Amsterdam. Unsere Kolleginnen Michelle und Tatjana berichten im Rahmen eines Journalismus-Programms von verblüffenden und berührenden Erfahrungen in Holland.

„Hoe gaat het vandaag met u?“ Haben Sie das nicht verstanden? Keine Sorge, so ging es uns vor ein paar Tagen auch noch. Wir – das sind Tatjana Tempel (33) und Michelle Kox (26) – haben binnen zehn Tagen in einem Sprach-Bootcamp gelernt, dass Niederländisch mehr ist als nur „kaas“, „lekker“ und „gezellig“.

Nu zijn we er klaar voor – wir sind bereit, um in den kommenden zwei Monaten an einem journalistischen Austauschprogramm in Amsterdam teilzunehmen. Jetzt sind wir gespannt, was wir bei unseren Nachbarn erleben. Nicht nur, was Sprache und Kultur, sondern auch, was die Arbeit bei einer Zeitung im Ausland angeht.

Woche für Woche werden wir Sie in dieser Kolumne auf unserer Reise ein Stück mitnehmen und von allem berichten, das uns in den Niederlanden überrascht, begeistert, berührt und vielleicht auch ein wenig verblüfft:

Tatjana sagt "danke" und "doei":

Beste lezer,

Amsterdam gilt als Fahrradhauptstadt. Schätzungen zufolge gibt es hier mehr Fahrräder als Einwohner. Denn viele Niederländer besitzen nicht nur ein Rad, sondern mindestens zwei. Hinzu kommen die zahlreichen Touristen, die mit einem Fiets die Umgebung erkunden. Damit das Fahrradchaos im Stadtbild nicht überhandnimmt, werden alte Fahrräder von der Gemeinde regelmäßig aus den Grachten gefischt und alte Schrotträder eingesammelt.

Das geht seit ein paar Jahren sogar soweit, dass Politessen umherlaufen und Kreide auf die Reifen malen. Ist der Kreidestreifen nach sechs Wochen noch da, geht die Stadt davon aus, dass das Rad nicht mehr bewegt und gebraucht wird. Dann kommt für eine Woche ein Knöllchen ans Rad. Reagiert der Besitzer oder die Besitzerin immer noch nicht, werden selbst abgeschlossene Räder vom Ordnungsamt losgeschnitten und in ein Depot gebracht.

Wie die niederländische Zeitung Het Parool schreibt, werden unter anderem auf diese Weise jährlich fast 40.000 Räder eingesackt, aber nur drei Prozent werden wieder abgeholt. Vielen Amsterdamern sei gar nicht klar, dass die Stadt diese einsammelt, viele gingen automatisch von einem Diebstahl aus, berichtet mein Nachbar. Daher hat er sich der „sozialen Arbeit“ verpflichtet, wie er sagt: Mit einem Lappen geht er durch die Straße und wischt immer wieder von allen Reifen die Kreide ab. Schließlich wisse er von Nachbarn, die auch mal für längere Zeit im Ausland seien oder von älteren Menschen, die ihr Rad nicht mehr so oft bewegen.

Auch wenn das nur eine kleine Geste der Hilfsbereitschaft ist, hat sie mich doch gerührt. Und sie passt zu dem Bild der Niederländer, das ich in den letzten zwei Monaten gewonnen habe. Ob von Nachbarn, die mich auf ein Glas Wein eingeladen haben über Interviewpartner, die mir Mittagessen aufgetischt haben bis hin zu Kollegen und Kolleginnen, die mir zum Abschied einen Kuchen organisiert haben: Die Menschen sind mir immer sehr offen, hilfsbereit und herzlich begegnet. Für diese Erfahrung bin ich sehr dankbar und auch für die wertvollen Bekanntschaften und Freundschaften, die ich hier geschlossen habe.

In diesem Sinne: danke und "doei", Amsterdam!

Tatjana Tempel

Michelle besucht eine „niederländische Kirche“

Beste Lezer,

als überzeugte Kirchen-Austreterin habe ich das Haus Gottes schon lange nicht mehr betreten. In den Niederlanden bin ich jedoch wieder auf den Geschmack gekommen. Meine katholische Oma wird sicher stolz auf mich sein, wenn ich ihr erzähle, dass ich hin und wieder in der Kirche war – „also doch ein frommes Kind“.

