Essen. Nichts bleibt für immer. Aber wir wagen die Prognose, dass es im Revier ein paar Konstanten gibt, die auch in 75 Jahren noch da sein werden.

Ja, gibt’s denn überhaupt noch was, worauf man sich verlassen kann? In unseren Köpfen ist zwar ein Ruhrgebiet ohne Kohle denkbar, ohne Kohlenbergbau aber nicht. Nicht ohne Opel. Nicht ohne Taubenvätter. Manches, was uns als ewig erscheint, das gab’s noch gar nicht, als vor 75 Jahren die erste WAZ erschien – zum Beispiel die A 40. Wir wagen dennoch die Prognose, dass es ein paar feste Größen im Revier gibt, auf die man sich stützen kann. Und die auch in 75 Jahren noch bestehen. Schauen Sie selbst…

Die Rivalität von BVB und Schalke

Fußball und das Revier,das gehört einfach zusammen
Fußball und das Revier,das gehört einfach zusammen © Jürgen Fromme/firosportphoto | Jürgen Fromme

Es gibt doch nichts Ergötzlicheres, als eine gut gepflegte Feindschaft. Und diese währt sogar noch ein kleines bisschen länger als 75 Jahre. Es war kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, das Endspiel um die Westfalenmeisterschaft 1947 – und Schalke 04, als absoluter Favorit im Revierfußball und natürlich auch in dieser Partie, verlor durch ein spätes Tor des BVB 3:2. Unfassbar, erschütternd, unbegreiflich, die Schalke-Spieler waren so am Boden zerstört, dass sie der Siegerehrung fernblieben. Es war der Beginn einer wunderbaren Feindschaft. Die auch heute mit mannfaltigen Schmähgesängen und den Städte-Kosenamen „Lüdenscheid-Nord“ und „Herne-West“ gepflegt wird. Mancher einer munkelt, dass die Abneigung der Fans beider Revier-Größen nicht immer ganz so konsequent zelebriert wird, wie sie besungen wird. Aber eines ist klar: Beide Vereine steuern alterstechnisch locker auf die 120 zu – in so einem gesegneten Alter verändert man sich nicht mehr allzu sehr. Da darf man vermuten, dass sich auch in 75 Jahren Königsblau und Borussengelb noch nicht grün sind.

Stau auf der A 40

Bald wird sie, zumindest in Duisburg, achtspurig sein – aber egal wie großspurig die Verkehrsplaner noch denken, keiner glaubt wirklich daran, dass die A 40 jemals staufrei sein wird. Ganze Generationen haben wertvolle Lebensjahre im Berufsverkehr irgendwo zwischen Moers und Dortmund verplempert. Und wenn in 75 Jahren die Autos fliegen lernen, dann staut’s sich eben eine Etage höher.

Zollverein

Quasi der Eifelturm vom Revier: Fördergerüst mit Doppelbock auf Zollverein.
Quasi der Eifelturm vom Revier: Fördergerüst mit Doppelbock auf Zollverein. © FUNKE Foto Services | Fotograf Kerstin Kokoska

Was Paris der Eiffelturm, das ist Essen sein… na klar, Zollverein. Was soll man da groß sagen: 135 Jahre lang wurde hier Kohle gefördert, 2001 wurde es zum Weltkulturerbe – und ist seitdem das Aushängeschild einer ganzen Region. Wir sagen für die nächsten 75 Jahre: Solange das Ruhrgebiet nicht untergeht, bleibt Zollverein bestehen.

Die gute, alte Emscher

Selten kann man ohne Widerspruch sagen: Das stinkt zum Himmel! Aber auf die alte Emscher traf’s halt zu, viel länger als nur 75 Jahre. Der Mief hängt bei vielen noch so tief in den Nasen, dass man sich kaum traut, sich die Neue vorzustellen: die grüne, die geruchsfreie Emscher. Seit 2022 ist sie abwasserfrei – und damit das Generationenprojekt an einem wichtigen Ziel angelangt. Nicht mehr lang, dann wird man entdecken, dass es sich lohnt, am Emscherufer Urlaub zu machen. Wie wird die Emscher also in 75 Jahren für uns sein? Na, wahrscheinlich dufte!

