Dinslaken. . Ein Dutzend junger Männer aus Dinslaken verfiel einem salafistischen Hassprediger. Nach ihrer Rückkehr aus Syrien fanden sie bei Volker Grans vom Kinderschutzbund Hilfe.

Eigentlich könnte Lohberg ein wirklich schöner Ort sein, ein Denkmal der Industrialisierung. Mit der alten Zeche und ihrem Fördergerüst, mit der Bergarbeiterkolonie rund um den lang gestreckten Marktplatz.

Würde der Dinslakener Stadtteil nur endlich restauriert! Stattdessen macht Lohberg Schlagzeilen ganz anderer Art, seit von dort junge Männer als Dschihad-Kämpfer nach Syrien ziehen. Seit sie im Bürgerkrieg morden, enthaupten, sich selbst in die Luft sprengen.

Lohberg, einige Tage nachdem Nils D., ein rückgekehrter mutmaßlicher IS-Kämpfer, bei einem SEK-Einsatz festgenommen wurde. Es nieselt dauer an diesem Wintermorgen, was die Arbeit der Händler auf dem Markt nicht angenehmer macht. Dabei hat es durchaus etwas Beschauliches, wie sich hier türkische und deutsche Stände abwechseln.

Doch jeder weiß, dass es diesem Stadtteil alles andere als gut geht, seit 2005 die Zeche stillgelegt wurde. Ein Drittel der knapp 6000 Einwohner hat ausländische Wurzeln, die Arbeitslosigkeit der Jugendlichen ist immens. Und nirgends kennt man deren Probleme so gut wie im Haus Nr. 5 am Marktplatz, beim Kinderschutzbund.

Job-Coaching und Eltern-Treffen als Salafismus-Prävention

Die Stimme von Projektleiter Gilbert Kuczera überschlägt sich beinahe, so schnell spricht er, um all die Hilfsangebote für Jugendliche aufzuzählen: Betriebsbesuche, Job-Speed-Dating, Eltern-Treffen, Trainings für Vorstellungsgespräche und und und.

450 Jugendliche aus Lohberg betreuten sie so im vergangenen Jahr. „Ein 24-Stunden-Job ist das“, sagt Kuczera, „die rufen an, Tag und Nacht!“ Es geht um Prävention. Es geht darum, jenen zu helfen, von denen es hier in Lohberg viele gibt. Hauptschüler, Förderschüler, Jugendliche aus ungünstigen Verhältnissen.

„Wir wollen ihnen Perspektiven bieten, damit sie nicht den Menschenfängern in die Hände fallen“, erklärt Volker Grans, der Geschäftsführer des Dinslakener Kinderschutzbundes. Und Kuczera ergänzt: „Wer selbstbewusst ist, wer einen Beruf hat und Perspektive, der fährt nicht nach Syrien!“

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Nach Syrien reisten bereits einige aus Dinslaken, um für die Terrormiliz „Islamischer Staat“ zu kämpfen. Beim NRW-Verfassungsschutz geht man von mindestens einem Dutzend aus. Philipp B., alias Abu Usama al Almani, der im August bei einem Selbstmordanschlag 20 Kurden mit in den Tod riss. Mustafa K., der für ein Video mit abgetrennten Köpfen posierte. Sie sind die prominentesten. Manche vermutet man noch dort, andere kehrten zurück.

Unten, im Erdgeschoss des Kinderschutzbüros, sitzen deutsche und türkische Frauen in großer Runde um eine Kaffeetafel. Integrationsarbeit im Alltag. Oben, aus den Fenstern im ersten Geschoss, blickt man auf jenes Gebäude, in dem alles begann. Im früheren Ledigenheim des Bergbaus traf sich bis vor zwei Jahren die „Lohberger Brigade“. Verborgen hinter dem Titel eines Bildungsvereins mieteten sie einen Raum, hier rekrutierten sie die jungen Männer. Zwei Dutzend sind es, die der Verfassungsschutz seitdem im Visier hat.

Die Szene wird weiter beobachtet

Gerüchte gab es immer wieder, dass sich dort Salafistisches täte, dass junge Männer regelmäßig am Lohberger Marktplatz in Kleinbusse stiegen, um an Veranstaltungen in Wuppertal oder Solingen teilzunehmen. Inzwischen ist vieles Gewissheit.

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Und mag auch jener Hassprediger, der sie aufwiegelte, längst abgetaucht sein, mögen die führenden Köpfe verschwunden sein, der NRW-Verfassungsschutz geht davon aus, dass es in Dinslaken immer noch Salafisten gibt. „Die Szene wird vom Verfassungsschutz weiter beobachtet“, sagt Jörg Rademacher, Sprecher des Innenministeriums.

Vier, die in Syrien waren, kehrten zurück. Im Sommer 2013 war das. Schon nach vier, fünf Wochen waren sie wieder in Lohberg, meldeten sich beim Kinderschutzbund. „Sie sagten, sie hätten helfen wollen, nicht Krieg spielen!“, erklärt Volker Grans.

Der Verfassungsschutz stufte sie tatsächlich nicht als gefährlich ein. Und so fragte man in Lohberg nicht groß, sondern half ihnen. Die vier seien wieder in Arbeit, einer werde gerade Vater. „Die stehen wieder im Leben“, sagt Grans.

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Man glaubte tatsächlich in Lohberg vieles überwunden, hinter sich gelassen zu haben. Doch dann kam es am Samstag zur Festnahme von Nils D., dem Cousin des mutmaßlichen Selbstmordattentäters Philipp B.. Auch er ist ein Rückkehrer, aber eben einer, den die Bundesanwaltschaft für gefährlich hält.

Nun ist Dinslaken wieder zurück im öffentlichen Bewusstsein. „Das ist eine sehr große Belastung“, sagt Bürgermeister Michael Heidinger, „aber wir hoffen, dass sich die Dinge positiv entwickeln.“ Er sehe Auflösungstendenzen bei der Szene. Den schrecklichen Bildern in den Medien will man jetzt bewusst positive entgegensetzen. So etwa am Montag, wenn Christen und Muslime gemeinsam gegen Fremdenfeindlichkeit und religiösen Fanatismus auf die Straße gehen: „Es reicht!“