An Rhein und Ruhr. Ein Bündnis überzeugter katholischer Christen ruft zur Abstimmung im Internet auf: über die Rolle der Frau, den Zölibat und vieles mehr.

Wenn Arnd Brechmann in der Sonntagsmesse das Glaubensbekenntnis spricht, nimmt er an einer Stelle eine kleine Änderung vor. Statt „Ich glaube an die heilige katholische Kirche“, sagt er: „Ich glaube in der heiligen katholischen Kirche.“ Sein Glaube ist ihm heilig, er hat erfahren, wie spirituelle Erfahrungen die Menschen tragen, in Krisen, auch den eigenen, helfen. Er macht regelmäßig Pilgerwanderungen, hält Laienpredigten. Lange hat er überlegt, Priester zu werden, dann war ihm ein Leben mit Familie doch wichtiger. In diesen Zeiten zweifelt er oft genug an seiner Kirche.

Wegen der immer neuen Aufdeckungen von Missbrauchsfällen, wegen der Weigerung homosexuelle Paare zu segnen. Wenn er am Sonntag in seiner Pfarrkirche St. Josef im Essener Westen die Heilige Kommunion verteilt, gibt er sie jedem, der sie empfangen möchte. „Wer bin ich denn, zu sagen: Du bist evangelisch und darfst nicht an der Mahlgemeinschaft teilnehmen? Wer bin ich denn, zu sagen, weil du geschieden bist, bekommst du keine Hostie?“

Kirchenrechtlich ist es vermutlich recht dünnes Eis, auf dem er sich da bewegt – und genau deswegen will er, dass sich da einiges ändert. Genauso wie Claudia Alberts, die als Jugendliche in der Kirche aktiv war, im Essener Süden. Und leider nicht Messdienerin werden konnte, aber heute im Pfarrgemeinderat sitzt und im Pfarrbüro arbeitet. Nein, Austrittsmitteilung des Amtsgerichts hat sie persönlich noch nicht auf dem Tisch gehabt. Aber sie fragt sich schon, wie lange der Pfarrbrief der Gemeinde des Bistums Köln noch an rund 4500 Haushalte in Kettwig und Mülheim-Mintard verschickt wird.

Die Gläubigen dürfen abstimmen – für die Katholische Kirche ein Novum

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So beteiligt sich auch sie sich an einem Projekt, das der ehemalige Bremer Bürgerschaftsabgeordnete Carl Kau initiiert hat: „Katholischer Klartext“ heißt sein Online-Projekt und hat einen für die katholische Kirche ziemlich revolutionären Ansatz: Die Gläubigen selbst können abstimmen - der Segen kommt in diesem Fall nicht von oben. Gefragt wird, ob in der Kirche Demokratie herrschen soll – oder absolutistische Zustände. Ob Priester ehelos leben müssen – oder Partnerin und Familie haben dürfen. Ob Gleichberechtigung herrschen oder die Männer das sagen haben sollen und manches mehr.

Und durchaus wird auch erwogen, Druck auf die Kirche auszuüben: Wie wäre es, wenn auch die engagierten Christen austräten, die Kirchensteuer sozialen Projekten spendeten und klarmachten: Wenn sich Kirche ändert, sind wir wieder dabei? Das Ziel, das sich die Aktivisten gesetzt haben, ist durchaus hochgesteckt: Eine Million Menschen soll bis Ende Juli auf der Internetseite „katholischer.klartext.de“ abstimmen - das wären immerhin gut fünf Prozent der Katholiken im Land.

Noch haben erst gut 4300 Menschen auf der Internetseite abgestimmt, in den kommenden Wochen wollen Kau und seine Mitstreiter über Medienarbeit für noch mehr Resonanz sorgen. Die ersten Voten indes sind eindeutig. Sieben von zehn Abstimmenden sind für eine Aufhebung der Pflicht zur Ehelosigkeit für Priester, und gar drei von vier Abstimmenden können sich auch Priesterinnen vorstellen - was irgendwie logisch schlecht möglich ist... 87 Prozent sind dafür, dass man gemeinsam mit evangelischen Christen die Eucharistiefeier bzw einen Abendmahlsgottesdienst feiern kann..

85 Prozent trauen der Kirche keine Reform zu

85 Prozent der Abstimmenden haben „kein Vertrauen in die eigenständige Reformfähigkeit des amtierenden katholischen Klerus“. Fast 90 Prozent fühlen sich „durch bloße Ankündigungen, denen keine Taten folgen“ ewig vertröstet. 54 Prozent erwägen die „Auszeit“ von der KIrchensteuerzahlung - 46 Prozent wollen offenbar trotz der großen Unzufriedenheit durchaus weiter zahlen - und nicht austreten..

Zwar kann niemand kontrollieren, ob nur Kirchenmitglieder abstimmen, aber Kau meint: „Wen das nicht interessiert, der beteiligt sich auch nicht.“ Das so ermittelte Stimmungsbild wollen er und seine Mitstreiter der Deutschen Bischofskonferenz bei deren Herbstsynode am 23. September vorlegen. Die Botschaft ist ziemlich klar: Dies ist „nur“ eine Abstimmung per Mausklick. Doch wenn sich nichts ändert, geht die Abstimmung mit den Füßen – sie geht unvermindert weiter: mehr als eine Viertelmillion Menschen sind allein 2019 aus der katholischen Kirche ausgetreten. Die steil ansteigende Kurve - sie ist fast das erste, das ins Auge fällt, wenn man die Internetseite des „katholischen Klartextes“ aufruft.