Essen. Ob Düsseldorf, Gelsenkirchen oder Mülheim: Sportplatz-Lärm schürt Emotionen. Jetzt denkt die Politik erstmals an eine Lockerung der Regeln.
Heimspiel? Beim Mülheimer VfB Speldorf löst der freundliche Begriff zeitweilig unfreundliche Gefühle aus. Kämpfen seine Kicker zu Hause auf dem Platz an der Saarner Straße, gelten für die Fans strikte Regeln. Trommeln und Fanfaren sind verboten. Musik vor oder nach dem Spiel oder wenn ein Tor gefallen ist, ist tabu. Die Vorgaben der Stadt sind der Preis dafür, dass der VfB hier überhaupt antreten darf. Kommunale Ordnungskräfte wachen darüber, dass alles eingehalten wird.
Speldorf ist ein Beispiel von vielen in der Rhein-Ruhr-Region – und nicht nur dort. Bundesweit erzwingen Anwohner Einschränkungen für Sportvereine. Der Lärmschutz geht vor.
- In Gelsenkirchen. Dem TST Buer-Mitte ist – mitten im Tischtennisturnier – in der Turnhalle Pfefferackerschule der Strom abgedreht wurde. Man hatte die Sperrstunde um wenige Minuten gerissen.
- In Düsseldorf. Dem TV Grafenberg hat das Sportamt der Landeshauptstadt auferlegt, keine Mitglieder mehr aufzunehmen und die Anlagennutzung zu beschränken.
- In Oberhausen. Auf dem Fußballplatz Rechenacker dürfen nur Schulklassen Sport treiben. Vereinsport? Geht nicht.
- In Essen. Hier befassen sich bald Richter mit dem beklagten Krach in der FC Kray-Arena.
Tatsächlich stört nicht nur der Spiellärm. Nervtötend, so Anwohner, sei auch das Drumherum. Die Busse. Die verstopften Parkplätze. Der Bratwurstduft, der durch die Siedlung zieht. Das „Urinieren in Vorgärten und an Hauswänden“. Beim Städtetag hat man für beide Seiten Verständnis. Die Gesamtbelastung müsse man sehen, sagt Dezernent Klaus Hebborn. „Wird der Lärm für viele Wohngebiete nicht insgesamt größer?“
Busse, Jubel, Bratwurstduft - alles stört
Berlin, Sportausschuss im Bundestag. Er ist auch Bühne für die mächtigen Sportverbände. 6,8 Millionen Mitglieder aus 25 000 Vereinen sind im Deutschen Fußball Bund (DFB) organisiert. 20 000 Vereine und fünf Millionen Mitglieder aus verschiedenen Sportarten hat alleine der Landessportbund in NRW hinter sich. War ihr Auftritt bisher nicht mächtig genug, um sich der Politik zu erwehren?
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„Der organisierte Sport hatte bisher nicht den Eindruck, dass beim Gesetzgeber Änderungsbereitschaft besteht“, sagt Willi Hink, Direktor für Amateurfußball beim DFB. Politiker redeten zwar von der Förderung der Gemeinschaftserlebnisse. Aber der Fußballplatz werde eben „zugunsten von Individuen benachteiligt“.
Achim Haase vom Landessportbund NRW verweist auf letzte Umfragen unter den Mitgliedern: 23 Stadt- und Kreissportbünde stellen „eine gestiegene Bereitschaft zur Klage durch Anwohner“ fest, wenn es laut wird. Zehn rechnen „mit einer Verschärfung der Situation“.
Jetzt aber könnte vieles anders werden. „Wir müssen noch dicke Bretter bohren. Aber man erkennt unseren Anspruch an“, hofft Achim Haase. Denn das Bundesumweltministerium, das eine Lockerung der Regeln für den Sport in Wohngebieten bisher ablehnte, ist zur Korrektur bereit, sagt sein Staatssekretär Florian Pronold.
Grenzwert von 50 Dezibel im Tagesmittel
Wie könnte die aussehen? Der Grenzwert von 50 Dezibel selbst, der in einem Tagesmittel gemessen wird, steht nicht zur Debatte. Dafür aber der Sonntagsschutz, der die Nutzung der Außensportanlagen zwischen 13 und 15 Uhr an Sonn- und Feiertagen bisher verbietet. Das sei, schreibt der Städtetag, mit Blick auf „veränderte Sport- und Freizeitgewohnheiten“ akzeptabel. Und der Altanlagenbonus für Sportplätze, die vor 1991 gebaut sind, könnte künftig selbst dann weiter gelten, wenn aus einem Aschen- ein Kunstrasenplatz wird. Heute gilt in vielen Bundesländern, dass nach Platzumbau strengere Werte einzuhalten sind.
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Als Kern der Neuregelung zeichnet es sich aber ab, wenn „wir den Kinderlärm als Richtschnur nehmen“, wie es die Ausschussvorsitzende Dagmar Freitag (SPD) will. Seit 2011 können Anwohner in Wohngebieten nicht mehr gegen Kinderlärm klagen. Denkbar: Künftig darf auch die Vereinsjugend trainieren und spielen, ohne dass diese Lärmwerte den Vereinen als Grenzwertverletzung angekreidet werden. „Es macht logisch keinen Sinn, wenn 13-Jährige noch Lärm machen dürfen, 14-Jährige aber bei der sportlichen Betätigung nicht mehr“, sagt Freitag.
Leicht wird das nicht. Die mit dem Thema verbundenen Emotionen kann die Abgeordnete an den Internet-Kommentaren zur Lage des VfB Speldorf ablesen. Stoertebekker23 schreibt: „Da wundern wir uns, dass es überall in der Welt Krieg gibt, wenn wir es nicht einmal im kleinen nachbarschaftlichen Kreis schaffen, miteinander zu leben“. Kettwichtich hat geantwortet: „Wenn ich mir die Lärmprobleme vieler Leute anschaue, dann sollten die alle auf den Friedhof ziehen. Da ist Ruhe“.