Essen. Der libanesische Verein Familien Union sieht in der Duldung einen Grund für das Abrutschen in die Kriminalität. Die Stadt widerspricht den Vorwürfen.

Die Familien Union erklärte jüngst, die an gewalttätigen Konflikten beteiligten Libanesen hätten meist einen unsicheren Aufenthaltsstatus oder lebten nur mit Duldung in Deutschland. „Diese Personengruppe muss jederzeit mit der Abschiebung in die Heimat rechnen.“ Und weiter: „Der Status der Duldung hindert die betroffenen Personen an der Integration. Selbstverständliche Dinge wie eine Ausbildung, der Erwerb des Führerscheins oder die Aufnahme einer Beschäftigung bleiben ihnen verwehrt.“ Durch diese Perspektivlosigkeit wachse die Gefahr, dass sie in „kriminellen Milieus die Anerkennung suchen, die sie in der Gesellschaft nicht erfahren“.

Stadt: Oft scheitere die Jobsuche nicht an der Duldung

Die Stadt weist diese Aussagen zurück: Auch wer einen unsicheren Aufenthaltstatus habe, könne bei der Ausländerbehörde beantragen, „eine bestimmte Erwerbstätigkeit ausüben zu dürfen“. Dann werde lediglich geprüft, „ob für die Tätigkeit bevorrechtigte Personen (Deutsche, EU-Ausländer) zur Verfügung stehen und die Tarifbedingungen erfüllt werden“. Seit dem Asyl-Kompromiss gelte, dass Geduldete „bereits nach drei Monaten mit Zustimmung der Ausländerbehörde arbeiten dürfen“.

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Und: „Personen, die sich länger als vier Jahre im Bundesgebiet aufhalten, haben sogar Anspruch auf eine uneingeschränkte Beschäftigungserlaubnis.“ Sprich: Sie dürfen jegliche Beschäftigung ausüben. Auch garantiere die Ausländerbehörde, „dass für die Dauer einer Ausbildung keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen durchgeführt/ eingeleitet werden“. Oft scheitere die Jobsuche nicht an der Duldung, „sondern an der mangelnden Qualifikation oder fehlender Motivation“. Umgekehrt gelte: Wer ernsthaft einen Job suche, verbessere seine Bleibe-Perspektive.

Akute Gefahr einer Abschiebung gebe es für die meisten Betroffenen nicht

Einen Führerschein zu erwerben, sei zwar in der Vergangenheit „regelmäßig problematisch“ gewesen, doch inzwischen habe sich dies vor allem für jene jungen Libanesen lösen lassen, „die im Bundesgebiet geboren wurden“.

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Die akute Gefahr einer Abschiebung gebe es für die meisten Betroffenen nicht, weil a) der Libanon niemanden mit „ungeklärter Staatsangehörigkeit“ aufnehme, und b) oft aus „humanitären Gründen“ eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werde: sofern Integrationsleistungen wie Schulbesuch, Erwerbstätigkeit, Straffreiheit erbracht wurden. Der grüne Ratsherr Ahmad Omeirat, der die Duldung durchaus kritisch sieht, formuliert: „Ich sage jungen Libanesen: Stellt Euch nicht als Opfer dar – kämpft. Konkurriert nicht um das dickste Auto, sondern um die beste Ausbildung!“ Vize-Jugendamtsleiter Ulrich Engelen räumt ein, dass die Duldung Hemmnisse wie bei der Reisefreiheit mit sich bringe: „Als Ausrede für unsoziales Verhalten kann sie nicht herhalten.“

Familien Union fordert mehr Unterstützung von der Stadt 

Ghassan Remmo hat als Kind 14 Jahre lang den Krieg im Libanon erlebt, bevor er 1989 nach Essen kam. Hier wohnte er zunächst im Asylheim und jobbte als Pizzabäcker. Heute ist der Taxifahrer deutscher Staatsbürger so wie seine Frau und die fünf Kinder auch.

Die Familie von Ghassan Remmo stammt ursprünglich aus der Türkei, aus der sie in den Libanon geflohen ist. Diese Vergangenheit teilt der 45-Jährige mit vielen Libanesen in Essen, die kurdische Wurzeln haben. Er engagiert sich heute in dem Verein Familien Union, zu dem gut 500 Libanesen zählten. Die Mitglieder beteiligen sich etwa an städtischen Putz-Aktionen wie Picobello, mischen sich aber auch politisch ein wie zuletzt mit einem offenen Brief an die Polizeipräsidentin. Darin bedauerten sie die Konflikte in Altendorf, bei denen „Polizeibeamte dem Widerstand einiger Personen ausgesetzt waren.“

Ursache für Auseinandersetzungen sei unsicherer Aufenthaltsstatus

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Gleichzeitig nennen sie als eine Ursache für die regelmäßigen Auseinandersetzungen den unsicheren Aufenthaltsstaus vieler Landsleute. „Sie leben immer in der Angst vor Abschiebung“, sagt Remmo, der diese Situation selbst erlebt hat. Daher ist es seit langem ein zentrales Thema, der Familien-Union, die Duldung in einen sicheren Aufenthaltsstatus umzuwandeln. Auch damit könne man kriminellen Karrieren entgegensteuern.

Dass es in einigen Familien auch Erziehungs-Defizite gebe, bestreitet Remmo nicht. Er selbst lege großen Wert auf die Schulbildung und Integration seiner Kinder: Wenn andernorts Jugendliche auf Abwege gerieten, reagiere die Gemeinschaft durchaus: „Bei jedem Konflikt greift unser Seniorenbeirat ein“, erklärt Remmo die Strukturen ihrer Familien, in denen die Alten großes Ansehen hätten. Es gebe keine Väter, die ihre Söhne mit Messern auf die Straße schickten: „80 Prozent der Libanesen rennen nicht auf die Straße, wenn es zu Konflikten kommt.“ Dass es trotzdem gewalttätige Familienstreitigkeiten gebe, bedauere gerade die Familien Union: „Wir müssen unsere Leute erziehen, ihnen den richtigen Weg zeigen.“

Der Verein engagiere sich sehr in der Stadt – er vermisse jedoch konkrete Hilfen wie Räume für ihre Treffen. „Dieses Land ist unsere Heimat geworden“, sagt er. „Aber wir brauchen Unterstützung.“