Oberhausen. . Im September hatte das Friedensdorf kranke und verletzte Kinder nach Oberhausen geholt. Nach der Therapie freuen sich die Patienten auf ihre Familien.
Das Leben in Gaza ist „unerträglich“. Sagt der deutsche Außenminister. Die Kinder aber sehen das anders: Gelacht und geweint haben sie, als sie hörten, dass es am Dienstag losgeht von Oberhausen nach Palästina, wo Frank-Walter Steinmeier am Montag schon war. Vom Frieden zurück in den Krieg, oder wenigstens in die Krise, und alle haben sie gesungen: „Nach Hause!“ Neun Monate im Friedensdorf haben viele Dinge nicht besser gemacht, aber 19 Kinder gesünder.
Auch interessant
Man sieht den Unterschied nicht sofort in Kayas Gesicht. Nur noch Narben, wo Haut hingehört, immer noch das Hütchen über dem Kopfverband. „Furchtbare Verbrennung“, war es selbst dem Arzt entfahren, als er die Sechsjährige zum ersten Mal sah. Aber nun ist da wieder Leben in Kayas Miene, sie kann lächeln, den Kopf kokett schieflegen und schäkern. Und seit sie nach drei Operationen ihre Lippen wieder bewegen kann, „quatscht sie ohne Unterlass“, sagen die Leute im Dorf. Deutsch.
Ein Dreivierteljahr ist es her, dass das Friedensdorf erstmals Kinder aus dem Nahen Osten holte, Deutschland schaute da noch auf den „Palästinakrieg 2014“, wo täglich Bomben fielen – „einer der etwas schwierigeren Einsätze“, untertreibt Leiter Thomas Jacobs. Sie reisten über Kairo, mussten Verletzte zurücklassen, die nicht transportfähig waren, ein Kind hat die Reise nicht überlebt. Die 42, die schließlich ankamen, waren Kinder des Krieges, unruhig, aggressiv, sie übertrumpften einander mit dem Wissen um Waffen und ihren Wunden: „Dich hat nur eine Kugel getroffen. Mich eine Granate!“
In mehreren Operationen entfernten Ärzte den Kindern die Granatsplitter
Bei Mansour waren es Splitter, er nahm sie bereits auf einer früheren Reise mit nach Hause: herausoperiert aus seinem Körper und verpackt in ein Filmdöschen. Bei Ranya auch, die Splitter steckten in ihrem Kopf, Ärzte mussten ihr eilig ein Auge entfernen. Nun spielt die Zehnjährige manchmal mit ihrem Glasauge und ist – darf man schreiben, wie Jacobs das sagt? – „kackfrech“. Und bei Karam war es gar nicht der Krieg, der ihn behindert auf die Welt kommen ließ. Nur hatten sie in der zerstörten Heimat nichts, was ihm hätte helfen können. Karam, der heute vieles besser kann als gar nicht, fiel fast aus seinem Rolli, als er hörte, dass es nach Hause geht. Und Nasrallah und Mohammad, zwei mit großer Klappe, „heulten wie ein Schlosshund“.
Auch interessant
Am Dienstagmorgen fliegen sie, die verbliebenen 19, nach langem Warten auf eine einigermaßen sichere Route: über Tel Aviv. Ausgerechnet Israel, sagt Thomas Jacobs, habe dabei geholfen und die deutsche Botschaft. Das letzte Stück, sicher einen Kilometer über die Demarkationslinie, werden sie laufen müssen. Nasrallah mit seiner frisch frisierten Haartolle und dem Palästinensertuch um die Hüften. Das kleine Mädchen mit den Locken, in denen nun ganz sicher keine Läuse mehr sitzen. 13 Jungen und sechs Mädchen mit ihren Rucksäcken, aus denen oben Kuscheltiere gucken, Giraffen und ein Leopard mit blauen Flecken.
Zurück zu ihren Familien
Zwei Rollstühle werden sie schieben, den Verbandsmull für Kaya tragen, und auch Thaer wird laufen, der das gerade erst wieder kann. Sie trugen ihn auf einer Vakuum-Matratze damals, ein Bein hatte er verloren und einen Arm um ein Haar. „Der war wirklich beschissen dran“, sagt Jacobs. Viermal musste er unter Messer, bis all’ die Metallsplitter entfernt waren, wulstige Narben erzählen davon und ein fehlender Finger – und nun hat Thaer, zehn Jahre alt, im Friedensdorf Kirschbäume gepflanzt. Seit einer Woche braucht er keine Krücken mehr, er humpelt zwar stark; wohin, Thaer? „Zuhause!“
Die Kinder, sagt Thomas Jacobs, gingen nicht in ein kaputtes Gaza zurück, sie gingen zu ihren Familien. „Sie fragen nicht nach intakten vier Wänden. Sie fragen nach den Menschen, die darin wohnen.“ Sie lassen aber auch Freunde zurück: Kinder aus Afghanistan und Angola, von denen sie sich abgrenzten in ihren ersten Tagen in Oberhausen. Mit denen sie nun zusammen spielten und noch gestern beim Essen bunt durcheinander saßen. Im Friedensdorf hoffen sie natürlich, „dass nur ein bisschen davon hängen bleibt, dass alle Menschen gleich sind“. Und dass sie später, sagt Thomas Jacobs, „vielleicht dreimal überlegen, ob sie eine Waffe in die Hand nehmen“.