Aus den Niederlanden. Obwohl er bisher alle Skandale überstanden hatte, wirft der niederländische Premier Rutte nun das Handtuch. Ein Porträt des „Teflon“-Mark.

Das Lachen vergeht dem niederländischen Premier Mark Rutte nicht so schnell. Kabinettskrisen, Misstrauensvotum oder eine enttäuschende Wahl: Für den Rechtsliberalen sind das eigentlich alles nur Herausforderungen. Munter lachend, in einen Apfel beißend, so kennt man in den Niederlanden den 56-jährigen „Mark“, wie sich der Regierungschef auch mal ganz locker vorstellt.

Er sitzt auf dem Fahrrad und fährt ins Büro, ins „torentje“ - das Türmchen, wie sein Amtssitz in Den Haag heißt. Auch nach dem Bruch der Regierung vergangene Woche im Nachbarland sah es zunächst so aus, als ob der Rechtsliberale an seinem bewährten Rezept festhält.

Bis er seine überraschende Entscheidung traf, die Freund und Feind in Den Haag kalt erwischte. Seit knapp 13 Jahren ist Rutte Premier der Niederlande und damit einer der dienstältesten Regierungschefs der EU. Über die Jahre im Amt häuften sich die Affären an, zuletzt galt er längst nicht mehr als unangefochten.

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So wurde ihm etwa vor allem von Anhängern seiner Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD) vorgeworfen, den stramm rechten Kurs seiner Partei verlassen zu haben. Vor allem bei der Klima- und Asylpolitik sei er eingeknickt, wirft ihm auch sein großer Widersacher, der Rechtspopulist Geert Wilders, vor. Auch aus dem linken Spektrum kam beständig Kritik.

Viele Niederländerinnen und Niederländer sahen Rutte lange als guten Krisenmanager, einen, der den Laden zusammenhält. „Er betrachtet sich als Problemlöser, als Manager“, sagt seine Biografin Sheila Sitalsing. Die renommierte Kolumnistin beschreibt ihn als „Filialmanager eines Warenhauses“, den „Manager der Firma Niederlande“. Ein Bild, was zu den ökonomisch erfolgreichen Niederlanden nur allzu gut passen mag. Rutte weiß, wie er sich und seine Politik verkauft – meist mit einem Lächeln, aber auch mit Ernsthaftigkeit.

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Das galt vor allem in großen nationalen Bewährungsproben, etwa dem Abschuss von Passagierflug MH17 über der Ostukraine 2014 mit fast 200 niederländischen Todesopfern. Auch während der Corona-Krise machte er nach Ansicht vieler Landsleute seine Sache gut. Doch da waren auch andere Krisen: So wurden Tausende Eltern fälschlicherweise des Betrugs mit Kinderbeihilfen beschuldigt, sie mussten Tausende Euro bezahlen und wurden ins bittere Elend gestürzt. Alles andere als ein Grund zum Lächeln.

Niederlande umgebaut zur „Partizipations-Gesellschaft“

Der Skandal führte im Januar 2021 zum Rücktritt seines Kabinetts, das bis zu den Parlamentswahlen 2021 geschäftsführend tätig blieb. Kurz darauf wurde Mark Rutte wiedergewählt, überstand auch diese Affäre wie so viele Krisen zuvor praktisch ohne Kratzer. Nichts schien am dauerlächelnden „Teflon-Mark“ – wie er gerne genannt wurde – haften zu bleiben.

Das bescherte ihm Bewunderung und scharfe Kritik. Unter Ruttes Leitung wurde der soziale Versorgungsstaat radikal umgebaut zur „Partizipations-Gesellschaft“. Bei ihm hieß es: „Der Staat ist keine Glücksmaschine“; jeder sei für sich selbst verantwortlich.

Mark Rutte: Pragmatismus bis zum Schluss

So wenig Staat wie möglich war auch sein Ideal für Europa. Falls man überhaupt von Idealen sprechen kann – denn damit hatte er es nicht so: „Wer Visionen hat, muss zum Augenarzt gehen“, sagt der Holländer gerne. Die europäische Zusammenarbeit war für Rutte ein notwendiges Übel, die vor allem dem Handel und damit dem Wohlstand des Landes dienen soll. Ansonsten gilt die Devise: „Europa soll nur das tun, was die Mitgliedstaaten alleine nicht tun können.“ Gerade wenn es ums Geld geht, trat Rutte gerne auf die Bremse. „Mr. No“ nennen sie ihn in Brüssel.

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Zuletzt hatte er gerade im Ukraine-Krieg gepunktet, als ein Fürsprecher der Ukraine in der EU und der Nato. Rutte setzte sich stark für Waffenlieferungen an die Ukraine ein - auch Kampfflugzeuge. Und er zog gemeinsam mit seiner italienischen Amtskollegin Giorgia Meloni an einem Strang für eine strengere Asylpolitik der EU. Über die Frage, wie die Niederlande mit Familiennachzug von Geflüchteten umgehen soll, ist der Taktiker aber schließlich gestolpert.

Premier für hohe Spitzenämter gehandelt

Ruttes Qualitäten, sein Charme und sein Pragmatismus sind auch international anerkannt. Sie waren in der total zersplitterten politischen Landschaft Hollands ein sicheres Erfolgsrezept, das aber schon seit längerem nicht mehr so überzeugte. Rutte konnte eben mit nahezu jedem. Mit links, mit rechts. Bis jetzt.

Nun hat der gewandte Politiker kurz vor einem Misstrauensvotum im Parlament am Montag den Schlussstrich gezogen. Er tritt bei einer Neuwahl nicht mehr an und verlässt die Politik, sobald die künftige Regierung steht, kündigte er überraschend an. Aber lockt ihn nicht ein internationales Spitzenamt in der EU oder in der Nato, für das er schon gehandelt wurde? „Nein, nein, nein, ich verlasse die Politik wirklich“, sagte Rutte. (dpa/mh)