Pils

Ein leckeres Pils gefällig? Die Bierkultur im Revier ist alles andere als bedroht.
Ein leckeres Pils gefällig? Die Bierkultur im Revier ist alles andere als bedroht. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Zuletzt machte eine Nachricht die Runde: Ein halber Liter Bier könnte bald 7,50 Euro kosten. Doch mehr als 100 Brauereien in NRW wissen das – und nicht wenige von ihnen liegen um die Ruhr herum. In den 1970er-Jahren wurden in Dortmund jährlich 7,5 Millionen Hektoliter Bier gebraut, mehr als in den Phoenixsee passt – übrigens eine herrliche Vorstellung. Die Braumengen sind heute zwar geringer, der Durst an der Ruhr wird aber nie versiegen. Dazu sagen wir: Prost!

Currywurst

Egal wer sie erfunden hat, Berliner, Hamburger oder die Menschen von der Ruhr: Die Currywurst gehört zu den kulinarischen Fundamenten des Reviers. Dabei feiert sie auch erst im kommenden Jahr ihren 75. Geburtstag, zumindest ist sie ab 1949 zum Lieblingsimbiss vieler Menschen im Revier geworden, trotz Döner und Pizza. Schon allein, weil man trefflich streiten kann, wo es ist leckerste Wurst gibt, wo die pikanteste Soße und wo die Symbiose von beidem mit einem schnöden Curry-Paprikapulver-Gemisch am besten gelungen ist, werden die Menschen sie auch noch in Jahrzehnten heiß begehren.

Die Trinkhalle

Hier ne Bude, da ne Bude, und es gibt fast nichts, was es an der Trinkhalle nicht gibt. Damit war das Ruhrgebiet dank der Bergleute-Versorgung der 24/7-Mentalität um mehr als 100 Jahre voraus. Trotz Konkurrenz durch Tankstellen: Trutzige Nahversorger mit kaltem Pils im Kühlschrank und ner bunten Tüte wird’s weiter geben.

Der Gasometer

Was für eine Alterskarriere: Gut 60 Jahre stand er als gigantische Blechdose kaum beachtet am Rhein-Herne-Kanal, mit wenig mehr gefüllt als Gas. Als man ihn dann 1988 nicht mehr gebrauchen konnte, fing’s eigentlich erst an, er wurde umgewidmet zu Europas höchster Ausstellungshalle (117,5 Meter), in der man mal eben gigantische Modelle vom Riesenmammutbaum, einem Berggipfel oder vom Mond verbauen konnte. Wenn die Menschen in den nächsten Jahren nicht das Staunen oder die Ehrfurcht vor den Wundern der Natur verlieren, wird der Gasometer in 75 Jahren wohl als „Louvre von Oberhausen“ in den Geschichtsbüchern stehen.

Die Sprache vom Revier

„Also ääährlich!“, „Boh, glaubse!“ und „Guten Tach! Auf Wiedersehen!“: Wer an den Ufern der Ruhr geboren wurde, kann diese drei Eröffnungssätze ratzfatz ihren Urhebern zuordnen. Doch ob’s nun Adolf Tegtmeier, Herbert Knebel oder Helge Schneider ist, so richtig eine Reviersprache spricht keiner von denen, weil’s ja keinen reinen Dialekt gibt, auch nicht vor 75 Jahren – und in Baukau spricht man anders als in Borbeck. Et is halt wie im richt’gen Leben: Der eine weiß, was ein Mottek ist, dem anderen ist er auf’n dicken Zeh geplumpst. Hauptsache man weiß, wo der Hammer hängt. Oder im Tegtmeierschen Sinne: Bleibense Mensch!

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Dieser Beitrag erscheint anlässlich des 75. Geburtstages der WAZ. Alle Artikel zum Jubiläum finden Sie unter waz.de/75jahrewaz. Unsere große Jubiläumsausgabe können Sie auch online durchblättern als digitales „Flipbook“: waz.de/jubilaeum.