Essen. . Nach dem Mord an einer Frau in einem Kiosk an der Essener Helbingstraße sucht die Polizei den Täter. Ein Streifzug durch die Nachbarschaft.
Dies sind Häuser, in die die Menschen schnell ein- und womöglich noch schneller wieder ausziehen. Viele Klingelschilder an der Tür haben keine Namen, andere sind notdürftig überklebt, in einem Fenster im Erdgeschoss hängt ein Plakat: „Zu vermieten“. Die Schrift ist kaum zu lesen, denn das Fenster ist fast blind vor Schmutz.
Hauptbahnhof wenige Hundert Meter entfernt
Wir sind an der Helbingstraße, am unteren Ende – dort, wo der Hauptbahnhof wenige Hundert Meter entfernt ist. Wo der Autoverkehr unablässig auf sechs Spuren tost, die Helbingbrücken die Sicht versperren: Ein Ort, der unwirtlicher kaum sein könnte.
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Und doch gibt es hier einen Kiosk, denn in den Häusern an der Helbingstraße und im Südviertel, das gleich dahinter liegt, wohnen viele Leute. Der Kiosk hatte keinen Brötchenverkauf wie viele andere, dafür war er täglich bis nachts geöffnet.
Aber die Jalousien sind seit einer Woche dauerhaft geschlossen. Auf dem Tresen wurden rote Grablichter aufgestellt, jemand hat rote Rosen abgelegt. Am letzten Mittwoch wurde bekannt, dass eine Angestellte, 27 Jahre alt, aus Kenia stammend, im Kiosk umgebracht wurde, getötet mit Schlägen auf den Kopf, hervorgerufen durch einen stumpfen Gegenstand.
Wer hier vor die Tür tritt, versteht sein eigenes Wort nicht mehr
„Ich hab’ gesehen, dass an dem Vormittag viel Polizei da war, und eine Frau stand da, die die ganze Zeit geheult hat“, berichtet Dustin (19). Er wohnt hier gleich „um die Ecke“ und hat am Kiosk regelmäßig eingekauft, „vor allem Eistee und Bonbons. Die Frau war immer sehr nett.“
Doch dies ist eine anonyme Gegend. Obwohl man in Zehn-Parteien-Häusern eng beisammen wohnt, kennt man sich wohl nur schlecht. Kein Wunder: Wer vor die Tür tritt, kann kaum sein eigenes Wort verstehen bei dem dauerhaften Autolärm – Schwätzchen unmöglich. Je länger man an der Helbingstraße steht, desto mehr fragt man sich, wieso Verantwortliche in Architektur und Stadtplanung vor Jahrzehnten ernsthaft der Meinung waren, so etwas bauen zu können – für Menschen.
Wie auch immer: Eine ältere Dame, die aus dem Nachbarhaus tritt, zuckt demonstrativ die Schultern: „Nein, ich kannte sie nicht“, sagt sie in gebrochenem Deutsch. Und verschwindet in Richtung Helbingbrücken – dort, wo unter den riesigen, geschwungenen Betontrassen, den Auf- und Abfahrten der A40, zahllose Autos parken in der Düsternis. „Angst-Räume“ nennt man sowas.
Nachbarn sind einander fremd
Was wir über das Opfer wissen, hat die Polizei in ihren Berichten längst mitgeteilt: Die 27-Jährige lebte getrennt von ihrem Ehemann, einem Deutschen; ihr aktueller Lebenspartner war der Kioskbetreiber.
Die Polizei sucht weiter Zeugen
Helbingstraße und -brücke sind benannt nach Heinrich G. Helbing (1873–1933), Vorstandsmitglied von Emschergenossenschaft und Lippeverband. Beide haben am oberen Ende der Helbingstraße ihren Sitz. Eingeweiht wurden die Brücken 1970 im Zuge des autobahnähnlichen Ausbaus des Ruhrschnellwegs.
Die Polizei sucht weiter Zeugen, die Sachdienliches beitragen können. Hinweise: 829-0.
Beide Männer, so viel steht fest, sind unverdächtig, haben Alibis. Die 27-Jährige arbeitete als Aushilfe im Kiosk, war ansonsten als Altenpflegerin beschäftigt.
Und die anderen Nachbarn im Haus nebenan? Der Türsummer geht, jemand im fünften Stock öffnet auf unser Klingeln hin. Die Wohnungstür geht halb auf, eine junge Frau blickt raus. Auch hier: „Nein, ich kannte die Verkäuferin nicht.“ Es ist halb zwölf am Mittag, mehrere Kinder im Vorschulalter tummeln sich im Wohnungsflur. Eine ältere Dame taucht hinter der jungen Frau auf, raunt Unverständliches, verzieht sich wieder.
Die Polizei sucht den Täter noch. In Gegenden wie diesen, wo die Menschen einander kaum kennen, so viele verschiedene Sprachen sprechen, ein Kommen und Gehen in den Häusern herrscht, ist die Ermittlungsarbeit ganz sicher nicht einfach. Dies ist und bleibt ein trostloser Ort.