Vielleicht lasse ich den Teil der Geschichte lieber weg, in dem ich Bier trinke oder zu Reggae-Musik die Hüften schwinge. Sie haben richtig gelesen: Von „Vater unser“, Gabenbereitung und Weihwasser fehlt in etwa jeder fünften Kirche in den Niederlanden mittlerweile jede Spur. Orgel, Empore und Beiglasfenster erinnern zwar noch an ein Gotteshaus, aber sakral werden viele davon schon seit den 70er-Jahren nicht mehr genutzt.

Das Café Oliver ist in der früheren Kirche Maria Minor im Zentrum von Utrecht beheimatet.
Das Café Oliver ist in der früheren Kirche Maria Minor im Zentrum von Utrecht beheimatet. © FUNKE Foto Services | Marcel Sroka

In der ehemaligen Jacobskirche in Haarlem ist heute etwa die Jopen Brauerei untergebracht. Der Altar wurde durch große Metall-Fässer ersetzt, aus denen Craft-Bier gezapft wird. Partys statt Gottesdienste werden heute im „Paradisco“ zelebriert, einer ehemaligen Kirche am Amsterdamer Leidseplein. Wer auf der Empore steht, hat den besten Blick auf das DJ-Pult.

Auch das Kreuzherrenkloster in Maastricht wurde samt seiner gotischen Kirche zu einem Design-Hotel umgebaut und in der ehemaligen Dominikanerkirche befindet sich heute eine Buchhandlung. In Utrecht wurde die Martinskirche zu einem Wohnhaus mit 36 Appartements umfunktioniert und im Gebäude der St. Bernardus Pfarrkirche kann man nun in einem belgischen Feinkostcafé Muscheln essen.

Bei den verbleibenden Kirchgängern sorgt das natürlich nicht immer für Begeisterung. Aber wer über Bier statt Messwein die Nase rümpft, muss sich der Alternative bewusst sein: Abriss. Denn da es bei unseren Nachbarn keine Kirchensteuer gibt, müssen die Gebäude durch Spenden der Gemeinde finanziert werden, und diese nehmen – Überraschung – stetig ab. Also passt sich das Angebot der Nachfrage an. Ich find’s gut.

De groeten en tot ziens

Michelle Kox

Tatjana über die niederländische Essenskultur

Beste Lezer,

wenn ich ins Ausland fahre, freue ich mich immer auf das Essen. In den Niederlanden landen Hagelslag, Stroopwafel und Vla in meinem Einkaufswagen. Lekker! Denke ich an die Essenskultur in unserem Nachbarland, kommen mir auch Pommes, Frikandel oder Bitterballen in den Sinn – es wirkt, als kommt hier alles in die Fritteuse.

Doch das allein wird der niederländischen Küche nicht gerecht, auch die Kolonialzeit hat sie geprägt. In Amsterdam gibt es viele Restaurants mit asiatischem, afrikanischem oder karibischem Einfluss. Und in Imbissen kann man sich neben einer Kroket auch einen Bami- oder Nasiballen „uit de muur“ (dt. „aus der Wand‘‘) holen. In den Supermärkten gibt es ein großes Angebot asiatischer Zutaten und die Erdnuss ist in Form von Saté-Saucen oder als Brotaufstrich Pindakaas (dt. Erdnussbutter) nicht mehr wegzudenken.

Typisch für die Niederlande: Frikandel spezial mit einer Portion Pommes.
Typisch für die Niederlande: Frikandel spezial mit einer Portion Pommes. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Eine besondere Empfehlung ist die Rijstafel: Bei dem ursprünglichen Festmahl aus Indonesien werden verschiedene Schüsseln mit Fleisch, Fisch, Gemüse und Salaten serviert, die man sich mit dem ganzen Tisch teilt. Bis vor kurzem hatte ich von Surinam noch nichts gehört: Der kleine Staat in Südamerika erhielt 1975 die Unabhängigkeit, tausende Surinamer kamen daraufhin in die Niederlande. Seitdem gibt es besonders in Amsterdam viele Imbisse, die Snacks mit Huhn und Reis in jeglicher Variation anbieten.

Ansonsten sind viele Gerichte mit denen in Deutschland vergleichbar. Fleisch, Kartoffeln und Gemüse (sogar Grünkohl und Sauerkraut) sind Bestandteile der gutbürgerlichen Küche. Womit ich aber nicht gerechnet hatte: In den Niederlanden gibt es kein richtiges Mittagessen, man isst nur ein Kaasbroodje. In der Kantine muss ich noch immer darüber schmunzeln, dass sich vor der Butter immer eine Schlange bildet, weil alle darauf warten, sich ihr wabbeliges Brot schmieren zu können.

