Kleve. . In Kleve hat der Prozess gegen eine 25-Jährige begonnen, die wegen Doppelmordes angeklagt war. Doch ein Gerichtsmediziner gab dem Fall eine überraschende Wendung: Die beiden Säuglinge waren eineiige Zwillinge, eines der Babys wurde tot geboren. Die Angeklagte schwieg vor Gericht.

Wenn eine Mutter angeklagt ist, zwei Babys jeweils nach der Geburt getötet zu haben, ist das schon dramatisch genug. Wenn der Fall dann, vor Gericht, eine solche Wendung nimmt wie am Mittwoch vor dem Landgericht Kleve im Doppelmord-Prozess gegen Stefanie K. (25) aus dem niederrheinischen Weeze, stockt einem der Atem.

Am Ende des ersten Prozesstages überrascht der Duisburger Gerichtsmediziner Lars Althaus mit neuen Erkenntnissen. Die beiden Kinder, von denen eins auf dem Speicher und eines auf dem Heuboden eines Bauernhofs in Weeze am 23. September 2013 gefunden wurden, wurden nicht im Abstand von einem Jahr geboren. Es waren eineiige Zwillinge, von denen einer tot zur Welt kam.

„Das ist eine Überraschung!“, entfährt es auch Richter Ulrich Knickrehm. Nur die Angeklagte, die den Prozessauftakt bis auf wenige Regungen ungerührt über sich hat ergehen lassen, hat die Version einer Zwillingsgeburt schon einmal erzählt: bei ihrer ersten Vernehmung durch die Polizei.

Gerichtsmediziner kannUnterschiede erklären

Allein – man hat ihr nicht geglaubt: Zwei kleine Leichname an zwei unterschiedlichen Fundorten, von denen einer komplett skelettiert, der zweite erst im Verwesungszustand war, gaben der Staatsanwaltschaft Grund, zweifachen Mord anzuklagen. „Aus niedrigen Beweggründen“ habe Stefanie K. die Kinder, die sie 2012 und 2013 geboren habe, erwürgt und ertränkt. Aus Angst, „von ihrem Vater enterbt“ zu werden, habe es sich doch, so Stefanie K., „nur um Kinder eines Freiers gehandelt“.

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Doch der Gerichtsmediziner kann die Unterschiede erklären: Es sei sehr warm gewesen, das Baby auf dem trockenen Heuboden sei ungeschützt Insekten und Witterung ausgesetzt gewesen, während das beim Baby auf dem Speicher nicht der Fall gewesen sei. Zweifelsfrei handele es sich laut DNA um Zwillinge, zweifelsfrei habe eines der Kinder nie geatmet...

Die Entdeckung der beiden Leichen auf dem elterlichen Hof am 23. September 2013 – ihr eigener Vater hatte die Polizei alarmiert – hatte nicht nur im idyllischen Weeze hohe Wellen geschlagen. Nachbarn gaben Zeugnis, es habe sich doch um eine „ganz bürgerliche Familie“ gehandelt, daneben machten aber auch Schlagzeilen über das „bizarre Doppelleben“ einer mutmaßlichen Kindsmörderin schnell die Runde: Stefanie K., die Bauerstochter, die im Kamp-Lintforter Swingerklub als „Hostess“ Freier empfängt und die sich auch außerhalb ihres Jobs jede freie Minute im plüschigen Ambiente diverser „Spielwiesen“ wohlfühlt, postete ihre sexuellen Vorlieben inklusive freizügiger Fotos gar auf Facebook.

In den Gerichtssaal kommt sie mit erhobenem Kopf, korpulent in Jeans und weitem Pulli, mit herbem Irokesenschopf, und hält Kameras und Blicken trotzig stand. „Ich möchte gerne schweigen“, fällt sie dem Richter ins Wort, der daraufhin als Zeugen jenen Polizeibeamten herbeizitiert, der Stefanie K. kurz nach ihrer Festnahme vernommen hat. Bei der Polizei sei sie „offen und kooperativ“ gewesen, sagt der Zeuge S.. So habe sie erzählt, wie sie und ihre Geschwister unter der Scheidung der Eltern gelitten hätten, dass sie sich während der Pubertät mit ihrer depressiven Mutter gestritten habe, von Aggressionen und Gewalt auf allen Seiten ist die Rede, von Männern, bei denen sie Halt suchte und davon, wie leicht man mit Sex Geld verdienen kann.

Mit Schmerzen heimgefahren, Handtücher bereitgelegt

Die angeklagte Tat beschrieb sie damals so, dass sie die Anzeichen einer Schwangerschaft sehr wohl gemerkt, ihrem „wütenden“ Vater aber verheimlicht habe, der zwar ihren Job kannte, aber nicht in der Lage war, sie davon abzuhalten.

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Am Tag der Geburt, es soll der 13. September 2013 gewesen sein, sei sie mit Schmerzen heimgefahren, habe Schere und Handtücher bereit gelegt, heimlich in ihrem Zimmer auf dem Hof ein totes Baby, einen Jungen, bekommen, den sie in einer Tüte auf dem Speicher versteckt habe. Dann, in der nächsten Nacht, habe sie erneut Schmerzen bekommen, in der Badewanne entbunden und den strampelnden Säugling unter Wasser gedrückt, bis er sich nicht mehr bewegt habe. Dieses Kind legte sie ins Heu.

Diese Darstellung wird ihr später als „unmöglich“ vorgehalten. Und vielleicht war sie der ganzen Sache intellektuell nicht gewachsen, denn wenig später korrigiert sie sich selber: Ja, es könne sein, dass eine der Geburten bereits ein Jahr früher gewesen sei...

Das Verfahren muss sich neu aufstellen. Zwillinge. Eine Totgeburt kann nicht ermordet werden. Beim zweiten Baby ist die Todesursache kaum noch feststellbar.

Es steht nur die erste Aussage von Stefanie K. im Raum, die der polizeilichen Vernehmung. Damals gab sie eine Kindstötung zu.

Heute schweigt sie.