ist es zu spät.“

Aber da ist es jetzt.