Dazu wird gern ein Glas Karnemelk (Buttermilch) getrunken. Und das alles wird zeitig verzehrt. Denn ein ungeschriebenes Gesetz besagt: Egal, wann man mit der Arbeit angefangen hat, „gelunched“‘ wird um 12 Uhr. Schließlich steht um 18 Uhr schon wieder das warme Abendessen auf dem Tisch. Da muss ich ehrlich sagen: Daran kann ich mich noch nicht gewöhnen.

De groeten en tot ziens

Tatjana Tempel

Michelle erkundet das Anne-Frank-Haus:

Beste Lezer,

Millionen Menschen besuchen in Amsterdam jährlich das Anne-Frank-Haus. Am vergangenen Samstag war ich eine von ihnen. Das Ticket musste ich zwei Wochen im Voraus online bestellen, denn obwohl das Museum bereits seit über 60 Jahren besteht, ist es an den meisten Wochenenden im Jahr ausgebucht.

Menschen reisen aus aller Welt in die Niederlande, um den Millionen Opfer der Judenverfolgung durch die Nationalsozialisten zu gedenken. Sie tummeln sich vor dem unscheinbaren Gebäude, um Fotos zu schießen, durchlaufen kopfschüttelnd die kühlen Räume und verlassen das Museum mit großer Betroffenheit.

Das Haus ist ein Ort der Lehre, der deutlich zeigt, wohin Vorurteile, Rassismus und Antisemitismus in ihren schrecklichsten Formen führen können. In Amsterdam leben heute noch etwa 15.000 Juden. Die aktuelle Situation in Israel und Gaza weckt schlimme Erinnerungen bei ihnen, während die antisemitistischen Vorfälle in der Stadt zunehmen.

Das Anne-Frank-Haus in Amsterdam ist weltberühmt.
Das Anne-Frank-Haus in Amsterdam ist weltberühmt. © dpa | Evert Elzinga

Wie die Amsterdamer Lokalzeitung „Het Parool“ berichtet, werden Juden auf der Straße seither vermehrt beschimpft und bedroht. Mindesten sechs jüdische Kinder mussten laut der Zentrale Jüdischer Konsultation wegen Mobbing die Schule wechseln. Und seit die Hamas dazu aufriefen, weltweit zur Unterstützung der Palästinenser zu protestieren, sind die drei jüdischen Schulen in Amsterdam vorsichtshalber geschlossen.

Im Anne-Frank-Haus hängt an einer Stelle ein riesiges Portrait der 14-Jährigen. Darunter steht ein Zitat: „Einmal wird dieser schreckliche Krieg doch aufhören, einmal werden wir auch wieder Menschen und nicht allein Juden sein.“

Wie gerne hätte ich geantwortet: „Es ist vorbei. Dein Tagebuch und dieser Ort haben dazu beigetragen, dass der Antisemitismus der Vergangenheit angehört.“ Stattdessen kamen mir die Tränen, weil ich daran denken musste, dass Anne Frank, wenn sie heute noch unter uns wäre, wieder in einer Welt leben würde, in der sie sich fürchten müsste, weil sie Jüdin ist.

De groeten en tot ziens

Michelle Kox

Tatjana berichtet über die Müllsituation in Amsterdam

Beste Lezer,

dass ich in dieser Kolumne auch über das Thema Müll schreibe, würde meinen Vermieter nicht wundern. „Ihr Deutschen und der Abfall, das ist immer eure erste Frage!”, lachte er, als ich wissen wollte, wohin ich meinen Müllbeutel bringen soll. „Einfach vor der Tür abstellen – aber gerne auch ein paar Häuser weiter”, sagte er mit einem Augenzwinkern. In der Amsterdamer Innenstadt sind die Straßen teils so eng, dass es nicht genügend Platz für Mülltonnen gibt.

Mit Müllbeuteln gesäumte Fußgängerwege, das sieht nicht nur unschön aus und riecht unangenehm, es führt auch seit der Einführung des Dosenpfands zu chaotischen Szenen: Regelmäßig reißen Pfandsammler- und sammlerinnen die Müllsäcke auf, der Inhalt fliegt wild verteilt auf der Straße umher. Für Möwen und Tauben ein gefundenes Festmahl. Selbst einen Kranich habe ich eines Morgens mit einer Burgerverpackung im Schnabel gesehen.

