Essen. . Ein neues Gutachten hat die schweren Vorwürfe gegen einen Transplantationsarzt der Essener Uniklinik relativiert. Der Haftbefehl ist aufgehoben.
Der Eklat um einen namhaften Transplantations-Mediziner der Essener Universitätsklinik könnte eine entscheidende Wendung nehmen: Der Haftbefehl gegen den Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie ist aufgehoben worden. Das teilte die Staatsanwaltschaft am Montag mit und hat einen entsprechenden Antrag gestellt.
Anfang September hatte der Fall für Aufsehen gesorgt. Da war der damals 61-jährige Mediziner sogar für einige Tage unter anderem wegen des Verdachts des Totschlags in Untersuchungshaft gekommen. Es ging um „nicht erforderliche Lebertransplantationen“, wie die Staatsanwaltschaft es im September formuliert hatte. Zwischen 2012 und 2015 sollte der Arzt sechs Transplantationen veranlasst haben, die medizinisch nicht notwendig gewesen seien. Ein Patient soll in Folge des Eingriffs gestorben sein. Der Mediziner habe die Operationen zugelassen und sei zum Teil selbst daran beteiligt gewesen, hieß es. Ihm sei bewusst gewesen, dass „risikoärmere, alternative Behandlungsmöglichkeiten mit guter Prognose bestanden hätten“.
Staatsanwaltschaft sieht derzeit keinen dringenden Tatverdacht mehr
Nun schätzt die Staatsanwaltschaft die Lage offenbar anders ein. Grund für die Wende ist ein neues Gutachten. Ein erster Sachverständiger war im vergangenen Jahr zu dem Ergebnis gekommen, dass die fraglichen Transplantationen nicht nötig gewesen seien, weil weniger riskante Behandlungsmethoden zur Verfügung gestanden hätten. Das sah ein zweiter Gutachter nun anders. Er habe, so die Staatsanwaltschaft, bei seiner Analyse andere Kriterien zugrunde gelegt und sei zu dem Schluss gekommen, dass die fraglichen Transplantationen indiziert gewesen seien.
„Vor diesem Hintergrund sieht die Staatsanwaltschaft derzeit keinen dringenden Tatverdacht mehr für eine vorsätzliche Schädigung von Leib und Leben der betroffenen Patienten“, so die Auskunft der Behörde. Doch damit ist der Fall noch lange nicht abgeschlossen: Die Ermittler haben sich inzwischen diverse Patientenakten aus der Uniklinik geholt, die sie nun gründlich auswerten. Durchforstet werden wohl nicht nur die sechs fraglichen Fälle, sondern auch weitere Transplantationen, an denen der Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie beteiligt gewesen ist.
An seinen Arbeitsplatz ist der Arzt nicht mehr zurückgekehrt
Vor knapp fünf Monaten war der beschuldigte Arzt recht plötzlich von seinem Arbeitsplatz abgeführt und festgenommen worden. Wegen „Totschlags in einem Fall und gefährlicher Körperverletzung in fünf Fällen“, lautete damals die Begründung. Einem Haftrichter gegenüber hatte der Leitende Mediziner die Vorwürfe damals zurückgewiesen. In Untersuchungshaft musste er trotzdem einige Tage bleiben, wegen einer „Flucht- und Verdunkelungsgefahr“; zudem sei damals befürchtet worden, dass er „weitere Taten ähnlicher Art begehen könnte“. Eine gute Woche nach seiner Festnahme kam der Arzt dann wieder auf freien Fuß, der Haftbefehl wurde außer Vollzug gesetzt, eine „namhafte Kaution“, wie es damals hieß, sei gezahlt worden.
An seinen Arbeitsplatz ist der Transplantationsspezialist seitdem nie wieder zurückgekehrt. Er wurde von der Arbeit in der Uniklinik freigestellt, zunächst so lange, bis alle Vorwürfe geklärt sind, so ist zu hören.