Köln. Die Veröffentlichung des Missbrauchs-Gutachtens zieht weitere personelle Konsequenzen nach sich: Woelki hat den Weihbischof Puff beurlaubt.
Wie das Erzbistum am Freitag mitteilte, bat der Kölner Weihbischof Ansgar Puff den Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki um seine vorläufige Beurlaubung. Woelki entsprach dieser Bitte und stellte Puff vorläufig von dessen Aufgaben frei.
Bei Puff handelt es sich nach Angaben des Erzbistums um den ehemaliger Leiter der Hauptabteilung Seelsorge Personal, dem in dem am Donnerstag vorgestellten Gutachten ein Verstoß gegen die Aufklärungspflicht in einem Fall zur Last gelegt worden war. Laut Erzbistum bat Puff den Kölner Erzbischof Woelki, ihn vorläufig bis zur Klärung der Umstände zu beurlauben. Damit solle eine sachgerechte Bewertung der im Gutachten benannten Pflichtverletzung ermöglicht werden.
Missbrauchs-Gutachten hat 243 Beschuldigte ermittelt
386 Missbrauchsopfer, davon 173 jünger als 14 Jahre, 243 Beschuldigte in 236 Aktenvorgängen haben die vom Erzbistum Köln beauftragten Strafrechtsanwälte feststellen können. 800 Seiten schwer wiegt das Gutachten über die Fälle sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen und Schutzbefohlenen im Erzbistum Köln. Dieses Mal wurden Namen genannt von Menschen, denen trotz der desolaten Aktenlage des Erzbistums nach Auffassung der Gutachter klare Pflichtverstöße nachgewiesen werden können.
Neben den beiden ehemaligen Kölner Erzbischöfen Joseph Kardinal Höffner und Joachim Kardinal Meisner gilt dies auch für den heutigen Hamburger Erzbischof Stefan Heße. Ihm allein werden elf Pflichtverstöße angekreidet. Als erste Konsequenz aus dem Gutachten kündigte der Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki an, dass Weihbischof Domenikus Schwaderlapp und der Offizial (Leiter der Rechtsabteilung eines Bistums) Günter Assenmacher mit sofortiger Wirkung beurlaubt werden.
Schwaderlapp bietet Papst seinen Amtsverzicht an
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Weihbischof Schwaderlapp erklärte: Die Untersuchung halte ernste Versäumnisse fest, die er zu verantworten habe. „Tiefer noch beschämt mich, zu wenig beachtet zu haben, wie verletzte Menschen empfinden, was sie brauchen und wie ihnen die Kirche begegnen muss. Das ist ein Versagen als Seelsorger und als Mensch.“ Daher biete er Papst Franziskus seinen Amtsverzicht an und bitte Erzbischof Woelki um Beurlaubung.
Woelki selbst lasten die Experten für Strafrecht keine Pflichtversäumnisse an. Was Woelkis jüngst kritisierten Umgang mit den Missbrauchsvorwürfen des Priesters O. anging, seien sie zu der Ansicht gelangt, dass kein Pflichtverstoß vorliege, da der beschuldigte Priester nicht mehr vernehmungsfähig gewesen sei, als die Vorwürfe bekannt wurden.
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Gutachten: Unklar, ob Bestandteile der Akten vernichtet wurden
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Schwerer noch als die Pflichtverstöße wiegt, wie wenig die Gutachter aus 236 überprüften Aktenvorgängen mit 243 Beschuldigten und mindestens 386 von Missbrauch betroffenen Menschen belastbar feststellen konnten. Wichtig zu wissen: Die Aufgabe der Gutachter war es nicht, Missbrauchsfälle aufzuklären. Sie sollten „nur“ feststellen, ob die Verantwortlichen damit pflichtgemäß umgegangen sind.
Doch selbst das lässt sich nach ihrer Auffassung nur unzureichend nachvollziehen. Die Aktenführung des Erzbistums weise über Jahrzehnte nicht einmal Seitenzahlen auf, so dass niemand heute feststellen kann, ob Bestandteile der Akten vernichtet worden sind. Dokumentiert sind allerdings im Untersuchungszeitraum zwischen 1975 und 2018 zwei größere Aktionen von Aktenvernichtung – die allerdings wiederum den damaligen Vorschriften entsprachen.