Aufgerissene Müllsäcke liegen auf einem Fußgängerweg im Zentrum von Amsterdam auf dem Boden.
Aufgerissene Müllsäcke liegen auf einem Fußgängerweg im Zentrum von Amsterdam auf dem Boden. © FFS | Tatjana Tempel

In Deutschland sind wir Meister der Mülltrennung, in den Niederlanden ist das etwas anders: Hier entscheiden die Gemeinden selbst darüber, wie sie es mit dem Müll handhaben. In meinem Viertel in Amsterdam kann ich zum Beispiel Glas und Papier trennen, Plastik und Restmüll aber nicht. Sie werden nachträglich in einer Verwertungsanlage separiert. Welcher Weg nun besser ist, dazu gibt es unterschiedliche Meinungen, aber mein erlerntes Recycling-Verhalten führt doch dazu, dass ich jedes Mal zögere, wenn ich die Käsepackung zur Bananenschale werfe.

Noch seltsamer finde ich es, dass es in der Redaktion keine Tassen oder Gläser, sondern Pappbecher gibt. Besonders an Tagen, an denen ich mir zwei Becher nahm (einen für Kaffee, einen für Wasser), meldete sich mein schlechtes Gewissen. Als von meinem Vermieter ernannte Müllexpertin habe ich aber inzwischen einen Ausweg aus der Misere gefunden: Ich nehme jetzt einen To-Go-Becher mit ins Büro. Eine Kollegin sprach mich darauf an und erzählte mir, dass das auch auf sie zukommt. Ab 2024 werden Pappbecher aus der Redaktion wegen eines neuen Gesetzes verbannt. An dieser Stelle waren wir uns einig: We vinden het goed!

De groeten en tot ziens

Tatjana Tempel

Michelle wundert sich: „English only?!”

Beste Lezer,

Nach gerade mal zwei Wochen Niederländisch-Unterricht bin ich weit davon entfernt, die Sprache fließend zu sprechen. Doch nur Übung macht den Meister und deshalb habe ich mir fest vorgenommen, so viel wie möglich auf Niederländisch zu kommunizieren.

Auf Sprachbarrieren hatte ich mich natürlich eingestellt, doch die trafen mich bei meinem ersten Cafébesuch in Amsterdam völlig anders als erwartet. Als ich voller Stolz über meinen neugewonnenen Wortschatz einen „kopje koffie met een scheutje havermelk“ bestellte (zu Deutsch: eine Tasse Kaffee mit einem Schuss Hafermilch), sah mich der Kellner nur fragend an.

Sofort kamen Zweifel in mir auf. Den Satz hatte ich doch unzählige Male geübt. War meine Aussprache zu schlecht? Dann bekam der Kellner endlich den Mund auf. „Sorry, we only speak english here“, sagte er, (also: Sorry, wir sprechen hier nur Englisch).

Offenbar ist es in Amsterdam nicht unbedingt von Nöten, die niederländische Sprache zu beherrschen – es sei denn, man schreibt für eine Zeitung. Auch auf den Straßen, beim Yoga, im Supermarkt oder im Park dominiert scheinbar Englisch.

Amsterdam ist international. Hier kommt man mit Englisch statt Niederländisch sehr weit.
Amsterdam ist international. Hier kommt man mit Englisch statt Niederländisch sehr weit. © AFP | Ramon Van Flymen

Mehr als 180 Nationalitäten leben hier in einer Stadt zusammen. Ich erwische mich selbst dabei, wie ich mich in den multikulturellen Kreisen deutlich wohler fühle als in der Redaktion, wo jeder um mich herum eine Sprache spricht, die ich nur eingeschränkt beherrsche. Es ist frustrierend, sich nicht so ausdrücken zu können, wie man möchte. Es fühlt sich an, als würde man einen Teil seiner Identität zu Hause lassen.

Gleichzeitig muss ich daran denken, dass es in Deutschland oft als „gescheiterte Integration“ bezeichnet wird, wenn Menschen mit Migrationshintergrund auch nach Jahren noch kein Deutsch sprechen und sich nur in ihren gewohnten Kreisen aufhalten. Ich kann sie nun ein bisschen besser verstehen.

Aber dennoch:

De groeten en tot ziens

Michelle Kox

Tatjana fragt: Gendern in den Niederlanden?

