Gelsenkirchen. . Gisela Kopatz (80) ging zur Routine-Untersuchung ins Krankenhaus. Nun hat sie einen künstlichen Darmausgang und muss für die Pflege kämpfen.
Gisela Kopatz (80) sitzt auf dem Sofa und hält sich die Hand vor den Bauch. Sie kann es nicht fassen, dass sie, die vor dem Mehrfamilienhaus in Gelsenkirchen-Horst stets die Pflanzenkübel in Ordnung hielt, jetzt kaum noch vor die Tür kommt. „Ich war ja gesund. Bis ich ins Krankenhaus ging. Und jetzt habe ich einen künstlichen Darmausgang, nur weil da was schief gelaufen ist.“
Gisela Kopatz und ihre Familie können die Geschichte auswendig erzählen, sie haben alle Fakten parat. Schließlich führen sie rege Korrespondenz mit dem Krankenhaus, den Ärztekammern und der Krankenversicherung. Ihr Vorwurf: Behandlungsfehler bei einer Darmspiegelung. „Aus einer rüstigen alten Dame wurde eine hinfällige Frau, die den Pflegedienst benötigt“, sagt der Sohn Jürgen Skupzig (60). Die Mutter traue sich nicht mehr raus, nicht mehr zum Markt, nicht mehr zum Kaffeeklatsch. „Der Beutel löst sich ja oft einfach so“, sagt Gisela Kopatz.
Sehr seltene Komplikation
Immer wieder geht ihr der letzte November durch den Kopf. Da habe ihr der Hausarzt geraten, wegen ihrer Blutwerte eine Darmspiegelung vornehmen zu lassen. Sie habe sich das Horster St. Josef-Krankenhaus dafür ausgesucht. Alles sei glatt verlaufen. Doch bei der Kontrolluntersuchung hätten sich Probleme eingestellt. „Ich litt sofort unter extremen Bauchschmerzen“, sagt Frau Kopatz. Der Arzt habe von Luft im Bauch gesprochen und sie nach Hause geschickt.
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„Weil sie aber vor Schmerzen geschrien hat, haben wir sie wieder in die Klinik gebracht“, berichtet Jürgen Skupzig. „Später kam raus, dass bei der Darmspiegelung der Darm beschädigt wurde.“ Die Mutter habe operiert werden müssen, dann seien drei Wochen Intensivstation gefolgt. „Man unterschreibt das ja alles, auch die Gefahr von Komplikation. Aber wer glaubt denn, dass so etwas passiert?“
Der Klinik-Geschäftsführer Berthold Grunenberg sagt gegenüber dieser Zeitung: „Ja, es hat eine Perforation gegeben.“ So ein Durchbruch der Darmwand sei sehr selten. „Wir haben uns aber kulant gezeigt und die Dame dann erster Klasse behandelt.“
„Eine Perforation kommt bei der Darmspiegelung zur Krebsvorsorge nur zweimal bei 10 000 Patienten vor“, so Prof. Wolff Schmiegel, Darm-Experte der Bochumer Uniklinik Knappschaftskrankenhaus. Bei alten Menschen mit einer Darm-Erkrankung bestehe jedoch eine höhere Gefahr. Schmiegel geht aber davon aus, dass in der Klinik sehr wohl abgewogen wurde, ob eine Spiegelung notwendig war.
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Wenn sich herausstellt, dass sich bei Frau Kopatz nur das typische Risiko verwirklicht hat und der Eingriff einwandfrei durchgeführt worden ist, wird dem Krankenhaus kein Vorwurf zu machen sein. Dennoch: Jürgen Skupzig verlangt eine fünfstellige Summe als „Entschädigung und Schmerzensgeld“ von der Klinik. Er hofft auf eine außergerichtliche Einigung. Für einen Anwalt habe er kein Geld. Egal, wie die Chancen stehen: Er will kämpfen. Ob er Erfolg hat? Die Klinik könne im Moment noch nichts sagen. Der Fall liege bei der Gutachterkommission, so Grunenberg. Gisela Kopatz verzweifelt langsam, denn nun übernehme die BKK die Kosten für das Beutelwechseln nicht mehr. Die 18 Euro pro Tag wurden gestrichen, sagt Skupzig. Er habe sich bei der BKK beschwert. „Erfolglos.“
Gisela Kopatz ist erfüllt von Scham
Dietrich Hilje von der BKK: „Beutelwechseln zahlt nicht die Krankenkasse, sondern die Pflegekasse.“ Frau Kopatz hat keine Pflegestufe. Hilje fügt hinzu: „Es gibt aber viele Patienten, die ihren Beutel selbst wechseln.“ Frau Kopatz jedoch leide unter Arthrose in den Fingern, sie könne nichts mehr richtig greifen. Ihr Mann Ewald (82), ihre Kinder trauen sich das nicht zu. Frau Kopatz sagt voller Scham: „Dass man sowas von meinen Angehörigen verlangt!“
Im Sommer wohl soll der Ausgang zurückverlegt werden. Die Chance, dass dann alles wieder wie vorher ist, sei durchaus gegeben, so Experten. „Aber bis dahin pro Tag 18 Euro zu zahlen, also fast 600 Euro pro Monat, das geht doch gar nicht bei unserer kleinen Rente“, sagt die alte Dame.