Aus dem erhaltenen Material jedoch lasse sich der Wille der Betroffenen, die Institution Kirche und vor allem die Priester zu schützen, herauslesen – auf Kosten der Missbrauchsopfer: „Brüder im Nebel“, so hatte Kardinal Meisner vielsagend ein Konzentrat der „Giftakten“ des Erzbistums beschriftet, das er persönlich bewachte.
Gutachter sprechen von „systembedingter Vertuschung“
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Mit Laien, die sich Missbrauchstaten zu Schulden kommen ließen, sprang das Erzbistum anders um. Dort gab es keine Pflichtverletzungen, in diesen Fällen reagierte das Erzbistum konsequent, zügig und pflichtgemäß mit Entlassungen oder Sanktionen.
Dennoch mochten die Gutachter nicht von einer „systematischen Vertuschung“ durch das Erzbistum sprechen, es gebe aber wegen fehlender Verfahrenswege und klarer Zuständigkeiten eine „systembedingte Vertuschung“.
In immerhin 24 in den Akten dokumentierten Vorgängen lassen sich nach Auffassung der Gutachter dennoch mehr 75 Pflichtverletzungen nachweisen, die vor allem der Führungsetage anzulasten sind. So werden dem heutigen Erzischof von Hamburg in seiner Kölner Zeit als Generalvikar, Diözesanadministrator und Hauptabteilungsleiter elf Pflichtverletzungen zur Last gelegt. Offizial Günter Assenmacher, gestern ebenfalls freigestellt, werden neun Pflichtverletzungen vorgehalten. Als „Pflichtverletzung“ definierten die Gutachter Versäumnisse bei der Aufklärung, fehlende Anzeigen bei kirchlichen und weltlichen Behörden, Verzicht auf Sanktionen, Verzicht auf Prävention weiterer Taten und Versäumnisse bei der Opferfürsorge.
Woelki will sich Dienstag zu weiteren Schritten äußern
Bei den mittlerweile verstorbenen Amtsvorgängern Woelkis, Erzbischof Höffner (1969-1987) stellten die Gutachter acht Pflichtverletzungen fest. Höffners Nachfolger Kardinal Meisner (1989-2014) war sogar für fast ein Drittel der Pflichtverletzungen verantwortlich. Versäumnisse sehen die Gutachter zudem bei den ehemaligen Generalvikaren (Leiter der Bistumsverwaltung) Norbert Feldhoff (13 Fälle) und Domenikus Schwderlapp, Generalvikar von 2004 bis 2012.
„Ich habe diesen Tag herbeigesehnt und ich habe diesen Tag gefürchtet wie nichts anderes“, sagte Erzbischof Woelki bei der Übergabe des Gutachtens. Das Gutachten sei sowohl der Staatsanwaltschaft wie auch den päpstlichen Behörden in Rom zugeleitet worden. Zu weiteren Schritten will er sich am kommenden Dienstag äußern.
Maria 2.0: Gutachten ist nicht geeignet, Ursachen aufzuklären
Für die Initiatorin der katholischen Reformbewegung Maria 2.0, Lisa Kötter ist das Gutachten zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs im Bistum Köln nicht geeignet, die Ursachen für den jahrzehntelangen Missbrauch in der katholischen Kirche aufzuarbeiten und nachhaltig zu bekämpfen. Es gehe nur um die Taten einzelner, „das System wird nicht in Frage gestellt“, es bleibe „gut und richtig“, kritisierte die Gründerin von Maria 2.0 gegenüber den Zeitungen der FUNKE MEDIENGRUPPE.
„Was übrig bleibt, ist die lebenslange Qual der Menschen, denen Gewalt angetan wurde“. Die Aktivistin stellte die Würde der Kirche in Frage: Wenn auch nur ein Mensch verletzt worden sei, um die Fassade einer Institution, eines Amtes, einer „Heiligkeitsbehauptung“ zu schützen, habe diese Institution ihre Würde verloren, sagte Kötter. Sie befürchtet, dass die „paar Männer“ , die ihre Ämter verlassen müssen, „wie immer in brüderlichen Armen weich aufgefangen werden, hochwürdig selbstverständlich“. Sich auf den Grund zu begeben mit den „Kleinen und Verletzten und selbst um Hilfe zu bitten, steht nicht zur Diskussion“.