Beste Lezer,

und „Lezerinnen“ hätte ich gerne an dieser Stelle geschrieben. Allerdings gibt es im Niederländischen für viele Wörter keine weibliche Form und erst recht keine Doppelpunkt-Varianten – und damit auch keine „Lezerinnen“.

Dass Gendern hier im Nachbarland kein Thema ist, merkte ich schnell, als ich mich zu Beginn einem niederländischen Kollegen als „redactrice“ vorstellte. Er schaute mich etwas irritiert an und fragte: „Een redacteur?“ Ich nickte zögernd. Mich als „Redakteur“ vorzustellen, das fühlt sich für mich immer noch komisch an.

Redakteurin Tatjana Tempel arbeitet aktuell in den Niederlanden.
Redakteurin Tatjana Tempel arbeitet aktuell in den Niederlanden. © Services

Dabei ist „redactrice“ eines der wenigen Wörter, für die es sogar eine weibliche Form gibt, die aber anscheinend kaum bekannt ist. Im Gespräch fiel mir auf, dass der Kollege aber dann von einem „vrouwelijke arts“ sprach – einem weiblichen Arzt. Ich war verwirrt.

„Natürlich wollen wir manchmal den Unterschied betonen, ansonsten nehmen wir das nicht so genau. Mit der männlichen Form sind allemitgemeint“, klärte er mich auf. Das Argument kenne ich aus der Gender-Diskussion in Deutschland und frage zurück: „Wenn du dir einen Redakteur vorstellst, was kommt dir in den Sinn?“.

Er merkte, worauf ich hinaus wollte: „Ich stelle mir einen Mann vor.“ „Genau, das passiert oft, wenn wir das generische Maskulinum verwenden“, antwortete ich und erzählte ihm von einer Studie der Social Psychology, die gezeigt hat, dass geschlechtergerechte Sprache auch die Berufswahl von Kindern beeinflussen kann: Spricht man von „Piloten und Pilotinnen“, trauen sich Mädchen eher zu, diese typischmännlichen Berufe zu ergreifen.

„Ich glaube, da seid ihr im Deutschen etwas weiter als wir. Vielleicht können wir uns von euch in der Hinsicht etwas abschauen“, sagte der Kollege zum Abschluss.

In diesem Sinne:

De groeten en tot ziens von Ihrem „vrouwelijke Redakteur”

Tatjana Tempel

Michelle unterwegs: Verloren im Fahrraddschungel

Beste Lezer,

auf das „Fietsen“ (dt. Fahrradfahren) in Amsterdam habe ich mich schon lange gefreut. Morgensport gehört sonst nicht zu meinen Lieblingsritualen, doch der Gedanke daran, täglich mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren, weckt Schulzeitgefühle in mir. Keine Zugverspätungen oder Stau auf der A 40, keine Kosten für Benzin oder Bahntickets. Dafür Bewegung an der frischen Luft mit Blick auf die Amsterdamer Grachten.

Michelle Kox freut sich die kommenden Wochen in der niederländischen Hauptstadt.
Michelle Kox freut sich die kommenden Wochen in der niederländischen Hauptstadt. © Clara Krödel

Eine romantische Vorstellung, über die meine Vermieterin nur lachen konnte. „Plane unbedingt Stauzeit ein und lass dich nicht von den Rasern irritieren“, sagte sie am Abend vor meinem ersten Arbeitstag. „Stau und Raser?“, dachte ich. „Ich will hier doch kein Auto fahren!“

Am nächsten Morgen sollte ich erfahren, was sie meinte. Meine erste Tour durch den Amsterdamer Fahrraddschungel war eine hektische Angelegenheit. Auch wenn das Fahrradstreckennetz in kaum einer anderen Stadt so gut ausgebaut ist, droht die Gefahr an jeder Ecke – und zwar wegen der Fahrradfahrenden selbst. In einem Affenzahn brausen sie rechts und links an einem vorbei.

An fast jeder Kreuzung ist eine Vollbremsung nötig, denn eine grüne Ampel bedeutet noch lange nicht, dass man freie Fahrt hat. Auch sollte man seine Route gut kennen, denn spontanes Abbiegen wird trotz Handzeichens mit lautem Protestklingeln bestraft. So fuhr ich mehrmals wissentlich in die völlig falsche Richtung und brauchte statt 20 Minuten stolze 35. Dankende Grüße gehen raus an meine Vermieterin. Den Zeitpuffer-Tipp konnte ich gut gebrauchen.

De groeten en tot ziens

Michelle Kox